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Einbürgerung Nach 20 Jahren endlich Deutsche

Für eine 20-jährige Vietnamesin aus Wernigerode wird ein Traum wahr.

Von Matthias Fricke 19.09.2015, 01:01

Wernigerode l Duy Anh Bui Thanh hat es geschafft. Zwei Jahre lang läuft das Verfahren um die Einbürgerung der 20-Jährigen. Erst mit ihrer Volljährigkeit hat sie den Antrag stellen können. Nun soll sie ihre Urkunde erhalten.

Die Vietnamesin ist in einem Asylheim in Halle geboren worden und wuchs dort zweisprachig bei ihren Eltern zusammen mit den beiden Schwestern auf. Aus ärmlichen Verhältnissen heraus erkämpfte sie sich einen Studienplatz an der Hochschule Harz. Bisher hat sie die vietnamesische Staatsbürgerschaft. Anders als zum Beispiel in Amerika ist nicht jeder, der auf deutschem Territorium geboren ist, auch automatisch Deutscher.

Inzwischen studiert die junge Frau im 5. Semester Wirtschaftspsychologie in Wernigerode und hat gerade ein Praktikum bei Porsche zum Thema Chancengleichheit abgeschlossen.

Dabei ist ihr Lebenslauf das Gegenteil von dem: In den 80er Jahren kommt ihr Vater im Rahmen des Gastarbeiterabkommens in die DDR und holt seine Frau und Duy Anhs große Schwester nach. Mit der Wende verliert ihr Vater den Job. Die Familie beantragt Asyl. Ein Heim in Halle Südstadt bleibt zehn Jahre lang Domizil der Familie.

1995 wird Duy Anh geboren und geht in Halle erst in den Kindergarten und später zur Grundschule. „Ich kann mich nur daran erinnern, dass der Weg unglaublich lang war“, erinnert sie sich heute.

Erst im Jahr 2000 erhalten alle eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis und eine kleine Wohnung mit 50 Quadratmetern für die fünfköpfige Familie. Immer wieder wird damals das Mädchen gehänselt und als „Schlitzauge“ beschimpft. Dabei ist die Schülerin schon zu diesem Zeitpunkt besser als andere ihrer Klasse. Trotz guter Noten erhält sie keine Empfehlung für das Gymnasium. „Ich musste mir deshalb eine Schule mit Aufnahmeprüfung suchen“, sagt sie und entscheidet sich für das Latina-Sprach-Gymnasium in Halle. Die Affinität für Sprachen zahlt sich aus. Sie kann inzwischen lateinisch, englisch, spanisch, deutsch, vietnamesisch und französisch sprechen.

Das Abitur schafft die heutige Wernigeröderin mit einem Notendurchschnitt von 1,6. Weil die junge Migrantin schon im ersten Semester mit ihren Zensuren von 1,0 glänzt, erhält sie das Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Vorgeschlagen hat sie das Prüfungsamt. Es ist eine Begabtenförderung, so dass die 20-Jährige inzwischen nicht mehr auf Bafög-Unterstützung angewiesen ist.

„Lange habe ich mich gefragt, wo ich hingehöre“, sagt die seit einem halben Jahr Staatenlose. Inzwischen ist sich Duy Anh Bui Thanh sicher: „Ich verstehe mich als Teil des europäischen Abendlandes und fühle mich als Teil Deutschlands.“ Als Abiturientin und Studierende musste die junge Frau keine Deutschprüfung ablegen. „Der bürokratische Aufwand war dennoch in den vergangenen zwei Jahren enorm“, sagt sie.

Für die wirkliche Integration von Ausländern müsse noch viel getan werden, sagt Duy Anh Bui Thanh. Als vietnamesischer Staatsbürger habe sie sich oft benachteiligt gefühlt. Und sie sagt auch: „Gerade aus meiner Geschichte heraus bewegt mich das Flüchtlingsthema sehr. Dahinter stehen nicht Zahlen, sondern in erster Linie Menschen. Das muss sich jeder immer wieder verdeutlichen.“

Duy Anh Bui Thanh ist die Erste in ihrer Familie, die am Sonntag deutscher Staatsbürger wird. Ihre 14-jährige Schwester geht noch zur Schule. Ihre acht Jahre ältere Schwester wohnt in Deutschland, hat aber noch immer die vietnamesische Staatsbürgerschaft. Die 28-Jährige arbeitet als DJ. Ihre Eltern führen inzwischen einen kleinen Textilladen in Halle und haben ebenfalls eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.

So wie die vietnamesische Familie wohnen laut Innenministerium zurzeit 58 200 Ausländer in Sachsen-Anhalt. Etwa 40 Prozent sind EU-Bürger. Rund 23 000 leben davon bereits länger als acht Jahre hier. Flüchtlinge sind nicht eingerechnet.