1. Startseite
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Chirurgie am schlagenden Herzen

Medizin Chirurgie am schlagenden Herzen

Weil Bypässe am Herzen heute mit vergleichsweise schonenden Verfahren operiert werden, erholt sich der Patient schneller.

Von Uwe Seidenfaden 22.01.2016, 00:01

Magdeburg Krankhaft verengte Herzkranzgefäße können verschiedene Beschwerden verursachen: Nicht selten sind Schmerzen im Brustbereich, „als würde ein Elefant auf dem Brustkorb sitzen“. Manchmal äußern sich die Herzprobleme auch als Rücken-, Magen- oder Mundkieferschmerzen. Unter körperlicher Belastung, zum Beispiel Treppensteigen, nehmen die Beschwerden zu.

Ein bis zwei verengte Herzkranzgefäße erweitern Kardiologen heutzutage meistens minimalinvasiv (PTCA) und mit der Einlage eines kleinen Drahtröhrchens (Stent). „Wenn mehr als ein bis zwei Herzkranzgefäße verschlossen sind, ist eine Bypass-OP zu erwägen“, so Prof. Dr. Ingo Kutschka, Direktor der Magdeburger Universitätsklinik für Herz- und Thoraxchirurgie. Bei diesem Eingriff werden die verengten Koronararterien mit bis zu fünf neuen Ersatzgefäßen (vorwiegend aus körpereigenen Arterien, wie der Brustwandarterie oder einer Armarterie) umgangen. Daher auch der Name Bypass-Operation. Um die Umgehungsgefäße anzunähen, sollte das Herz sich möglichst wenig bewegen. Das ermöglichen seit einem halben Jahrhundert sogenannte HerzLungen-Maschinen.

Bis vor wenigen Jahren waren diese Geräte noch so groß wie ein Wandschrank. Vor dem Einsatz mussten sie mit 1,5 Liter Blutersatz-Flüssigkeit befüllt werden. Für den menschlichen Körper bedeutet der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zusätzlichen körperlichen Stress. Es kann zu Entzündungsreaktionen, Blutungen, Thrombosen und anderen Komplikationen während und unmittelbar nach der OP kommen (z.B. Schlaganfälle).

Ende des 20. Jahrhunderts entwickelten Herzchirurgen in Amerika und Europa ein Verfahren, um Bypässe ohne HerzLungen-Maschine operieren zu können. Mediziner nennen es OPCAB-Methode (Off-Pump Coronary Artery Bypass). Dabei werden die Bereiche des Herzmuskels, an denen die Bypässe angenäht werden, für etwa 20 bis 30 Minuten regional ruhiggestellt, während der überwiegende Rest des Herzmuskels weiterhin beweglich bleibt und das Blut durch den Körper pumpt. „Bei OPCAB setzen wir ein Instrument ein, das mit vielen kleinen Saugnäpfen die Herzmuskulatur ansaugt und den Operationsbereich vorübergehend in Position hält“, sagt Dr. Hassina Baraki, Oberärztin der herzchirurgischen Uniklinik Magdeburg. Das Verfahren erfordert von Herzchirurgen viel Geduld und Fingerspitzengefühl, denn ganz still steht der Operationsbereich mit dieser Methode nicht. „Es kommt darauf an, in Ruhe die Sicht auf das Operationsfeld zu optimieren, zusammen mit dem Narkosearzt den Kreislauf des Patienten stabil zu halten und dann im richtigen Moment die Bypass-Nähte zu setzen“, so Dr. Baraki, die als eine von vier Ärzten der Universitätsklinik für Herz- und Thoraxchirurgie diese Technik beherrscht.

In manchen Fällen ist es auch möglich, ohne große Brustkorb-eröffnung, am schlagenden Herzen zu operieren. Die Ärzte nennen das Verfahren MIDCAB (Minimal Invasive Direct Coronary Artery Bypass). „Mit MIDCAB können wir aber nur einen Bypass für die Vorderwand-Herzkranzarterie legen“, so die Oberärztin. Hinterwand- und Seitenwand-Arterien können mit dieser Methode nicht versorgt werden. Das MIDCAB-Verfahren kommt in der Regel nur für wenige Patienten in Frage. Die meisten Patienten mit einer verengten Vorderwandarterie erhalten eine minimal-invasive Blutgefäßaufweitung (PTCA mit Stent), weil diese für Patienten noch schonender ist.

Nicht jeder Bypass-Patient kann am schlagenden Herzen operiert werden (siehe Infokasten). Jene Menschen, bei denen das nicht möglich ist, profitieren seit wenigen Jahren von neuen, kleineren Herz-Lungen-Maschinen. Sie benötigen um ein Drittel weniger Blutersatzflüssigkeit und senken das Risiko von Entzündungen, Komplikationen und Nebenwirkungen der OP auf unter zwei Prozent.

In den Langzeitergebnissen sind die Bypass-Operationen ohne und mit Herz-Lungen-Maschine vergleichbar. Alternative Techniken wie die von Robotern unterstützte Herzchirurgie und neuartige Bypasstechniken mit Kunststoffgefäßen oder Magnetverbindungen, haben sich nicht bewährt.