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Suchtklinik Magdeburg integriert Angehörige von Abhängigen "Lass alles weg, was 100-mal nicht funktioniert hat"

Von Beate Arndt 03.12.2007, 04:56

Magdeburg - Wenn Menschen alkohol-, drogen-, medikamenten-, mager- oder spielsüchtig sind, leiden meist auch die Angehörigen unter diesem Zustand. Eine Magdeburger Klinik, in der Ärzte auf tagesklinischer Basis versuchen, Suchtkranken zu helfen, integriert zunehmend die Arbeit mit den Familien der Patienten in ihr Therapiekonzept.

Donnerstag 17. 30 Uhr, Tagesklinik an der Magdeburger Sternbrücke. Von den 16 Stühlen ist gut die Hälfte besetzt. Einmal wöchentlich treffen sich Angehörige von Suchtkranken, um über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen. Geleitet wird die Gesprächsrunde Dr. Volker Kielstein und dem Diplom- Psychologen Jörg Müller. Da ist die Frau des alkoholabhängigen Mannes, der Vater des drogenabhängigen Sohnes und die Mutter der bulimischen Tochter. Die Atmosphäre ist entspannt. Im Vordergrund steht nicht der oder die Süchtige, sondern deren Mutter, Vater oder Partner.

" Haben Sie Ihrem Sohn die Drogen oder den Alkohol in die Hand gedrückt ?" fragt Jörg Müller in die Runde. Allgemeines Kopfschütteln. " Warum unterstützen Sie Ihren Mann noch immer, obwohl er Sie mit der Flasche betrügt ?" Jörg Müller provoziert bewusst und lässt nicht locker. Die Fragen sind unangenehm aber notwendig. Sie zeigen den Angehörigen, dass ihr eigenes Leben gerade den Bach hinunter geht.

Hilflosigkeit, Scham und das Bedürfnis, helfen zu wollen, bestimmt das Leben mit einem Süchtigen. Angehörige übernehmen deren Aufgaben, schwanken mit ihren Gefühlen zwischen Hass, Wut und Liebe. Sie entschuldigen das Verhalten des Abhängigen, wollen seine Sucht kontrollieren und merken nicht, dass sie mit der Situation überfordert sind. Gesundheitliche Schäden sind die Konsequenz des psychischen Stresses.

" Es gehört zu unserem Konzept, das persönliche Umfeld in die Therapie einzubeziehen. Angehörige müssen lernen, dass sie nur helfen können, wenn es ihnen selbst gut geht ", erklärt Dr. Volker Kielstein. " Regel Nummer eins ist : Lass alles weg, was hundert Mal nicht funktioniert hat. " Die Tagesklinik an der Sternbrücke gehört zu den Anlaufstellen sowohl für Suchtkranke als auch für Angehörige.

Kielstein, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie / Psychotherapie, entwickelte mit dem Magdeburger Modell vor mehr als drei Jahrzehnten ein eigenes Suchttherapiekonzept auf ambulant-tagesklinischer Basis : Entgiftung, Behandlung, ambulante Weiterbetreuung – eine Alternative zur ausschließlichen Klinikbehandlung. 1972 gründete Volker Kielstein die erste ambulante Therapiegruppe für Alkoholabhängige. 1978 folgte im Rahmen der Poliklinik die Tagesklinik für Alkohol- und Medikamentenabhängige.

Suchthilfeprogramme

für Unternehmen

1989 besaß Magdeburg ein ausgereiftes, wohnortnahes Suchtbehandlungssystem, das sich bis heute, 35 Jahren nach der Gründung der Klinik, etablieren und weiterentwickeln konnte. Für die suchtherapeutische Betreuung sorgt ein Team aus Ärzten, Psychologen, Sucht-, Ergo- und Bewegungstherapeuten. Etwa 350 Patienten nutzen jährlich die Möglichkeit der tagesklinischen Behandlung. Ambulant werden jährlich 1400 Suchtkranke behandelt. Der Vorteil sei, sagt Kielstein, dass Patienten in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, anstatt Arbeitsplatz und Freundeskreis für eine stationäre Therapie verlassen zu müssen.

Die Tagesklinik kooperiert mit niedergelassenen Ärzten, Beratungsstellen, stationären Entgiftungsstationen, Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und Selbsthilfegruppen. Etabliert hat sich seit einigen Jahren der Aufbau betrieblicher Suchthilfeprogramme in Firmen und Behörden der Stadt. Das heißt, suchtauffällige Betriebsanghörige werden frühzeitig erkannt und zur Beratung oder Behandlung vermittelt. Das tagesklinische Konzept wird von den Krankenkassen unterstützt.

Eigeninitiative und Selbstverantwortung werden den Patienten im Tagesklinik-Programm von Anfang an abverlangt. Unter Einbeziehung der Angehörigen wird ein langfristiger Therapieplan erstellt. Im Zentrum der Behandlung steht die Gruppe, die Halt gibt, aber gleichzeitig als Übungsfeld für das Austragen von Konflikten dient. Einzeltherapie, Gestaltungs-, Musik- und Entspannungstherapie, Körper- und Fitnesstraining wirken unterstützend auf dem Weg zur Abstinenz und runden das Therapieprogramm ab.

Doch auch das Modell von Volker Kielstein ist ausbaufähig. In naher Zukunft sollen in der Tagesklinik auch Kinder von Alkoholkranken altersspezifisch betreut werden.

www. suchttagesklinik. de