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Morgen beginnt in Magdeburg eine Tagung über die psychosoziale Hilfen für Tumorpatienten Offen über Krebserkrankungen sprechen

30.11.2010, 04:16

Wie kann man mit Krebs leben? Wer hilft bei der Bewältigung der Lebenskrise? Anregungen soll eine Veranstaltung bringen, die morgen in Magdeburg beginnt. Mit dem Organisator, Professor Dr. Hans-Henning Flechtner, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum und am Klinikum Magdeburg, sprach Uwe Seidenfaden.

Volksstimme: Für fast jeden Menschen, der mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird, verläuft das Leben danach in anderen Bahnen. Dinge, die bislang wichtig waren, verlieren ihre Bedeutung. Andere werden hinterfragt. Die vermutlich häufigste Frage in diese Situation ist: Warum trifft es gerade mich? Wie sollten Betroffene und Ärzte damit umgehen?

Prof. Flechtner: Es ist eigentlich ohne Nutzen, viel darüber zu grübeln. Meist ist es im Einzelfall ohnehin nicht nachzuweisen, dass bestimmte Verhaltensweisen zu einer Krebserkrankung führten. Und selbst wenn beispielsweise ein langjähriger Raucher nach der Diagnose Lungenkrebs sein Mitverschulden eingesteht, hilft ihm das noch lange nicht bei der Bewältigung dieser Lebenskrise. Viel wichtiger ist nach der Diagnose eine Antwort auf die zentrale Frage zu finden: Wie gehe ich jetzt mit meiner Krebserkrankung um?

Volksstimme: Aber mancher Krebspatient möchte mit dieser Diagnose nicht seinen Lebenspartner belasten. Das ist doch verständlich, oder?

Prof. Flechtner: Die gut gemeinte Absicht erscheint nur auf den ersten Blick verständlich. Viel wichtiger ist aber das Vertrauen in die Belastbarkeit der Angehörigen und damit eine möglichst frühzeitige Information der Lieben.

Volksstimme: Gilt das auch für die eigenen Kinder oder Enkelkinder?

Prof. Flechtner: Gerade Kinder merken sehr schnell, dass etwas nicht stimmt. Und wenn niemand mit ihnen darüber spricht, dann suchen sie ihre eigene Erklärung. Sie phantasieren beispielsweise eigene Schuldanteile in die Veränderungen ihrer Eltern und Großeltern hinein. Das kann niemand wollen.

Volksstimme: Ich kann mir vorstellen, dass manche Patienten sich mit den zwangsläufigen Veränderungen in Familie und Beruf überfordert fühlen. Hat das nicht auch Einfluss auf die Therapieaussichten?

Prof. Flechtner: Die Krebskranken benötigen nicht nur medizinische Auskünfte über Behandlungsmöglichkeiten, sondern auch psychosoziale Unterstützung. Es ist zwar nicht erwiesen, dass bestimmte Umfeld- und Persönlichkeitsmerkmale einen Einfluss auf die Lebenserwartung haben. Wohl aber kann ein positives soziales Umfeld die Lebensqualität und die Mitarbeit im Rahmen der Therapie verbessern.

Volksstimme: Dabei helfen Ärzte?

Prof. Flechtner: Ärzte haben oft nicht ausreichend Zeit und sie sind nicht hinreichend ausgebildet, um sich mit den psychischen und sozialen Problemen Krebskranker zu beschäftigen. Leider sind geschulte Psychoonkologen hier zu Lande selbst in den Krebszentren noch immer die Ausnahme.

Volksstimme: Können nicht Seelsorger diese Lücke füllen?

Prof. Flechtner: Viele Menschen bei uns sind nicht konfessionell gebunden, so dass sie diesen Dienst nicht wahrnehmen.

Volksstimme: Benötigt also jeder Krebspatient auch einen Psychoonkologen?

Prof. Flechtner: Nicht zwangsläufig. Wohl aber sollte es dieses Angebot in den Krebszentren geben. Manche Patienten würden gerne nach der Diagnose über ihre Ängste sprechen. Andere benötigen psychosoziale Hilfen erst im Verlauf der medizinischen Therapie oder an deren Ende. Das ist individuell sehr verschieden.

Volksstimme: Und was ist mit jenen Krebspatienten, die in Depressionen verfallen und nicht in der Lage sind, selbst Hilfen zu erbitten?

Prof. Flechtner: Dann sollten Angehörige oder gute Freunde sich nicht scheuen, zum Beispiel Hilfe bei den Mitarbeitern der Psychosozialen Krebsberatungsstelle und der Magdeburger Krebsliga zu suchen.

Volksstimme: Haben Sie noch einen abschließenden Rat für Krebskranke und deren Angehörige?

Prof. Flechtner: Patienten sollten offen mit ihrer Erkrankung umgehen und ihre Erwartungen äußern. Angehörige sollten dem Thema Krebs nicht ausweichen und ihre praktische Hilfe bei der Bewältigung anbieten.