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Müllskandal Millionen-Forderung für eine Aussage

Prozess gegen Ex-Landrat Finzelberg legt neue Details im Müllskandal offen. Staatsanwälte auf der Zeugenbank - es ging um sehr viel Geld.

11.11.2015, 23:01

Magdeburg l Anfang 2010. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mit Hochdruck im Müllskandal. Es gibt Hinweise, dass für die illegale Einlagerung hunderttausender Tonnen Müll in den Tongruben Möckern und Vehlitz (Jerichower Land) Bestechungsgelder geflossen sind. In dieser Zeit stoßen Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt auf einen sonderbaren Geschäftsmann. Der im Raum Genthin aktive Stefan E. behauptet, er habe Zugang zu Beweisen, dass ein Politiker bestochen worden sei. Von seinem Geschäftspartner Uwe S. habe Landrat Lothar Finzelberg (parteilos) hunderttausende Euro kassiert – für die Einflussnahme auf Genehmigungsverfahren zugunsten der Tongrubenbetreiber, die den Müll verfüllten.

Doch die Beweise wollte Stefan E. nicht umsonst liefern: Er verlangte eine Gegenleistung. Das Justizministerium war dazu bereit. 100.000 Euro wurden E. in Aussicht gestellt. Doch Anfang Februar platzte der Deal überraschend. E. forderte mindestens eine Million Euro vom Staat. Die Staatsanwaltschaft zweifelte an seiner Glaubwürdigkeit.

Etwa zur selben Zeit musste sich einer seiner Geschäftspartner, Uwe S. aus Genthin, vor Gericht verantworten. S. war auch den Tongrubenbetreibern bestens bekannt: Fünf Millionen Euro haben ihm die Betreiber gezahlt – unter anderem zur Vermittlung des Kontakts zu Lothar Finzelberg.

Im Juli 2010 wurde Uwe S. wegen mehrerer Vergehen zu einer siebenjährigen Gesamtfreiheitsstrafe (Brandstiftung, Subventionsbetrug) verurteilt. Weitere Ermittlungsverfahren (Bankrott, Steuerhinterziehung, Umweltstraftaten) stellte die Staatsanwaltschaft ein. Doch was geschah davor?

Heute ist klar, dass Uwe S. und die Staatsanwaltschaft in dieser Zeit einen Deal geschlossen haben. Dem Geschäftsmann drohte eine weit höhere Strafe. Doch weil er die Bestechung Finzelbergs einräumte und damit zur Aufklärung von Straftaten beitrug, erhielt er nur sieben Jahre. Uwe S. sagte aus, dass er Finzelberg im Auftrag der Tongrubenbetreiber dutzende Geldbeträge zwischen 10.000 und 60.000 Euro übergeben hat. Nach dreieinhalb Jahren kam er vorzeitig auf Bewährung frei.

Den dritten Tag im Prozess wegen Bestechlichkeit nutzte die Verteidigung am Mittwoch, um diesen Deal und die Vorgänge um Stefan E. in Zweifel zu ziehen. Auf die Zeugenbank mussten Oberstaatsanwältin Verena Borstell und Staatsanwalt Thomas Kramer. Sie haben im Müllskandal ermittelt.

Verteidiger Lucian Krawczyk setzte Borstell, die entgegen eines Antrages der Verteidigung weiter die Anklagebehörde vertritt, mächtig zu. Ob sie die richtigen Kriterien zur Ermittlung des „geringen“ Strafmaßes von sieben Jahren angewandt habe, fragte er. „Das Ziel einer Strafe ist die Resozialisierung“, verteidigte sich Borstell. Das Schuldeingeständnis sei ein erster Schritt dazu gewesen und müsse berücksichtigt werden. Außerdem hätte Uwe S. Beweise zur Bestechung Finzelbergs geliefert. „Ohne seine Aussage hätten wir einige Unterlagen nie gefunden“, sagte die Oberstaatsanwältin.

Auch Staatsanwalt Thomas Kramer bestätigte das: „Es war nicht so, dass wir blauäugig einem Kriminellen geglaubt haben.“ Die Aussage von S. hätte zu Beweisen geführt, sagte er. Kramer lieferte sich mit den Verteidigern einige heftige Wortwechsel – bis der Vorsitzende Richter Gerhard Köneke einschritt: „Genug der Fechterei in diesem Saal!“

Verteidiger Nicolas Becker zweifelt nicht nur an der Rechtmäßigkeit des Deals zwischen Staatsanwaltschaft und Uwe S., sondern auch an der Integrität und Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Er habe sich „quer durch das ganze Strafgesetzbuch betätigt“, sagte Becker. Die Verteidigung erhielt am Mittwoch eine weitere Bestätigung für ihre Auffassung: Die Staatsanwaltschaft räumte ein, dass es wegen eines neuen Deliktes ein Ermittlungsverfahren gegen Uwe S. gibt. Der Kronzeuge soll im Dezember aussagen.