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Prozess „Ich sehe das jeden Tag vor mir“

Staatsanwältin und Verteidigerin fordern im Plädoyer vier Jahre Haft nach sexuellen Übergriff auf Magdeburgerin

Von Matthias Fricke 18.09.2015, 01:01

Magdeburg l Es ist die Nacht zum 8. März dieses Jahres, als sich die 49-jährige Magdeburgerin von einer Frauentagsfeier auf dem Weg nach Hause befindet. Dort wird sie Opfer eines Überfalls. „Ich habe Albträume und sehe das jeden Tag vor mir“, sagt die Frau am Donnerstag zum Prozessauftakt vor dem Magdeburger Landgericht aus. Sie ist deshalb noch heute in psychotherapeutischer Behandlung. Angeklagt ist ein 30-Jähriger wegen versuchter Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung.

Das soll sich in jener Nacht abgespielt haben: Es ist gegen 1.45 Uhr, als die Frau nur noch drei Minuten von ihrer Wohnung entfernt ist und ihr auf dem beleuchteten Fußweg in der Albert-Vater-Straße in Höhe einer Tankstelle ein Betrunkener entgegenkommt. Sie weicht dem Mann aus, fast bis zur Straße. Doch plötzlich steht er mit ausgebreiteten Armen vor ihr und greift zu. Mit aller Macht versucht sich die Magdeburgerin gegen den Angriff zu wehren, so dass beide auf die Straße stürzen.

„Ich habe dabei immer wieder ganz laut um Hilfe gerufen“, sagt das Opfer später. Der Betrunkene (mindestens 1,3 Promille im Blut) versucht immer wieder, auf die Frau zu gelangen. Dabei schlägt sie mit dem Hinterkopf auf den Asphalt, wobei eine fünf Zentimeter große Platzwunde entsteht. Sie spürt Schläge und immer wieder einen Würgegriff. Dann gelingt es dem Mann, seinen Arm um ihren Kopf zu legen und zuzuziehen. Die Gerichtsmedizinerin sagt dazu später im Prozess: „Das kann sehr zügig eine Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn zur Folge haben.“ Das 49-jährige Opfer erinnert sich: „Mir wurde schwarz vor Augen und ich habe Sterne gesehen.“ Offenbar wird sie kurzzeitig bewusstlos und befindet sich in Lebensgefahr. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Angreifer kein Wort zu ihr gesagt.

Nur kurze Zeit kommt sie wieder zu sich und blickt in die Augen des 15-jährigen Lukas. Er gehört zu ihren vier Rettern, denen es gelingt, das Schlimmste zu verhindern.

Sie hatten bei einer Freundin zusammen den Abend in einem angrenzenden Wohnhaus verbracht und hörten die Hilfeschreie am offenen Fenster. Sie konnten nicht sehen, was sich unten auf der Straße abspielt. Doch die Schreie gingen durch Mark und Knochen. Sie liefen eiligst herunter.

Während der 19-jährige Sebastian den Notruf der Polizei wählt, kümmern sich Maximilian und Domenic um den Angreifer. Dieser wehrt sich kaum, will aber nicht von dem Opfer ablassen. „Er war voll auf die Frau fixiert“, sagt einer der Jugendlichen später in der Verhandlung aus. Nur wenige Minuten später treffen die Polizeibeamten ein.

Der Angeklagte sagt zum Prozessauftakt: „Es tut mir leid, was ich getan habe. Ich habe zu viel Alkohol getrunken. Wenn ich es rückgängig machen könnte, würde ich das tun.“ Sexuelle Motive streitet er aber nach wie vor ab. Vorsitzende Richterin Claudia Methling gab den rechtlichen Hinweis, dass auch eine versuchte sexuelle Nötigung in Frage kommen könnte. Staatsanwältin Ruth Freitag fordert in ihrem Plädoyer vier Jahre Haft. Dem schließt sich auch die Nebenklage an. Am 30. September wird der Prozess mit dem Plädoyer des Verteidigers und der Urteilsverkündung fortgesetzt.