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Bundesarbeitsgericht urteilt Vorgaben für Kirchen als Arbeitgeber verschätft

Der Chefarzt des katholischen Krankenhauses hatte sich scheiden lassen und standesamtlich ein zweites Mal geheiratet. Daraufhin erhielt er die fristlose Kündigung. Zurecht? Nach zehn Jahren gibt es nun eine Entscheidung - mit Folgen für viele Arbeitnehmer.

20.02.2019, 15:12

Erfurt (dpa) - Das Bundesarbeitsgericht hat die Rechte der Kirchen als Arbeitgeber weiter eingeschränkt. Die Richter erklärten die Kündigung eines Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus in Düsseldorf wegen dessen Scheidung und Wiederheirat für nicht rechtmäßig.

Dem Chefarzt war 2009 fristlos gekündigt worden, weil die Kirche in seiner zweiten standesamtlichen Hochzeit einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß sah. Laut Urteil wurde der Mediziner damit gegenüber nicht katholischen Kollegen unzulässig benachteiligt, bei denen eine Wiederheirat kein Kündigungsgrund wäre.

Mit seinem Urteil rüttelt das Gericht unter Verweis auf europäisches Recht am Sonderstatus von Kirchen als Arbeitgeber. Für diese ist im Grundgesetz ein Selbstbestimmungsrecht verankert. Das wirkt sich auch auf ihre Position als Arbeitgeber aus. So dürfen sie von ihren Mitarbeitern ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen.

Dem Urteil zufolge können Kirchen aber an Angestellte keine unterschiedlichen Anforderungen aufgrund von Religionszugehörigkeiten stellen. Ausnahmen sind möglich, wenn sich diese Erwartungen als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen darstellen. (2 AZR 746/14)

Das katholische Krankenhaus hatte dem katholischen Chefarzt fristlos gekündigt, nachdem sich der Mann hatte scheiden lassen und zum zweiten Mal standesamtlich geheiratet hatte. In der standesamtlichen Hochzeit sah der Arbeitgeber einen Verstoß gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre und damit gegen Loyalitätspflichten des Dienstvertrags.

Der Chefarzt sah in der Kündigung hingegen einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn nach der 1993 vom Kölner Erzbischof erlassenen Grundordnung seines Dienstvertrags wäre eine solche zweite Heirat kein Kündigungsgrund für nicht-katholische Chefärzte der Klinik. Das Kölner Bistum kündigte bereits an, das Urteil und mögliche Konsequenzen intensiv prüfen zu wollen.

Tatsächlich geht der Streit seit gut zehn Jahren durch die Instanzen: darunter Arbeitsgerichte in Nordrhein-Westfalen, das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt musste sich nun zum dritten Mal mit dem Fall beschäftigen.

Zuvor hatte im September vergangenen Jahres bereits der EuGH auf die Ungleichbehandlung verwiesen. Er machte Zweifel deutlich, inwiefern die Einhaltung des katholischen Eheverständnisses in dem Fall tatsächlich eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

Die Kirchenseite machte in der Verhandlung am Mittwoch einen Konflikt zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Recht der Europäischen Union geltend. Dieser Auffassung widersprachen die Erfurter Richter: "Das Unionsrecht darf die Voraussetzung, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten."

Die Erfurter Richter sahen auch mit Blick auf extra für Kirchen eingeräumte Ausnahmen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz keinen Grund, der die Benachteiligung des Chefarztes aufgrund seiner Religionszugehörigkeit im konkreten Fall rechtfertigte. Zudem sei die Anwendung des katholischen Eheverständnisses im Hinblick auf die Art der Tätigkeit des Mediziners und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.

Das Urteil sei überfällig und wegweisend, sagte Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. "Es schafft mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Betrieben." Einem Mitarbeiter zu kündigen, weil dieser ein zweites Mal geheiratet hat, finde heute auch in der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr.

Die katholische Caritas betonte, dass die Grundordnung des kirchlichen Arbeitsdienstes 2015 erheblich geändert worden sei. "Damit wurde ein differenzierter Umgang mit der Lebenswirklichkeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich", betonte Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes. Der Sachverhalt, der damals zur Kündigung führte, wäre daher nach heute geltendem Kirchenarbeitsrecht anders zu beurteilen.

Vor allem über die Caritas, aber etwa auch über die evangelische Diakonie beschäftigen die großen christlichen Kirchen in Deutschland mehr als eine Million Menschen.

Die höchstrichterliche Entscheidung habe eine hohe Symbolkraft, unterstrich Hans-Albert Gehle, erster Vorsitzender des Marburger Bundes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz. "Es ist allerhöchste Zeit, dass sich kirchliche Arbeitgeber nicht mehr auf ihren längst überholten Privilegien des sogenannten Dritten Weges ausruhen können, sondern sich ohne Einschränkungen dem weltlichen Arbeitsrecht stellen müssen", so Gehle.

Es ist das zweite Urteil innerhalb weniger Monate, mit dem das Bundesarbeitsgericht die Freiheiten der Kirchen einschränkt. Im Oktober vergangenen Jahres hatten das BAG besondere Anforderungen an die Religionszugehörigkeit von Bewerbern bei Stellenausschreibungen nur unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärt.