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Katrin Budde Einsam an der Spitze

Am 13. März wird ein neuer Landtag gewählt. Die Volksstimme stellt SPD-Spitzenkandidatin Katrin Budde vor.

Von Jens Schmidt 06.03.2016, 04:00

Magdeburg l Katrin Budde steht mit ihrem bunten Wahlkampfwagen mitten in Magdeburg. Die Mitarbeiter kriegen Küsschen. Standardbegrüßung bei der SPD-Chefin. Ein junger Mann wünscht ihr viel Glück, erzählt, dass er Maschinenbaustudent ist. Budde gibt High Five, Hände klatschen aneinander. „Hey, das habe ich auch studiert.“ Ein älterer Magdeburger schimpft, dass die Schule in seinem Viertel geschlossen wurde. Katrin Budde erklärt geduldig, dass das an der niedrigen Geburtenzahl liegt, nicht am bösen Willen. Der Mann schimpft weiter, nimmt aber dann doch einen Flyer mit. Ein anderer Passant ruft im Vorbeigehen: „Ich wähle Sie.“

Liefe es so fröhlich wie am Wahlstand, die SPD müsste sich keine Sorgen machen. Doch es läuft nicht gut.

1,5 Millionen Euro gibt die Partei dieses Mal für ihren Wahlkampf aus. So viel wie nie. In Umfragen liegt die Volkspartei deutlich unter 20 Prozent. So wenig wie nie in Sachsen-Anhalt. Es droht sogar ein Abstieg auf Rang vier – hinter die AfD. Besonders bitter: Nicht mal die eigenen Anhänger sind von ihrer Spitzenfrau überzeugt. Nur 49 Prozent Zustimmung bekommt Katrin Budde in Umfragen; 60 Prozent der SPD-Anhänger sind eher mit dem CDU-Amtsinhaber zufrieden. Und das, obwohl Reiner Haseloff nicht gerade den Ruf eines strahlenden Landesvaters genießt.

Über Katrin Buddes Wahlkampf steht der Slogan: „Es wird Zeit.“ Zeit für gute Arbeit, für gleiche Chancen, für gute Bildung, Zeit für starke Hochschulen. Alle paar Tage wird auf Großplakaten eine neue Ära angekündigt. Auf Visitenkarten der SPD-Direktkandidaten wird das so zusammengefasst: „Es wird Zeit für gute Politik.“ Es sind verstörende Botschaften. Nicht nur fürs Wahlvolk, das sich nach zehn Jahren mitregierender SPD fragt: Alles soll jetzt gut werden? Was haben die denn die ganze Zeit gemacht? Auch etliche SPD-Genossen sind nicht glücklich: „War denn alles schlecht?“ Einige weigern sich, die Karten zu verteilen.

Die Sozialdemokraten sitzen seit 2006 am Regierungstisch. Und obwohl nur Juniorpartner, haben sie der CDU eine Menge abgetrotzt. Rückkehr zum Ganztagsanspruch für alle Kinder in den Kitas, Gemeinschaftsschulen, ein Vergabegesetz gegen Lohndumping – die Union ging bis an den Rand des Profilverlusts und stimmte zähneknirschend zu. Doch von diesen Erfolgen erzählt Buddes Wahlkampf nicht viel.

Natürlich gibt es neue Ziele; mehr Ganztagsschulen, begrenzte Kita-Gebühren, mehr Wirtschaftswachstum. Aber der Versuch, eine ganze Periode indirekt als ungut zu stempeln, kommt nicht gut. Katrin Budde wirkt wie eine Oppositionspolitikerin, obwohl sie an der Spitze einer Regierungspartei steht. Sie ist seit 2006 Fraktionschefin und seit 2009 Parteivorsitzende. Auch ihre Strategie, sich vom Ballast des strengen Spar-Generals, ihres Genossen und Finanzministers Jens Bullerjahn zu trennen, brachte ihr bislang keinen Auftrieb. Mehr Polizisten und mehr Lehrer fordern mittlerweile alle – sogar die CDU.

Nun hat Katrin Budde nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie offen für einen Wechsel ist. Die CDU überholen zu wollen, sah sie als unrealistisch an, weswegen die SPD nur in einem rot-rot-grünen Bündnis eine gute Chance haben würde, nach 14 Jahren in die Staatskanzlei zurückzukehren: mit ihr als Ministerpräsidentin.

Doch gleich zu Beginn dieser Überlegungen unterlief ihr ein taktischer Fehler. Schon 2013 erklärte sie: Sollte die Linke stärker werden als die SPD, würde sie persönlich nicht als Ministerin in einem rot-roten Kabinett zur Verfügung stehen. Sie begründete das mit der Zwangsvereinigung von SPD und KPD im Osten Deutschlands zur SED. „Die SPD darf sich nicht ein zweites Mal schlucken lassen.“

Das alles geschah 1946. 70 Jahre später wirkt das nicht mehr überzeugend. Auf Anhänger eines Regierungswechsels wirkt es sogar befremdlich, die heutige Linke in die Nähe allmachtstrebender Kommunisten zu rücken. Und ein Tabubruch wäre ein dunkelroter Ministerpräsident auch nicht mehr, seitdem selbst die eher konservativ tickenden Thüringer mit Bodo Ramelow einen Linken als Regierungschef akzeptieren.

Nun mag Katrin Budde gute persönliche Gründe haben, warum sie unter dem selbsternannten Frauenversteher Wulf Gallert nicht dienen mag. Gallert, der Ministerpräsidentenkandidat der Linken, wirkt oft unnahbar, bisweilen arrogant. Auch ist klar, dass eine Fraktions- und Parteichefin weitaus wirksamer korrigierend eingreifen kann als eine in Kabinettsdisziplin gefangene Ministerin. Derlei Überlegungen sind alle legitim, nur hätten sie ihr innerstes Ich nicht verlassen sollen. Wer sich einerseits so klar für ein linkes Regierungsbündnis öffnet wie Katrin Budde, den Spitzenmann der Linken aber – gewollt oder nicht – in ein fahles Licht rückt, verkompliziert seine Botschaft. Wähler, die einen Wechsel wollen, können sich bei der SPD nicht sicher sein, ob sie ihn auch bekommen.

Dabei ist Katrin Budde eine erfahrene Politikerin. Mit 25 startete sie 1990 als jüngste Abgeordnete ihre berufspolitische Karriere im Landtag. Gern legte sich die junge Ostdeutsche mit „den Welterklärern aus dem Westen“ an, wie sie sagt. Dazu gehört FDP-Wirtschaftsminister Horst Rehberger aus dem Saarland. Fast durchgängig agierte sie in der vordersten Reihe. Am Ende der Höppner-Regierungszeit war sie für ein Jahr Wirtschaftsministerin. Sie gilt als enorm kommunikativ und offen. Sie ist ein Familienmensch. Trotz voller Terminpläne gehört an Wochenenden mindestens ein Tag der Familie mit den beiden Töchtern. Manch ein Arbeitstier in der Partei findet das eigenartig, andere finden es sehr sympathisch. Ihr wurde zugetraut, vielen Menschen zuzuhören und viele innerhalb der Partei einzubinden. Vor einem Jahr wählte die SPD sie zur Spitzenkandidatin.

Doch über ihren engsten Beraterkreis hinaus gelang es ihr offenbar nur schwer, genügend starke Leute zu binden. Statt „Seit‘ an Seit‘“ zu marschieren, stellen sich die Genossen immer wieder Beine. Sie und ihr engster Kreis beklagen das. Andere konstatieren hingegen Beratungsresistenz. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Doch es sollte eine erfahrene Politikerin schon stutzig machen, wenn andere erfahrene Politiker sie Mitte 2015 vor einer Wechselkampagne warnen und auf Kontinuität setzen. Nun ist von Jens Bullerjahn nichts anderes zu erwarten. Wenn aber auch der versierte Magdeburger Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka für Stabilität wirbt, dann lässt das aufhorchen. Ausgerechnet Lischka, der jahrelang größte Sympathien für ein rot-rotes Bündnis äußert, doch seit der Flüchtlingskrise fest an Merkels Seite steht, fester als er es selbst je geahnt hätte. Bullerjahn, Lischka, aber auch Genossen an der Basis spüren, dass in dieser krisenhaften Situation keine Zeit für einen Wechsel ist. Dass die beiden das öffentlich in der Volksstimme sagten, empfindet Katrin Budde als Hineingrätschen. Bullerjahn hat sich bei ihr entschuldigt, Lischka versuchte, das Ganze als Missverständnis zu relativieren.

Doch es kam noch heftiger. Im Oktober, fünf Monate vor der Wahl, trat der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper aus der SPD aus. Im Streit mit ihr über die Flüchtlingsfrage. Trümper setzt auf Begrenzung und stützt Haseloff. Sie ist vehement dagegen. Trümpers Austritt richtet sich nicht gegen die Sozialdemokratie, er richtet sich klar gegen Katrin Budde. Der in Magdeburg weithin anerkannte und dreimal gewählte OB stellt sich gegen die Spitzenkandidatin aus Magdeburg.

Spätestens ab da wirkt die Frau an der Spitze so ziemlich alleingelassen.

Warum das passiert, kann sich Katrin Budde auch nicht völlig erklären. Vielleicht ist es ja eine Mann-Frau-Sache. Ihr fällt auf: Wenn ein Mann kandidiert, erwarten alle volle Rückendeckung. „Ich habe die immer gegeben“, sagt sie. Auch wenn sie nicht mit allem einverstanden war. 2011 etwa, als Bullerjahn den Parteibeschluss ignorierte und sich kurz vor der Wahl plötzlich klar für eine Koalition mit der CDU entschied. Sie hat sich geärgert, aber den Mund gehalten, um die Wahlchancen nicht zu schmälern.

Nun löst Katrin Budde Konfliktsituationen auch nicht immer auf die sanfte Tour. 2013 bremste sie ihren Finanzminister, als er bei den Hochschulen kürzen will. „Budde stoppt Bullerjahn“ titelte die Mitteldeutsche Zeitung. Das tat weh.

Bullerjahn steckt so etwas weg. Nicht aber Norbert Bischoff. Der SPD-Sozialminister hatte 2012 mit dem neuen Kinderfördergesetz eine besonders harte Nuss zu knacken. Gegenwind bekam er ausgerechnet aus der SPD-Fraktion. Die drohte ihrem eigenen Minister, seine Vorlage zu verwerfen und einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Höchststrafe.

Nun kam der Pfeil zurück. Katrin Budde schlägt im Wahlkampf vor, die rasant steigenden Kita-Gebühren zu deckeln. Auf maximal 190 Euro im Monat, mehr als das Kindergeld darf das nicht kosten. Eine Obergrenze für Gebühren – das hätte das Zeug zu einem Wahlkampfknüller. Doch kaum auf dem medialen Markt, wird der Vorstoß kleingeschossen. Auch von Bischoff. Zu teuer, nicht bezahlbar.

Budde hatte zuvor mit ihm darüber telefoniert, ja, aber ein vertieftes Gespräch, ein Durchrechnen, eine kampagnenfeste Strategie hat es dazu nicht gegeben. Egal, sie wirft die Idee dennoch auf den Nachrichtenmarkt. Manche finden das dickköpfig. „Wir wollen eine Ministerpräsidentin, keine Königin“ – bekommt sie zu hören. „In der Partei reden viele mit, aber die meisten aneinander vorbei“, konstatieren langjährige Mitarbeiter.

Das Dilemma rührt wohl auch daher, dass vielen Genossen der unbedingte Wille zur Macht abhanden gekommen ist. Sie haben sich mit der Juniorrolle an der Seite der CDU abgefunden. Andere, willensstarke Typen, haben keine Lust auf Landespolitik. Lischka will in Berlin bleiben, Trümper winkt seit Jahren ab. Manche schweigen auch oder sagen nicht mehr viel. Selbst die Mitstreiter aus dem Kompetenzteam wirken auffallend unauffällig. Nur der quirlige Innenpolitiker Rüdiger Erben setzt außer Katrin Budde jetzt noch medienwirksam Themen.

Ob am Wahlstand oder am Lesertelefon, Katrin Budde wirkt trotz der misslichen Lage entspannt. Äußerlich. In ihrem Innern sieht es freilich anders aus, gesteht sie. In solchen Momenten ist sie manchmal traurig, dass die Politik so viel Zeit fraß, die sie gern für die Familie gehabt hätte.

In acht Tagen ist der Wahlkampf vorbei. Ein Kampagnen-Spruch lautet: „Es ist Zeit für Katrin Budde“. Wofür, bestimmen am nächsten Sonntag die Wähler. Und ab Montag die Partei. Die Kandidatin weiß, ihre SPD ist nicht zimperlich. 2009, nach der vergeigten Bundestagswahl, wurde der damalige Parteichef und Innenminister Holger Hövelmann in die zweite Reihe gestellt. Der Parteitag wollte jemanden, der es besser kann. Nachfolgerin wurde Katrin Budde.