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Neue Zahlen Flüchtlingswelle rollt auf Land zu

Deutschland rechnet 2015 mit 800.000 Asylbewerbern. Davon kommen bis zu 23.000 Menschen nach Sachsen-Anhalt.

19.08.2015, 23:01

Magdeburg. Allein im Juli zählte die Zentrale Anlaufstelle in Halberstadt (Zast) 2183 Flüchtlinge – so viele wie in keinem Monat zuvor. Und die Zahlen steigen weiter. Die offiziellen Jahres-Prognosen wurden schon mehrfach angehoben: von 8000 auf zuletzt 11.500. Nun kommen weitere 10.000 hinzu. Für 2016 gehen die Bundes-Schätzungen in Richtung 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen, die nach Deutschland wollen. Knapp drei Prozent davon werden Sachsen-Anhalt zugeteilt: das wären mehr als 50.000.

Sachsen-Anhalts Landkreise fordern deshalb ein neues Verteilsystem. Künftig sollen nur jene Asylbewerber an die Landkreise verteilt werden, die gute Aussichten auf ein Bleiberecht haben – zum Beispiel Syrer. Derzeit werden aber wöchentlich 500 Menschen von der Zentrale in Halberstadt auf die Kommunen verteilt - darunter auch viele vom Balkan ohne Asylchance.

Die Landkreise kommen mit der Wohnunterbringung nicht hinterher. Salzwedels Landrat Michael Ziche (CDU) sagt: „Der Druck ist enorm. Wir brauchen viel größere Erstaufnahmekapazitäten, da darf man jetzt nicht zögerlich sein.“

Die Forderung der Kommunen ist aus Sicht der Landesregierung nicht erfüllbar. Denn: 65 Prozent der Asylbewerber werden abgelehnt. Die Verfahren dauern aber bis zu einem Jahr. Müssten alle in der Zentrale auf ihren Bescheid warten, bräuchte das Land mehr als 10.000 zentrale Betten. „Das funktioniert nicht“, sagt Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Halberstadt hat derzeit 1900 Plätze - viele leben in Zelten. Der Herbst steht vor der Tür. Bis Ende Oktober sollen 2200 Plätze mit festem Dach über dem Kopf da sein. Eine zweite Zast mit 1000 Plätzen kommt nach Halle. Stahlknecht will ein dritte mit weiteren 1000 Plätzen suchen. Eine vierte ist nicht ausgeschlossen.

Neu rechnen müssen auch die Finanzpolitiker. Derzeit hatten sie knapp 100 Millionen Euro für die Flüchtlinge eingeplant. Doch bei einem Kostensatz von 8600 Euro pro Kopf werden voraussichtlich fast 200 Millionen Euro nötig sein. „Wir müssen sehen, wo wir das Geld hernehmen“, sagt CDU-Fraktionschef André Schröder.

Nach den neuen Zahlen wird allein die Landeshauptstadt Magdeburg 270 Flüchtlinge pro Monat unterbringen müssen. Wie das funktionieren soll, weiß Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) noch nicht. „Wir können nicht zaubern. Das wird eine Riesen-Herausforderung.“ Trümper fordert, dass abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden. Von den rund 8200, die im ersten Halbjahr nach Sachsen-Anhalt gekommen sind, haben mehr als 2500 aus Albanien, Serbien und dem Kosovo über Asyl keine reelle Bleibechance. Von ihnen haben bisher 500 das Land freiwillig verlassen, abgeschoben wurden rund 400. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagt der Volksstimme: „Wir müssen die Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge minimieren.“ Er fordert mehr Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber.

Am Montag kommt der Innenausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Politiker aller Fraktionen kritisieren, dass die Bearbeitung der Asylverfahren zu lange dauert. Zuständig dafür ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – nach Volksstimme-Informationen sind bisher nur ein Bruchteil der 1000 Stellen, die 2015 für die Bearbeitung zusätzlich geschaffen werden sollen, besetzt.

„Hinzu kommt, dass abgelehnte Asylbewerber wieder einreisen und dann erneut Anrecht auf die gesamte Prozedur haben“, sagt CDU-Fraktionschef André Schröder. „Das ist ein Unding.“ SPD-Fraktionsvize Rüdiger Erben bekennt: „Für uns im Land geht es nicht mehr um die Kür, sondern um die Pflicht. Es wird bald Winter – wir müssen für Unterkünfte und Verpflegung sorgen.“

Die Kommunen suchen nach Lösungen. In Salzwedel wird eine „Notunterkunft“ errichtet, in denen Flüchtlinge nach Zuweisung von der Zast unterkommen sollen, bevor sie in Wohnungen ziehen. Landrat Ziche sagt: „Anders kommen wir nicht mehr hinterher.“