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Magengesundheit Ein bisschen Dreck sollte sein

Viele Bakterien sind für die Gesundheit des Menschen wichtig.

Von Uwe Seidenfaden 17.09.2016, 17:55

Magdeburg l Bakterien haben ein schlechtes Image. Vor hundert Jahren waren bakterielle Erkrankungen in Deutschland eine Haupttodesursache. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit durch Typhus, Cholera, Tuberkulose und andere Infektionen war um ein Vielfaches höher als heute. Das änderte sich erst ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts – nicht zuletzt durch den Einsatz von Antibiotika.

In den vergangenen sechs Jahrzehnten nahm die Zahl der Antibiotika-Einnahmen stetig zu. „Statistisch erhält heute jedes Kind eine Antibiotika-Behandlung pro Jahr“, so Dr. Martin Blaser, Professor für Mikrobiologie an der New York Universität. Der häufige Einsatz macht krankmachende Bakterien immun. Schwere Infektionen können nicht mehr bekämpft werden und nützliche Bakterien verschwinden, warnt der international renommierte Forscher auf dem am Sonnabend endenden Mikrobiom-Symposium, zu dem Prof. Dr. Peter Malfertheiner vom Magdeburger Uniklinikum in die Elbestadt eingeladen hatte.

Wie jeder Wald und jede Wiese hat auch jeder Mensch eine Vielzahl winzig kleiner Untermieter – zumeist Bakterien, Pilze, Viren und andere Einzeller. Ihre Zahl übertrifft die Zahl der körpereigenen Zellen um ein Vielfaches. Schätzungen gegen von etwa 100 Billionen Mikroben in jedem Menschen aus.

„Die meisten Untermieter schaden uns nicht“, so Blaser. Im Gegenteil: Sie helfen bei der Verdauung, wehren krankmachende Keime ab, schützen vor Allergien und sogar vor Fettleibigkeit. Viele positive Eigenschaften werden erst jetzt durch die Erforschung des „Mikrobioms“ – der Gesamtheit aller Mikroben im Menschen – entdeckt.

Vor mehr als 30 Jahren formulierten Mediziner erstmals die sogenannte Hygiene-Hypothese. Danach ist in den ersten Lebensjahren des Menschen der Kontakt zu im Boden lebenden Mikroorganismen wichtig. So wird das körpereigene Immunsystem geschult, die guten von den krankmachenden Keimen zu unterscheiden. Babys erledigen das ganz instinktiv, indem sie in der Oral- und Krabbelphase alles in den Mund nehmen, das sie mit ihren kleinen Händen greifen können.

Wird die normale bakterielle Besiedlung verhindert, sucht sich das Immunsystem andere, meist harmlose Gegner. Diese Kinder entwickeln Überempfindlichkeiten, Allergien und Asthma.

Der Darm ist das Organ mit den vermutlich meisten kleinen Fremdarbeitern im Körper. Ihre Zahl wird auf mehr als Tausend verschiedene Mikrobenarten geschätzt. Zum Vergleich: Im Magdeburger Zoo leben nur rund 180 Tier-Arten. Ohne die Darmflora würde die Verdauung nicht funktionieren. Neuere Forschungen zeigen darüber hinaus, dass das Darm-Mikrobiom Einfluss auf die Entstehung chronisch-entzündlicher Erkrankungen, auf das Körpergewicht und auf das Befinden eines Menschen hat.

Bevor die Nahrung in den Darm gelangt, muss sie durch den Magen. Früher hielten Chirurgen den Magen nur für einen Zwischenspeicher, der wie der Blinddarm ohne Folgen entfernt werden kann.

Heute verstehen Mediziner den Magen vielmehr als Türwächter, der viele krankmachende Bakterien vor der Passage zum Darm entschärft. Die Magensäure spielt dabei ebenso eine Rolle wie ein außergewöhnliches Bakterium namens Helicobacter pylori, das säuretolerant ist. H. pylori ist vermutlich schon seit vielen Jahrtausenden ein Magenbewohner beim Menschen. Die Übertragung des Bakteriums erfolgt meist im Kleinkindalter durch Mundkontakt. In jungen Jahren hilft H. pylori vermutlich, Allergien zu verhindern. Eine Rolle spielen dabei Genvariationen, die der moderne Mensch von den Neandertalern ererbt hat, berichtete Dr. Michael Dannemann vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie auf der Tagung.

Da der Keim im Erwachsenenalter meist zu Magengeschwüren und gelegentlich auch zu Magenkrebs führt, wird er in den Industrieländern konsequent bekämpft. Die Folge: Er wird immer seltener an Kinder weitergegeben. In den USA, Deutschland oder Schweden haben inzwischen nur noch etwa sechs Prozent der Kinder den Magenkeim. Doch Mikrobiologen wie Martin Blaser sehen darin nicht nur Vorteile. Er verweist auf epidemiologische Untersuchungen und Studien mit Mäusen, die einen Zusammenhang zwischen den sinkenden H.pylory-Infektionen und der Zunahme von allergischem Asthma, Fettleibigkeit und entzündlichen Erkrankungen der Speiseröhre nahelegen.

Von der Erforschung des Mikrobioms erhoffen sich die Wissenschaftler Erkenntnisse, die zu einem gezielteren Einsatz von Antibiotika führen. Dazu könnten vorbeugende bakterielle Impfungen für Kinder aus Allergikerfamilien gehören.