1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Zu wenig Wasser unterm Kiel

Elbe-Schifffahrt Zu wenig Wasser unterm Kiel

Wegen gesunkener Wasserstände lässt der Bund jetzt prüfen, ob die Mindesttiefe in der Fahrrinne der Elbe auf 1,40 Meter gesenkt werden soll.

Von Jens Schmidt 25.02.2016, 00:01

Magdeburg l 2015 war für Binnenschiffer auf der Elbe ein besonders mieses Jahr. Gut sechs Monate lang herrschten schlechte Bedingungen. Schlecht heißt: Die Fahrrinne bietet weniger als 1,60 Meter Wassertiefe. Im Abschnitt Magdeburg war das an 164 Tagen der Fall, im Abschnitt Wittenberg gar an 187 Tagen. Bei niedrigem Wasserstand können Schiffe weniger Fracht laden. Sinkt der Wert unter 1,60 Meter, ist die Grenze zur Unwirtschaftlichkeit nahe. Entsprechend dürr fällt die Tonnage aus: In Magdeburg wurden 2015 gerade mal 300 000 Tonnen registriert – nicht mal die Hälfte des Üblichen. Und von einst prognostizierten drei Millionen Tonnen ist das ohnehin weit weg.

1,60 Meter ist das Maß der Dinge in der Elbe. So viel Tiefe sollte die Fahrrinne mindestens bieten, damit Binnenschiffe gut beladen und damit wirtschaftlich durch den Fluss kommen. Verkehrspolitiker von Bund und Ländern haben daher schon 1992 das Ziel ausgegeben, dass dieser Wert an möglichst 345 eisfreien Tagen erreicht wird. Andersherum gesagt: An nur 20 Tagen im Jahr sollte dieser Wert unterschritten werden. Von diesem Ideal ist der Fluss weit entfernt. 100 und mehr Unterschreitungstage sind an einigen Elbstrecken keine Seltenheit.

Ändern könnte man das durch Staustufen, doch diese Bauwerke werden in Deutschland – anders als in Tschechien – abgelehnt: zu teuer, ökologisch schädlich, politisch nicht durchsetzbar. Als Alternative gelten Buhnen und Deckwerke – ins Wasser ragende, künstlich aufgeschüttete Landzungen und Uferbefestigungen, die den Fluss verengen und das Wasser tiefer machen. Doch auch da passierte bislang so gut wie nichts. Seit Jahren streiten sich Verkehrspolitiker und Umweltverbände. Kritiker lehnen den Ausbau ab, da die 1,60 Meter nur durch erhebliche Eingriffe zu erreichen seien.

Seit drei Jahren gibt es einen neuen Anlauf, um einen Konsens zwischen den tief zerstrittenen Parteien zu erzielen und ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Nun gibt es ein erstes Signal. Möglicherweise senkt der Bund das Mindestziel auf 1,40 Meter. Es laufen Untersuchungen. Dafür gibt es nicht nur politische Gründe.

Für einen zuverlässigen Transport brauchen Binnenschiffer auch in regenarmen Zeiten genügend Tiefgang. Sinkt der Wasserstand zu stark, beeinträchtigen Unebenheiten in der Flusssohle die Schifffahrt erheblich. Ab einem bestimmten Punkt geht gar nichts mehr. Niedrigwasser-Phasen kommen immer wieder vor. Die Frage ist, wie stark sie ausgeprägt sind. Ein wichtiger Gradmesser dafür ist das Mittlere Niedrigwasser – also der durchschnittliche Pegelstand in den trockeneren Zeiten. Dieses Mittlere Niedrigwasser ist in den letzten Jahrzehnten gesunken. Beispiel Magdeburg: In den 1970er Jahren lag es am Pegel Strombrücke im Schnitt bei 1,10 Meter. Das änderte sich in den 90er Jahren deutlich. Da ging es um etwa 20 Zentimeter zurück. Die Lage hat sich bis heute nicht gebessert. Im Gegenteil: Im Zeitraum von 2005 bis 2014 liegt das durchschnittliche Mittlere Niedrigwasser am Pegel Strombrücke bei nur noch 88 Zentimetern.

Der Unterschied ist erheblich. Bei einem Pegel von 1,10 Meter bietet die tiefer liegende Fahrrinne den Schiffen etwa 1,70 Meter Wasser. Bei einem Pegel von knapp 90 Zentimetern aber nur noch etwa 1,50 Meter – also weniger als die angestrebten 1,60 Meter.

Wie sieht es an anderen Abschnitten der Elbe aus? Fachleute haben anhand von Pegelständen und Durchflussmengen errechnet, welcher Wasserspiegel das Jahr über mindestens herrscht. Und zwar für den gesamten Fluss, für alle Pegelstellen. Die Fachwelt spricht vom „Gleichwertigen Wasserstand“, kurz GlW. Dieser GlW wird in bestimmten Zeitabständen aktualisiert. Er spielt eine zentrale Rolle für die Frage, ob und was an der Elbe gebaut wird. Ergebnis: Der aktuelle GlW liegt fast überall im Schnitt 20 Zentimeter niedriger als der letztgültige GlW von 1989.

Die Wasser- und Schifffahrtverwaltung sieht dafür zwei Gründe: Die Rechenmethode wurde verfeinert. Und: Es gelangt weniger Wasser in die Elbe als früher. Hauptursache: Die seit 1989 zurückgehende Braunkohle-Förderung.

Damit die Tagebaue nicht absoffen, wurde Grundwasser abgepumpt. Das gelangte auch in die Elbe. Das ist vorbei. Fehlendes Tagebauwasser mag nur einen kleinen Anteil an der Gesamtwassermenge ausmachen, aber in Zeiten, in denen es ohnehin wenig regnet, ist es spürbar: „In Niedrigwasserzeiten schlägt das zu Buche“, sagt Burkhard Knuth von der Generaldirektion Wasserstraßen- und Schifffahrt. Er ist der Dezernatsleiter in der Ost-Außenstelle der Bundesbehörde in Magdeburg. Die Erkenntnis hat Folgen. Würde das Mindestmaß für die Fahrrinne gesenkt, hieße das: Weniger Ausbau, geringere Kosten – aber auch geringere Tonnagen für die Binnenschiffer. Die Bundesanstalten für Wasserbau Karlsruhe und für Gewässerkunde Koblenz sind beauftragt, verschiedene Varianten zu untersuchen. Zu klären ist etwa, was zu tun ist, um für die Fahrrinne ein durchgehende Mindestmaß von 1,40 Meter zu bieten.

Nach Volksstimme-Informationen werden aber auch Mischvarianten diskutiert. Denkbar wären 1,40 Meter für den Oberlauf von Dresden bis Magdeburg sowie 1,60 Meter für den Unterlauf von Magdeburg bis zum Stauwehr Lauenburg/Geesthacht.

Die Untersuchungen und Berechnungen sind aufwändig: Drei bis vier Jahre werden wohl ins Land gehen, ehe ein Resultat vorliegt. Voraussichtlich werden wieder große Elbmodelle gebaut, wie das in den 90er Jahren schon einmal für die Magdeburger Strecke gemacht wurde.

Auch Wetterextreme verhindern einen kontinuierlichen Wassernachschub. Beispiel 2015: Der Winter 2014/15 war schneearm, im Frühjahr fehlte Regen. Aus dem Riesen- und Erzgebirge kam zu wenig Wasser. In der Region Magdeburg war es in den Monaten Februar, April, Mai, Juni und September knochentrocken. Zwar regnete es an einigen Tagen wie aus Eimern, so dass das Wasserdefizit über das ganze Jahr gesehen statistisch ausgeglichen wurde. Doch ein paar Wolkenbrüche besserten die Lage bis weit in das Jahr hinein kaum. Das Wasser fiel an etlichen Pegeln auf Rekordtiefststände.

Sachsen-Anhalts Landesumweltamt stellt in seiner jüngsten Klima-Analyse eine Tendenz zu trockeneren Frühjahren fest. Verglichen wurden die Zeiträume 1951 bis 1980 mit 1981 bis 2010 an verschiedenen Wetterstationen im Land. Überall gingen die Niederschläge in den Monaten April bis Juni zurück – zum Teil um bis zu 25 Prozent.

Besonders problematisch sieht es in Wittenberg am Elbabschnitt 4 aus. Da ging das Mittlere Niedrigwasser in den vergangenen 30 Jahren um 43 Zentimeter zurück: von 1,65 Meter auf 1,22 Meter. Hier kommt ein weiteres Problem hinzu: eine instabile Sohle. Die Schifffahrt spricht von der Erosionsstrecke. Die Elbe fließt hier sehr schnell und gräbt sich immer tiefer ein. An solchen Gefällestrecken bilden sich Untiefen. Die Fahrrinne unterschreitet hier deswegen noch viel öfter als anderswo die gewünschten 1,60 Meter. 2015 an 187 Tagen, im Jahr davor an 177 Tagen – selbst im Flut-Jahr 2013 wurde die Marke an 50 Tagen nicht erreicht.

Um die Erosion zu bremsen, würden Wasserbauer „Geschiebe“ – also Kiese – zugeben, die Sohle mit schwerem Gesteinsmaterial stabilisieren und Sohl-Schwellen einbauen. Zudem würden sie Buhnen umgestalten, um das Fließtempo der Elbe bei höheren Wasserständen zu drosseln. Das entgegengesetzte Problem herrscht flussabwärts zwischen Wittenberge und Dömitz.

Im Elbabschnitt 8 fließt der Fluss sehr langsam, immer wieder entstehen Sandbänke. Fachleute sprechen von Unterwasserdünen, die durch den Fluss wandern, so dass sich die Lage der Fahrrinne laufend ändert. Auch hier sehen Wasserbauingenieure eine technische Abhilfe: In diesem Abschnitt müssten die Buhnen verlängert werden, damit der Fluss bei Niedrigwasser schneller wird und er die Ablagerungen besser wegtransportiert. Zugleich müsste die Sohle stabilisiert werden, damit sich die Elbe nicht eingräbt wie im Oberlauf. Ein kniffliges wie umstrittenes Unterfangen. Denn gräbt sich der Fluss ein, sinkt das Grundwasser und es leiden die ökologisch hoch wertvollen Auen.

So gravierend die Umweltfragen und Schiffs-Nadelöhre in der Elbe sind – die geschätzten Investitionskosten sind es offenbar nicht. Der kleinere Variante (1,40 Meter) kostet nach ersten Schätzungen gut 40 Millionen Euro, die Misch-Variante (1,40 Meter/1,60 Meter) knapp 50 Millionen Euro. Selbst 50 Millionen Euro sind im Verkehrswegebau nicht viel Geld; dafür bekommt man heutzutage keine 10 Kilometer Autobahn. Dass der Aufwand finanziell nicht all zu hoch ist, liegt auch daran, dass es nur einige Eng- und Schwachstellen gibt. Nur etwa 5 Prozent der Fahrrinne gelten als besonders problematisch, der größte Teil der Strecke ist in Ordnung. Doch die flachste Stelle ist für die Schifffahrt die entscheidende.

Die Binnenschiffer sind daher alles andere als begeistert, wenn das Mindestziel auf 1,40 Meter abgesenkt würde. „Begrüßen würden wir das nicht“, sagt Stefan Kunze, der für den Bundesverband der Binnenschiffer spricht. „Aber wenn wir künftig eine zuverlässige Fahrrinnentiefe hätten, wäre schon viel gewonnen.“

Entspannt wird die Lage etwas durch einen Trend zu leichterer Fracht: mehr Getreide und Pellets, dafür weniger Kohle. Außerdem werden zunehmend Windturbinen transportiert. Die sind für die Straße zu sperrig, bringen den Binnenschiffern ordentlich Geld, verursachen aber nicht viel Tiefgang. Außerdem gibt es die Möglichkeit, auf der Elbe Schubleichter einzusetzen. Das ist ein Verband, auf dem die Ladung auf einer größeren Fläche verteilt wird. Der Schubverband braucht daher weniger Tiefgang als ein Motorgüterschiff. Doch moderne Fahrzeuge werden erst dann produziert, wenn die Elbe berechenbarer wird als heute.

Lohnt sich der ganze Untersuchungsaufwand eigentlich? Sind die Kritiker und Ablehner nicht ohnehin gegen jegliche Veränderung am Fluss? „Ein Kompromiss ist sehr wohl möglich“, sagt Steffi Lemke, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Dessau. „Alle sollten begreifen, dass die Stabilisierung der Sohle das Wichtigste ist. Das hilft der Natur wie auch der Schifffahrt.“

Allerdings wird noch viel Wasser die Elbe runterfließen, ehe sich die Lage für die Schifffahrt auf der gesamten Strecke bessert. Selbst wenn sich alle am Runden Elbe-Tisch einigen sollten, erwarten Binnenschiffer Klagen von Umweltverbänden. Vor Mitte der 20er Jahre rechnet die Binnenschiffer nicht mit einer durchgreifenden Besserung.

Dass es etwas bringt, Buhnen und Anlagen in Schuss zu halten, um auch bei geringeren Wasserspiegelständen genügend Tauchtiefe in der Rinne zu halten, zeigen die Magdeburger. Auf der Stadtstrecke haben sich die Bedingungen sogar etwas verbessert. Das zeigt die Statistik, die genau auflistet, an wie viel Tagen weniger als 1,60 Meter in der Fahrrinne herrschten. In den 20 Jahren zwischen 1986 und 2005 war das im Mittel an fast 100 Tagen im Jahr der Fall. In den vergangenen zehn Jahren zwischen 2006 und 2015 sank die Zahl der schlechten Tage auf durchschnittlich 52.