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Bezug von ALG I bei Pflege von Angehörigen Berufliche Eingliederung darf nicht behindert werden

06.07.2009, 17:41

Zur Pflege ihrer Mutter wird eine arbeitslose Frau aus Wuppertal vorübergehend nach Genthin kommen. Sobald die Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wird, benötigt sie rund um die Uhr Betreuung. Ihre Angehörigen wollen sie "nicht abschieben, denn das hat sie nicht verdient".

Die Tochter könnte tagsüber in der Wohnung der Mutter die Pflege übernehmen, morgens und abends unterstützt von einem professionellen Pflegedienst. In Wuppertal aber sagte man der Arbeitslosen, dass sie dann dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehe und damit kein Arbeitslosengeld bekommen könne.

Berufstätige haben seit 1. Juli 2008 durch das Pflegezeitgesetz einen Anspruch darauf, sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Die rechtlich verbriefte Pflegezeit kann bis zu sechs Monate beansprucht werden – allerdings ohne Lohnfortzahlung. Und wie ist das für Arbeitslose geregelt? Auskunft erteilte die Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit.

Von einer selbständigen Tätigkeit ist nicht auszugehen, wenn die Pflege in erster Linie der Erfüllung sittlicher oder moralischer Pflichten dient, also eine zum Haushalt gehörende Person bzw. ein naher Familienangehöriger gepflegt wird. Diese Voraussetzung ist hier unstrittig, da eine Tochter ihre Mutter pflegen will. Eine weitere wesentliche Voraussetzung für den Bezug von ALG I aber ist die Verfügbarkeit für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das ist kein Problem, so lange die Pflege die berufliche Eingliederung nicht behindert. Der Arbeitslose hat zu erklären, dass die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger im Falle der Arbeitsaufnahme bzw. bei einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung, Weiterbildung oder Rehabilitation jederzeit sichergestellt ist. Dann "steht die Betreuung der aktuellen Verfügbarkeit nicht entgegen", so die Auskunft aus Halle.

Im Falle eines Arbeitsangebots muss die Betreuung von einer anderen Person übernommen werden können. "Kann ein Arbeitsloser diese Erklärung nicht abgeben, kann auch kein Arbeitslosengeld gezahlt werden, da dann Verfügbarkeit nicht gegeben ist und auch nicht unterstellt werden kann."

Für unseren konkreten Fall weisen die Experten darauf hin: Bei einem, wenn auch nur vorübergehenden Umzug nach Genthin wird die Agentur für Arbeit Genthin für die Leistungszahlung und Vermittlung zuständig, da die Arbeitslose dann in Genthin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat – auch wenn Wuppertal ihr Hauptwohnsitz bleibt. Endet ihr Anspruch auf ALG I, ist zu beachten: ALG II erhalten Hilfebedürftige, die erwerbsfähig sind. Zur Verringerung bzw. Beendigung der Hilfebedürftigkeit muss grundsätzlich jede Art von Arbeit angenommen werden. Dies gilt nicht, wenn ein Angehöriger gepflegt wird und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann.

Die Beurteilung, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer wegen der Pflegetätigkeit keiner Beschäftigung nachgehen kann, erfolgt unter Berücksichtigung des Pflegeaufwandes gemäß der festgelegten Pflegestufe. Bei Pflegestufe II wird davon ausgegangen, dass eine Tätigkeit von sechs Stunden täglich ausgeübt werden könnte. Die durch den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nachgewiesenen Einschränkungen hinsichtlich Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit sind einzelfallbezogen mit dem Ansprechpartner zu bereden. (goe)