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Interview Wie gelingt selbstbestimmtes Altern?

Rund ums Altern und Sterben gibt es viel zu organisieren. Wann fängt man damit an - und wie?

14.03.2020, 03:00

Berlin (dpa) l "Neu ist das alles nicht mehr." Als ihr Orthopäde diesen Satz sagt, wird Janine Berg-Peer klar: Ich bin alt. Doch Resignation liegt der 75-Jährigen nicht. Stattdessen beschließt die ehemalige Unternehmensberaterin, ihren letzten Lebensabschnitt offensiv anzugehen – und sich um alle Fragen des Alterns möglichst selbst zu kümmern. Doch es zeigt sich: Einfach ist das nicht.

Über ihre Erfahrung mit dem Versuch des selbstbestimmten Alterns hat Berg-Peer ein Buch geschrieben. Der Titel: "Wer früher plant, ist nicht gleich tot". Im Interview spricht sie über widerspenstige Krankenkassen, heikle Gespräche mit den eigenen Kindern und die graue Wohnungsnot.

Frau Berg-Peer, eins der ersten Kapitel in Ihrem Buch heißt "Der letzte Plan". Was war das für ein Plan?
Janine Berg-Peer: Das fing eigentlich damit an, dass ich mich darüber geärgert habe, dass alte Leute immer klagen, dass ihre Kinder sie nicht mehr pflegen, dass früher alles besser war. Und ich dachte mir immer: Warum? Es ist doch an uns alten Menschen, einen Plan zu entwickeln und zu sagen "So will ich die letzten Jahre versorgt werden" – und dann mit den Kindern darüber zu sprechen. Und das habe ich gemacht. Weil ich bis zum Schluss eine gewisse Autonomie behalten möchte.

Geht das denn überhaupt, das alles zu planen, von der Pflege bis zur Beerdigung?
Ich kenne viele Leute, auch in meinem Alter, die sagen "Ach, man kann doch nicht alles planen." Und natürlich geht das nicht. Aber das soll einen ja nicht davon abhalten, wenigstens das Planbare zu planen. Also nicht abstrakt darüber reden, man müsste und könnte mal und so, sondern ganz konkret: Wo könnte ich wohnen im Alter? Wo finde ich Hilfe? Wie bereiten mich Ärzte darauf vor? Kann ich mit jemand übers Sterben sprechen? Finde ich da überhaupt Ansprechpartner?

Und was war das Ergebnis – was ist tatsächlich planbar?
Es kam etwas anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Weil ich zum Beispiel feststellen musste, dass man in unserem Gesundheitssystem sehr wenig Unterstützung bekommt – sondern dass man sehr oft mit dem schönen Satz "Das hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen!" abgespeist wird.

Sie stellen wahnsinnig viele Anträge, sehr viel wird abgelehnt, Sie müssen ständig Widerspruch einlegen und da richtig energisch gegen vorgehen. Das kann nicht jeder alte Mensch. Das hat mich wirklich wahnsinnig aufgeregt und geärgert – so sehr, dass ich in meinem Bekanntenkreis inzwischen Expertin für Widerspruch bei Kranken- und Pflegekasse bin.

Was sind die Auswirkungen dieser Hürden?
Es sorgt dafür, dass Menschen mit weniger Geld es im Alter wahnsinnig schwer haben. Und da reden wir nicht über richtige Altersarmut – die Leute, die zu den Tafeln gehen müssen, auch wenn das natürlich ein Problem ist. Aber es fängt schon damit an, dass die Kasse Ihnen nicht die Fußpflege bezahlt, wenn Sie nicht mehr an Ihre Fußnägel kommen – weil Sie kein Diabetiker sind. Oder den Weg zum Arzt, oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Und wenn die nicht erfüllt sind? "Das hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen", hab ich dann oft gehört. Oder "Ich hab die Gesetze nicht gemacht."

Gutes Altern ist in Deutschland eine Geldfrage?
Ja, absolut. Nehmen Sie den Wohnungsmarkt: Ich habe immer gedacht, das ist doch ganz einfach im Alter, dann zieht mal halt zu den Kindern oder in ein Heim oder eine kleinere Wohnung – bis ich mich dann auf die Suche gemacht habe. Dann habe ich festgestellt: Es gibt eine graue Wohnungsnot in Deutschland, weil es überhaupt keine vernünftigen Wohnmöglichkeiten für alte Menschen gibt. Und die, die es gibt, kann sich kaum jemand leisten. Oder Sie warten zehn Jahre auf einen Heimplatz.

Was würden Sie älteren Menschen dann raten?
Dass man sich frühzeitig kümmert, spätestens mit 60. Ich war 75, als ich angefangen habe, das war viel zu spät. Und kümmern heißt in diesem Fall auch, mit den Kindern oder Enkeln zu sprechen. Nicht nur, damit man selbst gut versorgt ist – das ist ja auch für die alles nicht leicht. Die haben ihr eigenes Leben und können sich gar nicht ständig um ihre Eltern oder Großeltern kümmern. Ich finde, da haben wir Älteren eine Verpflichtung, das frühzeitig anzusprechen.

Wie sieht das konkret aus – worüber redet man dann?
Über alles, mit der Wohnsituation angefangen. "Du, pass mal auf, ich bin ja jetzt nicht mehr die Jüngste, ich stelle mir Folgendes vor..." Und dann kann man verhandeln. Und kann konkret fragen, ob und wobei die Kinder helfen können – und man kann Ihnen sagen, was man sich wünscht für den Fall, dass man krank wird.

Aber stattdessen gibt es oft nur diese albernen Versprechen "Verkauft bitte nie mein Haus, gebt mich nie in ein Heim", das belastet die Kinder doch nur und ist selten durchzuhalten. Alt zu sein heißt ja nicht, dass man unvernünftig wird und nicht realistisch auf die Tatsachen gucken kann.

Was ist denn noch wichtig im Alter – Ratschläge gibt es da ja genug. Fit bleiben, sich gesund ernähren, wie wichtig ist das?
Überhaupt nicht wichtig. Ich glaube nicht an ein langes Leben, ich glaube an ein schönes Leben. Das ist natürlich jetzt scharf formuliert – und wem das Spaß macht, der soll um Gottes Willen Sport machen. Ich habe Freundinnen, die behaupten, dass es ihnen wahnsinnig viel Spaß macht, tanzen zu gehen oder mit dem Theraband zu arbeiten. Aber ich lese halt lieber ein Buch. Und ich habe überhaupt keine Zeit mehr, mich um meine Gesundheit zu kümmern.

Warum ist das Thema dann so präsent?
Das hat ja viele Gründe – da stehen ganze Industrien hinter, die brauchen ja Kunden. Aber ich finde das befremdlich. Und es hat auch ernste, negative Auswirkungen: Weil es eben dazu führt, dass dieses ganz normale Altern, also mit Wehwehchen, nicht vorgesehen ist – und es dann auch keine Unterstützung gibt. Wir gehen alle immer davon aus, dass man im Alter topfit ist. Und wenn nicht, dann ist es deine Schuld. Und das stimmt halt nicht. Wenn ich mir den Paketboten hier anschaue, der zum Hungerlohn die Päckchen ausfährt – ob der mit 65 noch so fit ist, weiß ich wirklich nicht.

Was würden Sie Älteren dann stattdessen mitgeben?
Dass Sie das machen, was Ihnen wirklich Freude macht und wozu sie wirklich Lust haben – und nicht, was die Gesellschaft von Ihnen erwartet. Alte Leute sollen ja immer entweder cool sein oder niedlich. Und natürlich ganz aufopferungsvolle Großmütter, das ist für eine Frau ja überhaupt das beste. Aber vielleicht sieht das nicht jede so, vielleicht hat da jemand keine Lust zu. Und dann sollte man dazu stehen und das so machen – und nicht anders, nur weil es jemand einem geraten hat.