1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Magdeburger Blume im Zentrum Berlins

Kunstwerk Magdeburger Blume im Zentrum Berlins

Das wichtigste Kunstwerk aus dem Palast der Republik ist für eine Stunde an seinen historischen Ort zurückgekehrt - zumindest als Modell.

Von Hagen Eichler 28.01.2016, 00:01

Berlin/Magdeburg l „Seit 163 Tagen unfallfrei“ steht auf der Tafel neben den weißen Baucontainern. Hinter einer Bretterwand ragen Kräne auf, dahinter die Fassade von Deutschlands größtem und teuerstem Kulturprojekt: Hier wächst das Berliner Schloss. Drei barocke Fassaden und ein Innenhof werden derzeit rekonstruiert. Von innen ist es ein moderner Bau, der die Kulturen der Welt präsentieren soll.

Auch ein Stück Kultur aus der DDR? Lässt sich auch das unfallfrei bewerkstelligen?

Zwei Dutzend Journalisten mit Kameras und Fotoapparaten gehen an diesem Mittwochvormittag genau dieser Frage nach. Ausstaffiert mit Bauarbeiterhelm, Warnweste und Gummistiefeln marschieren sie im Pulk über die Schlossbaustelle. Unter Gerüsten hindurch, über eine provisorische Holztreppe, vorbei an vier Meter hohen Fenstern, die an der Wand lehnen und auf ihren Einbau warten. Dann plötzlich, auf einem hüfthohen Holzpodest, steht die Gläserne Blume vor ihnen. Nur 51 Zentimeter hoch ist die Skulptur, 45 Zentimeter misst sie im Umfang. „Oh, so klein“, entfährt es einer Fotografin. Dann klackern die Kameras.

Die Gläserne Blume war der zentrale Blickfang im Palast der Republik, jenem Kulturhaus, mit dem die SED das selbsterzeugte Loch in Berlins Mitte zu füllen suchte. Ein Vierteljahrhundert nach Schließung des Palasts steht nun in dessen Nachfolgebau ein Modell dieser Blume, verkleinert im Maßstab 1:10. „Das hier ist der originale Ort“, verkündet Judith Prokasky. Sie ist die Leitende Kuratorin der Schloss-Stiftung, die als Bauherrin fungiert.

Einer fehlt bei diesem Fototermin: Reginald Richter, der Künstler. Von 1974 bis 1976 hatte er die Blume zusammen mit dem „Kollegium Glasgestaltung Magdeburg“ geschaffen. Von ihm stammt auch der Nachbau, der jetzt im Blitzlichtgewitter steht. Doch ausgerechnet diesen Tag muss der 84-Jährige im Krankenhaus verbringen, „wegen eines kleinen Eingriffs“, wie die beiden angereisten Söhne Andreas und Stefan sagen.

Die Frage, die den erkrankten Künstler ebenso umtreibt wie viele, die den Palast als Besucher erlebt haben, lautet: Wird die hier präsentierte Blume später in irgendein Depot weggeschlossen? Oder wird mehr daraus?

Stiftungs-Vertreterin Prokasky will sich nicht festlegen. „Wir halten es für ein spannendes Kunstwerk“, sagt sie auf Nachfrage – und bekräftigt, dass das 1990 demontierte und in Kisten verpackte Original ohne schwere Schäden nicht wieder aufzubauen sei. Und dann beruft sie sich auf Richter, den Abwesenden. „Er überlegt, ob eine variierende Neuschöpfung infrage kommt. Es gibt Möglichkeiten, das Kunstwerk umzubauen oder zu ergänzen, so dass ein neues Werk entsteht.“

Wie könnte das aussehen? Stefan Richter ergreift das Wort und erzählt von einem Laser, mit dem man Muster in das Innere von Glas schießen könne. Damit ließe sich das Original-Ornament heute nachahmen, sagt er.

Ob das reicht, um von einer Neuschöpfung zu sprechen? Der Grad der Veränderung könnte noch wichtig werden. Denn das von Richter erhoffte Comeback der Skulptur ist bedroht durch die heikle Frage nach der Urheberschaft. In Magdeburg gibt es einen weiteren Künstler, der einen Anteil an der Schöpfung der Blume reklamiert: Richard Wilhelm. Im Werkvertrag von 1974 sind beide Männer genannt. Wilhelm spricht daher von einem Gemeinschaftswerk. Richter allerdings will davon nichts wissen und beansprucht die alleinige Urheberschaft.

Mit seinem Nachbau ist es Richter, der nun in Berlin einen Fuß in der Tür hat. In einer am Mittwoch verteilten Pressemitteilung stellt sich die Schloss-Stiftung hinter ihn. Die Gläserne Blume „wurde von dem Künstler Reginald Richter (geboren 1931 in Wien) zwischen 1974 und 1976 entworfen“, heißt es in dem Papier.

Egal, was nun kommen wird: Allzu viel Zeit für eine Entscheidung haben die Schlossherren nicht. 2019 soll das Haus eröffnet werden, bis dahin muss das Nutzungskonzept stehen. Der meiste Platz wird der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für ihre außereuropäischen Sammlungen eingeräumt – aus diesem Grund trägt der Neubau den Beinamen Humboldtforum.

Daneben soll sich aber auch die 700-jährige Geschichte des Ortes spiegeln, an dem die Hohenzollern als Kurfürsten, Könige und Kaiser repräsentierten und später dann für einige Jahre die SED. Ein „Museum des Ortes“ ist geplant, unter anderem mit einem raumfüllenden Architekturmodell. Original-Exponate hingegen seien nicht geplant, sagt Kuratorin Prokorny. Immerhin sei das Haus der Geschichte nur wenige Meter entfernt.

Also doch kein Platz für ein Original-Zeugnis wie die Gläserne Blume? Prokasky legt sich nicht fest: „Das ist eine Frage, die man gemeinsam mit dem Gründungsintendanten entwickeln kann.“

Damit kommt der Mann ins Spiel, der Deutschlands wichtigstes Kulturprojekt in die Zielgerade bringen soll: Neil MacGregor. Der Schotte, der das ohnehin weltberühmte Britische Museum in London in neue Sphären geführt hat. Zu Jahresbeginn hat er seinen Dienst in Berlin angetreten, bis zum Frühjahr soll er sich einarbeiten und eine „Kernbotschaft“ für das Humboldtforum formulieren.

Im Rohbau des Schlosses ziehen unterdessen die Fotografen ab. Richters Söhne verpacken die Mini-Skulptur sorgsam und tragen sie hinaus. Der gewaltige Saal aus rohem Beton gehört nun wieder den Bauarbeitern.

Eines sei sicher, sagt die Kuratorin mit einem Blick auf das Modell: „Das gehört jetzt dem Museum. Das kann mir keiner mehr wegnehmen.“