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Insecta 2015 Zum Fressen gern

In Magdeburg wird erforscht, wie Heuschrecken und andere Insekten am besten genutzt werden können.

Von Martin Rieß 21.09.2015, 01:01

Magdeburg l Eine besondere Gattung von Insektenliebhabern trifft sich am Montag zu einer Konferenz in Magdeburg. Mehr als 100 Gäste aus Deutschland und Europa haben das Krabbelgetier zum Fressen gern: Es handelt sich um Forscher und Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, wie die Menschheit Heuschrecke, Soldatenfliege und Co. künftig besser nutzen kann – als Futtermittel und als Nahrung.

Organisiert hat die Insecta 2015 die Pilot Pflanzenöltechnologie Magdeburg, eine Einrichtung die seit Jahren für die Industrie forscht. Deren Chef ist Frank Pudel. Er erläutert, warum sich sein Institut diesem Thema widmet: „Die Weltbevölkerung wächst rasant. Und nicht nur das: Auch der Wohlstand wächst. Auch in Ländern abseits der traditionellen Industrienationen.“ Und Wohlstand bedeutet eben auch: Die Menschen wollen, was seit Jahrzehnten in Europa und in Nordamerika Standard ist: Regelmäßig tierische Eiweiße auf dem Tisch. „Das Problem ist nur: Wir ruinieren die Erde, wenn wir all die dafür notwendigen Nutztiere großziehen möchten.“ Grund: Bestenfalls ein Sechstel des auf dem Acker angebauten Eiweißes legen die klassischen Haustiere in Fett und Eiweiß an.

Frank Pudel sagt: „Eine Alternative ist die von vielen Menschen inzwischen bewusst praktizierte fleischarme oder fleischlose Ernährung. Doch das können wir den Konsumenten ja nicht vorschreiben.“ Insekten sind aus Sicht des Wissenschaftlers eine echte Alternative. Bei Insekten sieht dieser Wert wesentlich günstiger aus. Das oben genannte Verhältnis von eingesetztem und gewonnen Eiweiß kommt bei manchen Insekten einem Wert von 1:1 nahe.

Christian Spangenberg beschäftigt sich mit einem Klassiker der Insekten, die als Nahrungsmittel genutzt werden – den Heuschrecken. Er widmet sich zwei Arten. Zum einen den Wüstenheuschrecken. Zum anderen den Wanderheuschrecken – bekannt aus der Bibel als eine der Plagen und aus Meldungen aus dem Süden, wenn Schwärme der Insekten die Ernten der Bauern vernichten. Christian Spangenberg sagt: „Dabei sind die Heuschrecken nur eine Insektenart, die für den Verzehr geeignet sind.“ Knapp eine Million dieser Klasse der Gliederfüßer ist bislang wissenschaftlich erforscht – rund 1900 gelten als essbar.

Frank Pudel sagt: „Egal, was wir in Europa denken und welche Traditionen wir pflegen – rund zwei Milliarden Menschen nutzen heutzutage Insekten als Nahrungsmittel.“ Dabei nutzen sie aber in den seltensten Fällen gezüchtete Tiere. Vielmehr wird zumeist das genommen, was sich am Wegesrand findet.

Was die Heuschrecken-Kunde von Christian Spangenberg angeht, so stehen bei dieser derzeit zwei entscheidende Fragen im Vordergrund. Zum einen die zur Zucht. Zwar ist es keineswegs so, dass die Magdeburger in ihren Kellern Heuschrecken in einem großen Maßstab züchten. Wohl aber haben sie im süddeutschen Raum einen der größten Züchter von Heuschrecken in Deutschland als Partner gefunden. Der züchtet die Tiere für Besitzer von Reptilien. Viele der Kriechtiere verzehren nämlich Heuschrecken liebend gern.

Das Problem des Heuschreckenzüchters, der jeden Tag etwa 100 000 Tier „ernten“ kann: Die Reptilienbesitzer sind keine kontinuierlichen Abnehmer. Will heißen: Um ständig liefern zu können, muss der Züchter ständig zu viel Tiere züchten. Frank Pudel bringt es auf den Punkt: „Wenn eine Heuschrecke ausgewachsen ist, dann muss man sie nutzen. Wenn sie nicht mehr weiterwächst, dann frisst sie nur noch.“

Und dabei sind sie auch noch sehr sensibel, berichtet Christian Spangenberg: „Wenn ihnen etwas an der Nahrung nicht passt, dann verzehrt sie auch gern einmal eine andere Heuschrecke.“ Frank Pudel macht klar, worum es geht: „ Es müssen automatisierte Methoden gefunden werden, mit denen die Heuschreckenproduktion unter optimalen Bedingungen verzehnfacht werden kann.“ Die Lebendfutter-Produktion würde dann zum Randgeschäft.

Und die zweite aktuelle Frage stünde auf dem Programm: Wie lassen sich die Heuschrecken industriell verwerten? Das ist auch die Frage, die die PPM-Wissenschaftler am meisten interessiert. In den Anlagen, mit denen Ölsaaten erforscht und untersucht werden, lassen sich auch die zuvor tiefgefrorenen Insekten weiterverarbeiten.

Am Ende stehen derzeit im Falle der Heuschrecken drei Rohstoffe: Fette, Eiweiße und Chitin. Christian Spangenberg sagt: „Das Fett liegt in den Eigenschaften irgendwo zwischen Palm- und Olivenöl.“ Das heißt: In ihm sind viele ungesättigte Fettsäuren enthalten. Diese Substanz wäre also von großen Interesse nicht zuletzt für die Lebensmittelindustrie. Dennoch ist das Fett eigentlich nur ein Nebenprodukt. Hauptprodukt ist das Eiweiß. Es kann zu allem Möglichen weiterverarbeitet werden – vom Power-Energie-Riegel bis zum Hundefutter. Chitin wiederum ist ein spannender Stoff beispielsweise für die Medizin: Vom chirurgischen Faden bis hin zu Mitteln zur Behandlung vom Grauen Star bieten sich die Möglichkeiten. „Da ist aber noch viel an Forschungsarbeit zu leisten“, sagt Frank Pudel.

Um die Akzeptanz der Heuschrecken als Nahrung machen sich die PPM-Mitarbeiter übrigens nicht unbedingt Sorgen. Frank Pudel sagt: „Bei uns geht es ja für den heimischen Markt erst einmal vor allem um Futtermittel. Was Lebensmittel angeht, würden wir uns – allein schon aus lebensmittelrechtlichen Gründen – wohl erst einmal auf die Entwicklung für Partner in anderen Ländern konzentrieren.“ Christian Spangenberg meint derweil: „Auf der anderen Seite sind viele Menschen hierzulande wahrscheinlich schon weiter, als manch einer ahnt: Wenn wir zur Langen Nacht der Wissenschaft in Magdeburg geröstete Heuschrecken mit Schokolade und mit Curry verteilen, dann reichen sie nie aus. Wir könnten das Dreifache unters Volk bringen.“

Neben dem Blick auf einzelne Tierarten kommen aber auch andere spannende Ansätze bei der Insecta 2015 zum Zug: Zu Gast ist beispielsweise Caroline Schulze von der Burg Giebichenstein mit ihrem Vortrag „Falscher Hase – der Proteinsnack aus dem 3D-Drucker“. Mit dieser Idee hatte sie erst einen Bestform-Preis gewonnen. Frank Pudel sagt: „Es ist ja sicher eine gute Idee, aus nicht so ansehnlichen Rohstoffen einfach die gewünschten Formen zu drucken.“ So ähnlich, wie es heute schon bei Fischstäbchen oder Geflügel-Nuggets funktioniert. Und wer weiß: Vielleicht wird nach dem Siegeszug der Insekten durch die Küchen des Landes das Schweinefleisch in Schmetterlings- oder Heuschreckenformen gepresst, bevor es zubereitet und serviert wird.