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Buchverlag 70 Jahre mitteldeutsche Tradition

Die Geschichte des Mitteldeutschen Verlages war wechselvoll. Nun feiert das Haus 70. Geburtstag.

Von Grit Warnat 19.02.2016, 00:01

Halle l Besucher empfängt Roman Pliske gern in der Bibliothek seines Verlages. Regale voller Bücher und namhafter Autoren. Hier ist sie gegenwärtig, die große Tradition des Hauses. Harry Thürk und Christa Wolf, die einst sogar im Verlag arbeitete, Erik Neutsch und Günter de Bruyn, Werner Bräunig und Volker Braun. Alles fein sortiert nach Jahreszahlen und Alphabet. Im Jahr 1958 eingeordnet ein Exemplar der Erstausgabe des Buchenwald-Romans „Nackt unter Wölfen“. Das Buch von Bruno Apitz, einst Schullektüre, wäre mit Blick auf die Absatzzahlen heute ein Mega-Bestseller. Mit mehr als zwei Millionen Exemplaren, übersetzt in 30 Sprachen, ist das Apitz-Buch der größte Erfolg in der Verlagshistorie. Heute liegt eine hohe Auflage bei 5000. Der Markkleeberger Autor U.S. Levin mit seinen satirischen Texten kommt in diese Region.

Seit Oktober 2004 lenkt Roman Pliske die Geschicke des Hauses. Damals gehörten drei Leute zum Verlag, heute sind 13 Mitarbeiter beschäftigt, davon drei Lektoren und drei Grafiker. Pliske leitet damit den größten Verlag in Sachsen-Anhalt.

Pliske, 1970 in Berlin geboren, liebt das gedruckte Wort. Er ist mit Büchern aufgewachsen. Seine Mutter war Buchhändlerin, er kam schon lesend in die Schule, ist an Urlaubsorten jeden Tag in die Stadtbücherei gegangen. „Ich habe selbst beim Wandern gelesen“, sagt er. Später studierte Pliske Germanistik und Geschichte und arbeitete längere Zeit als Redakteur.

Ihn hatte, so erzählt er, der traditionsreiche Name angesprochen und die Möglichkeit, ein Programm zu gestalten und das Verlagshaus zu formen. „Der Name ist nicht nur Vorteil, er ist auch Bürde“, sagt der Geschäftsführer. Viele Menschen hätten mit dem Mitteldeutschen Verlag große Namen und große Auflagen verbunden. „Das konnte ich nicht mehr leisten.“

Die bekannten Autoren sind 1990, als es keine zwei Vertriebsgebiete mehr gab, zu ihren Westverlagen gegangen. Volker Braun war bei Suhrkamp, Christa Wolf bei Luchterhand, Günter de Bruyn bei Fischer. „Unser Verlag hatte zwar die Werke, aber die Rechte nicht mehr“, sagt Pliske. Mit dieser Hypothek ist das Unternehmen in die Insolvenz gegangen.

Anfang der 1990er Jahre startete das Unternehmen neu, legte Bildbände zu kulturell interessanten Sehenswürdigkeiten auf, Städte- und Themenbildbände folgten – ein Segment, das bis heute zum Verlagsgeschäft gehört.

Unter Pliske splittet sich das Programm in je ein Drittel Literatur, Reise inklusive des populären Bildbandes sowie Sachbuch. Klein und kostenaufwändig ist der Bereich Kunst.

Das Programm ist bunt, oft regional und reicht vom Mundartbüchlein aus Halle – innerhalb von drei Monaten ausverkauft – eine Geschichtsreihe der Berliner Verkehrsbetriebe, Bücher für die Stadtgeschichtsvereine in Magdeburg und Halle, Aufträge für das Sächsische Staatsarchiv bis hin zu „Uff‘n Bier“, ein Büchlein, für das sich Autoren in traditionelle Berliner Kneipen gesetzt und Geschichten aufgeschnappt haben.

Die Belletristik ist mit Pliske aber wieder zurückgekehrt ins Programm. Er spricht vom Image. Belletristik sei dafür wichtig. Man könne sich darum kümmern, wenn man woanders sein Geld verdiene. Aber er und seine Mitarbeiter lieben die Belletristik. Pliske nennt sie „ein liebes Kind“.

Erich Loest, der 2013 verstorbene Leipziger Autor, der nach dem Streit mit seinem Sohn komplett zu Steidl nach Göttingen gewechselt war, ist jetzt wieder im Programm der Hallenser zu finden. Loest, ein wichtiger Name in der deutschen Literatur, hatte in seinen letzten Lebensmonaten entschieden, dass „Gelindes Grausen“, sein Tagebuch 2011 bis 2013 im Mitteldeutschen Verlag erscheint. „Wir haben die Rechte bis zum Roman ,Nikolaikirche‘, sagt der Verlagschef. Sein Haus veröffentlicht immer wieder ein Loest-Werk, wenn es vergriffen ist. „Durch die Erde ein Riß“ wurde im Januar neu aufgelegt.

Und seiner Tradition der DDR-Autoren bleibt sich der Verlag treu. Harry Thürk ist mit seinem Kambodscha-Bürgerkriegs-Roman „Der schwarze Monsun“ wieder vertreten. Pliske: „Wir wollen das Werk aktuell halten.“

Während viele andere einstige DDR-Verlage von größeren West-Häusern aufgekauft worden sind, hat sich der Mitteldeutsche Verlag seine Selbstständigkeit bewahren können. 60 bis 70 Titel erscheinen pro Halbjahr – zu den großen Messetreffs der Branche in Leipzig und Frankfurt am Main gibt es ein Frühjahrs- und ein Herbstprogramm. Zum 60. Geburtstag des Verlages vor zehn Jahren waren es noch 30 Neuerscheinungen.

Der Umsatz liegt bei 1,3 Millionen Euro. Wenn das Geschäft ordentlich laufe, sagt Pliske, mache ein Buchverlag zwischen zwei und drei Prozent Gewinn. „Wir haben einen guten Namen, ein gutes Fundament, Stammpartner“, sagt er mit Blick auf die Zukunft. E-Book und Buchhandlungssterben im ländlichen Bereich machen der Branche zu schaffen, im Internet diktieren die Großen die Rabatte. Aber Pliske ist Optimist: „Wir haben Leser, die sehr buchaffin sind.“ Er setzt auf Menschen, die Wert legen auf ein schön aufgemachtes Buch, die auf Cover schauen, auf eine liebevolle Verarbeitung achten und Papier anfassen. „Ich bin mir sicher, die wird es in zehn Jahren auch noch geben.“