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Gesundheit Wenn plötzlich die Beine versagen

Krankhafte Veränderungen an der Wirbelsäule müssen nicht zwingend zu Rückenschmerzen führen. Ein Beispiel ist die sogenannte spinale Enge.

Von Uwe Seidenfaden 31.01.2016, 00:00

Magdeburg In den eigenen vier Wänden fühlt Marianne P. sich wohl. Mit 75 Jahren kocht, putzt und wäscht sie ihre Sachen noch alleine. Nur beim Einkaufen helfen ihr von Zeit zu Zeit die Nachbarn. Der Grund: Marianne P. kann nicht mehr längere Strecken laufen. Schon nach etwa hundert Metern hat sie das Gefühl, dass ihre Beine versagen und sie nicht mehr weiter kann. „Dann muss ich mich erst einmal hinsetzen oder mich vornüber auf meinen Rollator stützen“, sagt die Rentnerin. Nach einer kleinen Erholungsphase verschwinden die Symptome von allein. „Aber längere Wege strengen mich sehr an“, gesteht sie.

Ihr Hausarzt, der die Patientin auch wegen eines Herzleidens behandelt, vermutete zunächst die im Volksmund genannte Schaufensterkrankheit. Die Symptome sind ähnlich: Die Betroffenen können nur kurze Wegstrecken laufen. Dann müssen sie stehenbleiben, weil ihre Beine schmerzen. Ursache ist eine Durchblutungsstörung der Beinarterien (eine periphere arterielle Verschlusskrankheit). Die Untersuchung von Marianne P. zeigte aber, dass sie davon nicht betroffen ist. Auch leidet sie beim Gehen nicht unter Atemnot, was zum Beispiel ein Hinweis auf ein schwaches Herz bzw. eine Einschränkung der Lungenleistung sein könnte.

Wegen des Verdachtes auf ein Wirbelsäulenproblem wurde die Frau zu einem Neurochirurgen überwiesen, der die wahre Ursache für die Laufprobleme von Marianne P. fand: eine sogenannte Spinalkanal-Stenose. „Dieses Wirbelsäulenleiden ist keineswegs selten und betrifft überwiegend Senioren“, so der Magdeburger Neurochirurg Dr. Ronald Minda. Es handelt sich um eine Verengung des Wirbelkanals, durch den die Nervenfasern entlang der Wirbelsäule vom Gehirn bis in die Beine verlaufen. Je enger der knöchrige Wirbelkanal wird, desto stärker werden die Nervenbahnen gedrückt und gereizt. Treten derartige Probleme im Bereich der Lendenwirbelsäule auf, kann das die beschwerdefreie Gehstrecke stark einschränken. Begünstigt werden kann die Entstehung der Erkrankung durch erbliche Einflüsse, aber auch Übergewicht, Schwäche im Bereich der Bauch- und Rückenmuskulatur sowie längere Fehl- und Überbelastungen. „Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Umfang der Einengung des Wirbelkanals und dem Grad der individuellen Beschwerden gibt es nicht“, so Dr. Minda. Insbesondere bei Diabetikern können bereits geringe Einengungen zu starken Beeinträchtigungen führen.

Bei der Diagnostik der Erkrankung spielt daher das Magnetresonanz-Tomogramm (MRT) eine wichtige Rolle, weil es im Unterschied zum CT (Computer-Tomogramm) auch das Weichgewebe (u.a. die Nervenbahnen) sichtbar machen kann. Die zur Verlängerung der beschwerdefreien Gehstrecke vom Arzt verordneten Physiotherapien erfordern von den Patienten einige Willenskraft und Durchhaltevermögen. Durch gezieltes Training der Muskelgruppen im Bauch- und Rückenraum sowie an der Wirbelsäule über einen Zeitraum von mindestens acht Wochen wird die Mobilität gesteigert. Um den Schmerz während des Trainings erträglicher zu machen, können Neurochirurgen die Nervenreizung mit sogenannten periduralen Injektionen in den Wirbelkanal lindern. „Diese interventionalle Therapie erleichtert den Einstieg in die Physiotherapie“, so der Arzt.

Erst wenn die Physiotherapie nicht zu einer Besserung führt oder wenn ein akuter Notfall vorliegt (z.B. Verlust der Kontrolle über die Blase), kommt eine Operation in Betracht. Ist das Wirbelgelenk noch stabil und die Nerveneinengung wird durch neu gebildetes Knochengewebe verursacht, werden die Ärzte den ursprünglichen, gesunden Zustand wieder herstellen. „Wir sprechen dann von einer Rekonstruktion des Wirbelkanals“, erklärt Dr. Minda. Die Heilungsaussichten sind in den meisten Fällen, in denen diese Rekonstruktionen begründet sind, sehr gut.

Sind hingegen die Wirbelgelenke instabil, so dass die Kanalverengung durch sogenanntes Wirbelgleiten verursacht wird, müssen die Wirbelgelenke durch Verschraubungen stabilisiert werden, verlangt aber über einen längeren Zeitraum einen engen Kontakt zum Arzt.

Nicht jeder ist geeignet für den Eingriff, für den der Patient etwa drei Stunden in Bauchlage auf dem OP-Tisch verbringen muss. Menschen mit einer schweren Herzschwäche, einer fortgeschrittenen Osteoporose oder anderen ernsthaften Begleiterkrankungen kommen nicht in Betracht.

Marianne P. ging es schon am Tag nach der OP besser. Nach einer chirurgischen Rekonstruktion des Wirbelkanals konnte sie am fünften Tag nach dem Eingriff aus der Klinik entlassen werden. Ihre Muskelkraft stärkt sie im Rahmen einer ambulanten Physiotherapie weiter.