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Ausbildung Über den Tellerrand schauen

In der Ausbildung ins Ausland gehen - das ist doch nur etwas für Studenten, oder? Von wegen! Auch für Lehrlinge gibt es diese Möglichkeit.

12.11.2018, 23:01

Bonn/Berlin (dpa) l Im Handwerk ist es eine uralte Tradition, als fertiger Geselle auf der Walz neue Erfahrungen in fremden Gegenden zu sammeln. Aber auch während der Ausbildung ist es möglich, etwa als angehender Schreiner ein Praktikum in Italien einzulegen. Oder als Lehrling im Einzelhandel einmal zu sehen, wie in den USA gearbeitet wird. Denn nicht nur Studenten steht der Weg ins Ausland offen. Für Lehrlinge gibt es ebenfalls spezielle Förderprogramme, um über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Wie gehe ich vor?
Der erste Ansprechpartner ist der Ausbilder im Betrieb, bei schulischen Ausbildungen der Lehrer. "Die müssen dem zustimmen", erklärt Berthold Hübers von der Nationalen Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Eventuell bietet der heimische Betrieb oder die Schule bereits Aufenthalte in Niederlassungen oder Partnerschulen im Ausland an. Ansonsten können Azubis sich bei sogenannten Pool-Projekten bewerben, die Zugang zu Stipendien bieten und bei der Vermittlung von Praktikumsplätzen unterstützen. Auch die Industrie- und Handels- oder die Handwerkskammern sind Anlaufstellen für Azubis und helfen bei der Organisation und der Suche nach Förderungen, sagt Tamara Moll vom Projekt Berufsbildung ohne Grenzen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).

Welche Förderungen kann ich bekommen?
Das Programm Erasmus+ bietet Azubis finanzielle Zuschüsse für Aufenthalte in den EU-Ländern sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen, der Türkei und Mazedonien. Für andere Länder gibt es das Pilotprojekt AusbildungWeltweit, das 2017 vom Bundesbildungsministerium ins Leben gerufen wurde. Es gilt bislang jedoch nicht für schulische Ausbildungen. Außerdem gibt es noch binationale Programme, etwa mit Frankreich. In allen Programmen stellen nicht die Auszubildenden selbst einen Antrag, sondern die Betriebe, Berufsschulen, Kammern oder Bildungszentren.

Bekomme ich im Praktikum weiter meine Vergütung?
Ja. Wenn das Praktikum als Teil der Ausbildung gilt, bekommen Teilnehmer auch in dieser Zeit ihre Ausbildungsvergütung, erläutert die Informations- und Beratungsstelle für Auslandsaufenthalte in der beruflichen Bildung (IBS).

Wie lange darf mein Auslandspraktikum dauern?
Bei Erasmus+ ist eine Dauer von zwei Wochen bis zwölf Monaten vorgesehen. Meist handelt es sich um vier- bis sechswöchige Praktika, erklärt Hübers. Auch mehrere Aufenthalte sind möglich – bis zu einem Jahr nach Ausbildungsende. Bei AusbildungWeltweit ist die Zeit auf drei Wochen bis drei Monate beschränkt, erklärt die IBS. Das Berufsbildungsgesetz sieht zudem vor, dass Auslandspraktika maximal ein Viertel der Ausbildungszeit ausmachen sollten. Bei einer dreijährigen Ausbildung wären das bis zu neun Monate.

Wann ist der beste Zeitpunkt dafür?
Bei einer dreijährigen Ausbildung bietet sich das zweite Lehrjahr für einen Auslandsaufenthalt an, sagt Moll. Azubis müssen genug Vorlaufzeit einkalkulieren: "Idealerweise sollten sie ein Jahr vorher mit der Planung anfangen."

Wird mir das Praktikum für die Ausbildung angerechnet?
Ja, ein Praktikum mit Zustimmung des Ausbildungsbetriebs oder der Berufsschule wird voll angerechnet, erklärt Hübers. Unzulässig ist es dagegen, wenn Azubis für die Zeit im Ausland freinehmen sollen. "Ein Praktikum ist kein Urlaub." Der Auslandsaufenthalt ist auch nicht auf die Schulferien begrenzt. Laut BIBB bietet es sich aber an, das Praktikum zumindest teilweise in die Ferien zu legen, damit Azubis später weniger Unterrichtsstoff in der Berufsschule nachholen müssen.

Was bringt mir das?
Zum einen bringt es jungen Leuten persönlich etwas, neue Eindrücke zu bekommen und sich einmal außerhalb der Heimat zu beweisen. "Dadurch wird man selbstbewusster", sagt Hübers. Aber auch fachlich kann es einen voranbringen, etwa andere Arbeitsweisen kennenzulernen. Teilnehmer berichten Hübers zufolge, dass sie nach einem Aufenthalt mehr Spaß an ihrer Arbeit haben und bessere Chancen für sich sehen.

Wie verbreitet ist das Ganze?
Bisher legen erst wenige eine Auslandsstation in der Ausbildung ein: 5,3 Prozent der Lehrlinge in Deutschland haben dies 2017 mit dem Förderprogramm Erasmus+ getan, hat das BIBB ermittelt. Das sind immerhin deutlich mehr als früher: 2010 war die Quote mit 2,4 Prozent nur etwa halb so hoch.

Besonders zahlreich vertreten sind Industriekaufleute: 1788 der 17 352 Azubis waren während ihrer Lehre seit 2015 im Ausland. Das ist eine Quote von rund zehn Prozent, was die politische Zielmarke bis 2020 ist. Noch höher liegen die Werte in kleineren Berufen: Bei Investmentfondskaufleuten zog es 19 von insgesamt 27 Jugendlichen in die weite Welt, ein Anteil von gut 70 Prozent. Das beliebteste Ziel in Europa ist Großbritannien, gefolgt von den Niederlanden und Frankreich. Außerhalb von Europa steht die USA auf dem ersten Rang.

Welche Hürden gibt es?
Die Option ist noch nicht so bekannt, sagt Hübers. Der Gang ins Ausland ist für manche Jugendliche außerdem ein großer Schritt, auch wenn sie laut IBS für ein Praktikum die Landessprache nicht perfekt beherrschen müssen. Mitunter muss auch der Chef erst von der Idee überzeugt werden – gerade wenn er noch nie davon gehört haben sollte, erklärt Moll. 

Und wie mache ich das?
Im ersten Moment sind manche Betriebe vielleicht nicht begeistert davon, dass der Azubi fehlt und weiter Geld erhält. Dann sind gute Argumente gefragt. Ein Azubi kann etwa darauf verweisen, dass er die Erfahrung aus dem Ausland gut im Heimatbetrieb einbringen kann. Als Beispiele nennt das BIBB, wenn Lehrlinge hinterher mit Kunden besser auf Englisch sprechen können oder eine neue Software schon aus dem Praktikum kennen. Moll berichtet von einem Fall, da brachte der Bäckerlehrling ein neues Rezept für Macarons aus Frankreich mit. Ein Gewinn, auch für die Bäckerei. Für Betriebe sei so ein Auslandsaufenthalt daher eine Investition in die Zukunft.