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Lutz Trümper Kliche: "Austritt nützt rechtem Rand"

Lutz Trümpers Austritt aus der SPD hat überrascht. Politpsychologe Thomas Kliche ist sicher, dass Trümper damit nicht nur der SPD schadet.

Von Franziska Höhnl, dpa 18.10.2015, 13:47

Stendal (dpa) l Halle hat einen parteilosen Oberbürgermeister, Magdeburg seit wenigen Tagen ebenso. Der Politpsychologe Prof. Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal erklärt im Interview der Deutschen Presse-Agentur, warum die Entscheidung des Magdeburger OB Lutz Trümper, aus der SPD auszutreten, fast allen schadet.

Trümper ist nicht der erste parteilose Oberbürgermeister. Halle hat einen, viele kleinere Städte auch. Verlieren Parteien an Bedeutung?

Thomas Kliche: Ja, aber das läuft seit 30 Jahren. Parteilose Bürgermeister gab es schon in den 1980ern. Ich glaube, Trümpers Rücktritt hat tiefere Gründe. Kommunalpolitik ist ein heimliches Machtfeld geworden in den vergangenen 10 bis 15 Jahren. Diese Veränderung ist vielen Menschen noch gar nicht klar. Die Gemeinde ist für viele Versorgungsfelder ein ganz wichtiger Steuerungsort geworden. Und die Leute, die sie steuern, sehen oft ihre Leistung nicht gewürdigt und machen dann auch mal deutlich, dass sie Macht haben. Mir scheint, er hätte sich selbst auch für einen guten Spitzenkandidaten (für die Landtagswahl) gehalten.

Ist die Einzelperson, ausgestattet mit der Macht in der Kommune, dann doch wichtiger als die Partei?

Überzeugungen und Parteiprogramm – das ist ein brüchiges Gleichgewicht, bei jedem Parteimitglied. Das fordert immer die Abwägung: Wie wichtig sind mir bestimmte Werte, auf welche Kompromisse kann ich mich einlassen? Deshalb gibt es immer Austritte. Parteien werden nicht mehr durch die Lebenslage zusammengekittet wie früher die Arbeiterschaft. Je individualistischer die Menschen werden, je zersplitterter die Gesellschaft, desto mehr sinkt die Akzeptanz der Parteiendemokratie. Also, dass man in der Partei drin ist, dass man sie wählt und sich an sie gebunden fühlt. Und desto wichtiger wird – wie in einem À-la-carte-Restaurant – auszusuchen, was man dieses Mal speist, also, wen man wählt.

Was bedeutet dann Trümpers SPD-Austritt für die Partei?

Der ist verheerend. Das ist Wasser auf die Mühlen aller Rechtsextremen. Alle rechtsextreme Webseiten tönen: Wir haben es Euch doch gleich gesagt, die betrügen – mit Trümper als Kronzeugen. Das Misstrauen in die Partei wächst, aber auch in die komplizierten politischen Abläufe. Politik setzt ja auch Kenntnisse voraus, und die sind nicht weit verbreitet, wie viele Studien zeigen. Wenn nun jemand zurücktritt und sagt, das läuft alles schlecht, dann kommt bei den Menschen an: Dieser Betrieb ist nicht vertrauenswürdig. Das heißt, auch die Ausrichtung der Menschen an Parteien wird schwer geschädigt.

Schadet Trümpers Schritt über die SPD hinaus der Politik?

Er schädigt die SPD, er schädigt den politischen Prozess und er schädigt eine offene Auseinandersetzung über die Integration von Flüchtlingen. Weil in Sachsen-Anhalt eine große Koalition regiert, sind beide Regierungsparteien in der Schusslinie. Politik ist sowieso mühsam in einem Land, in dem es an Geld hapert, an Wachstum hapert und an Engagement hapert. Wo auch viele Menschen eine Konsum- und Dienstleistungshaltung gegenüber der Politik einnehmen. Also: Der Laden muss laufen, sorgt für Wachstum und haltet uns Ärger vom Hals, dann seid ihr gut und dann mögen wir Demokratie. Und so funktioniert Demokratie nicht.

Mit Blick auf die Landtagswahl verlieren alle?

Ja, alle, zuallererst die Sozialdemokraten. Denn Vertrauen in Parteien baut sich um so mehr über Personen auf, wenn die Menschen politische Prozesse nicht verstehen oder die Programme nicht so ernst nehmen. Und wenn bekannte Personen wegbrechen, bröckelt das Vertrauen in Parteien überhaupt.

Das heißt, am Ende nutzt es nur den Parteien am rechten Rand?

Ich sehe niemanden, der sonst etwas davon hätte. Trümper gewinnt ein wenig Freiheit durch seinen Austritt. Aber er hat immer schon mit einer Ratszusammensetzung von drei etwa gleichstarken Parteien regiert – also völlig bunt. Er hatte nie die sichere Mehrheit einer Partei und musste immer übergreifende Lösungen entwickeln. Die Parteien in Magdeburg haben kluger Weise meist auch Grabenkämpfe vermieden, um pragmatisch für die ganze Stadt zu arbeiten.

Wird das Regieren als Parteiloser dadurch leichter für Trümper?

Er wird ein wenig bündnisfähiger, weil keine Partei mehr fürchten muss, dass in erster Linie die SPD von seinen Erfolgen profitiert. Austritt ist deshalb ein gängiger Schritt, den viele Bürgermeister mit der süddeutschen Bürgermeisterverfassung gehen – auch in anderen Bundesländern.

Der Bürgermeister wird unabhängig vom Rat gewählt, hat viel Macht und ist so etwas wie der Gemeindepräsident. Da sagen Bürgermeister öfter mal: Was soll ich noch mit der Partei? Wer mit 70 Prozent gewählt ist und wohl seine letzte Amtszeit vor sich hat, dem kann nichts mehr passieren. Solche Stadtoberhäupter sind schwer kontrollierbar, manche treten wie kleine Könige auf. Sie versuchen sich Denkmäler zu setzen und werden autokratisch. Vielleicht war das nicht der letzte Schritt von Trümper, seine Spielräume zu nutzen.