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Erziehung Kinder stark machen, ohne Angst zu schüren

Eltern können ihren Nachwuchs nicht ständig im Blick haben. Aber sie können zu Wachsamkeit erziehen, zum Nein-Sagen - ohne Angst zu machen.

02.08.2019, 23:01

Berlin (dpa) l Ob auf dem Weg zur Schule oder zu Freunden: Eltern können nicht ständig dabei sein, wenn Söhne und Töchter älter und selbstständiger werden. Was aber, wenn Fremde kommen und sie etwa mit Süßigkeiten locken – oder wenn ihnen jemand körperlich nahekommt? Dann müssen die Kinder wissen, wie sie reagieren sollen.

„Falls jemand sie packen oder anfassen will, sollen sie ganz laut Nein sagen. Das haben wir schon ein paar Mal geübt“, erzählt Veronika Thiel, Mutter von sechsjährigen Zwillingen. Es sei wichtig, dass Kinder ihre eigenen Grenzen kennen.

„Meine Töchter wissen, dass sie die Bestimmerinnen darüber sind, was mit ihrem Körper passiert.“ Sie bringe den Mädchen bei, im Ernstfall zu schreien und auf sich aufmerksam zu machen. Auch im Kindergarten hätten die Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern geübt, die Hand auszustrecken und „Stopp“ zu sagen, wenn ihnen etwas zu weit geht.

Kinder hätten in der Regel ein gutes Gespür dafür, welche Situationen sich gut anfühlen und welche nicht, sagt Ralph Schliewenz, Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche. Die Botschaft, die Eltern ihren Kindern deshalb vermitteln sollten, sei: „Hör auf dein eigenes Gefühl. Sei wachsam und aufmerksam.“

Ein gutes Selbstwertgefühl helfe Kindern, zu reagieren, wenn ihnen etwas komisch vorkommt, sagt die Psychologin und systemische Therapeutin Kathrin Forch, die in der Erziehungsberatung bei der AWO Hamburg arbeitet. „Selbstbewusste Kinder können einem Erwachsenen gegenüber viel besser Nein sagen, als das Kinder mit einem geringen Selbstbewusstsein können.“

Oftmals seien Eltern selbst zu vertrauensselig, sagt Schliewenz. „Erst einmal müssen sich die Erwachsenen an die eigene Nase packen und sehen, dass diese Welt auch Gefahren birgt.“ Wenn Erwachsene aus irgendwelchen Gründen kein gutes Gefühl haben, wenn das Kind alleine loszieht, sollten sie darauf hören, rät der Psychologe.

Im Alltag hilft es, klare Verabredungen zwischen Eltern und Kindern zu treffen. „Meine Kinder wissen, dass sie immer zusammenbleiben sollen“, erzählt Veronika Thiel. Auch der Kindergarten beherzige Vorsichtsmaßnahmen. Bei Personen, die den Erzieherinnen und Erziehern nicht bekannt sind, werde der Personalausweis überprüft.

Oft seien Eltern unsicher, wie sie mit ihren Kindern über das Thema sprechen sollen, sagt Forch. Sie rät, das Thema selbstverständlich in den Alltag zu integrieren, um den Kindern Angst und Scham zu nehmen. Wie sie lernen, die Straße nur bei Grün zu überqueren, sollten sie auch lernen, nicht mit Fremden mitzugehen.

Für Eltern ist es ein Balanceakt, zur Achtsamkeit anzuhalten ohne Angst zu machen. In Gesprächen arbeitet Schliewenz deshalb mit den Begriffen des „guten und des schlechten Geheimnisses“. Die Kleinen hätten ein intuitives Verständnis dafür: Gute Geheimnisse fühlen sich gut an, schlechte hingegen unangenehm. Die Botschaft der Eltern sollte lauten: „Du kannst mir alles erzählen, damit du es los bist.“

Veronika Thiels Töchter wissen: Geheimnisse mit ihren Freundinnen dürfen sie ruhig für sich behalten. „Aber wenn jemand explizit verlangt, dass sie etwas nicht ihrer Mama erzählen sollen und dazu vielleicht noch droht, dass sonst etwas Schlimmes passiert, dann sollten sie es mir erst recht erzählen“, erklärt sie. Ihre Töchter könnten sich ihr anvertrauen. „Sie wissen, dass ich sie unterstütze, wenn irgendetwas passiert.“