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AfD Alternative für Unzufriedene

Die etablierten Parteien müssen die Sorgen und Nöte mancher Bürger ernster nehmen, fordert Politikwissenschaftler Hendrik Träger.

15.03.2016, 23:01

Volksstimme: Herr Träger, wie bewerten Sie den Wahlausgang in Sachsen-Anhalt?

Hendrik Träger: Erfreulich ist die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung, auch wenn eine Ursache hierfür im extrem hohen Zuspruch für die Alternative für Deutschland liegt. Das ist ein Ergebnis, das noch nie eine Partei, die neu angetreten ist, in der Geschichte der Bundesrepublik erreicht hat - wenn man von den ersten Wahlen nach 1945 absieht.

Die 24 Prozent der AfD sind ein deutliches Signal für die etablierten Parteien sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, jetzt zu reagieren. Sie müssen sich stärker mit den Sorgen und Nöten der AfD-Wähler beschäftigen, dürfen sie nicht einfach so beiseite wischen.

Aus dem Wahlergebnis geht darüber hinaus klar hervor, dass CDU, SPD und Grüne jetzt zum Regieren verpflichtet sind. Eine Neuwahl könnte für die drei Parteien unabsehbare Folgen haben. Und auf AfD-Landeschef André Poggenburg kommt jetzt die Rolle als Oppositionsführer zu.

Volksstimme: Worin bestehen die wesentlichen Gründe für den Wahlerfolg der AfD?

Das ist ein ganzes Ursachenbündel. Die Wähler in Sachsen-Anhalt haben schon immer eine sehr hohe Wechselbereitschaft zwischen den Parteien gehabt; dieses Mal haben vor allem die Linke und die SPD starke Verluste verbuchen müssen.

Eine weitere Ursache für den AfD-Erfolg ist die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Hier konnte sich die AfD als politische Alternative für diejenigen positionieren, die gegen die Politik von Kanzlerin Angela Merkel sind.

Und nicht zuletzt konnte die AfD von einer offenbar tiefgreifenden Unzufriedenheit mit der Landesregierung und den etablierten Parteien profitieren.

Neben der CDU entsteht nun im rechten Spektrum eine neue Partei. Regierungschef Reiner Haseloff meint trotzdem, im Wahlkampf keine Fehler gemacht zu haben. Hat er Recht?

Haseloff hat im Wahlkampf versucht, sich von der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin abzusetzen, um die unzufriedenen Wähler zu erreichen. Aber das funktioniert auf Dauer nicht. In Sachsen-Anhalt ist das zwar insofern noch gelungen, als dass die CDU die stärkste Partei bleibt. Doch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben die CDU-Spitzenkandidaten ihre Wahlziele verfehlt.

Gegen die Flüchtlingspolitik der eigenen Kanzlerin zu sein, aber gleichzeitig Angela Merkel zu Wahlkampfveranstaltungen einzuladen, hat für viele Wähler unglaubwürdig gewirkt.

Sie haben die Unzufriedenheit vieler Wähler angesprochen. Was müssen die etablierten Parteien aus Ihrer Sicht jetzt tun?

Alle Parteien, sowohl CDU und SPD als auch Grüne und Linke, müssen sich jetzt viel stärker mit der Frage beschäftigen, warum im Land so eine große Unzufriedenheit herrscht. Die AfD ist keine Ursache, sondern ein Signal der Unzufriedenheit. Hätte es die Partei nicht gegeben, dann wären wohl nicht so viele zur Wahl gegangen und die etablierten Parteien hätten kaum Notiz von den Sorgen und Nöten mancher Bürger genommen.

Wie sollten die etablierten Parteien nun im Tagesgeschäft mit der AfD umgehen?

Sie sollten die Partei nicht ausgrenzen, sondern sie als normale Oppositionspartei behandeln. Sie sollten die inhaltliche Auseinandersetzung suchen und mit ihr über Konzepte diskutieren. Dann wird sich auch zeigen, ob die AfD etwas anzubieten hat, oder ob sie tatsächlich nur auf Stimmungsmache und Protest aus war.

Man hat in den vergangenen Wochen allerdings auch gemerkt, dass der Umgang der etablierten Parteien mit der AfD häufig sehr kontraproduktiv war. SPD-Chef Sigmar Gabriel etwa hat gefordert, die Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat kurz vor der Wahl noch vor der AfD gewarnt. Das war keine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern fast ein politisches Armutszeugnis. Wenn Parteien ihre Mitbewerber schlechtmachen und vor ihnen warnen, dann überzeugt das viele Wähler nicht; viel wichtiger es ist, eigene Inhalte entgegenzustellen und die politische Debatte zu suchen.

Zuletzt wurde auch darüber diskutiert, wie rechts oder gar rechtsextrem die AfD ist. Wie schätzen Sie die Partei ein?

Ich will das mal so verbildlichen: Es gibt einen flachen Zaun zwischen dem rechtspopulistischen und dem rechtsextremen Raum. Sowohl AfD-Landeschef André Poggenburg als auch der Thüringer Landeschef Höcke laufen auf der rechtspopulistischen Seite des Zaunes entlang, scheuen aber nicht davor zurück, gelegentlich über den Zaun hinweg zu rufen und um Leute am äußersten rechten Rand zu werben. Also die AfD in Sachsen-Anhalt ist im Vergleich zu anderen Landesverbänden schon sehr stark rechtspopulistisch.

Manche hoffen darauf, dass die AfD-Parteispitze künftig stärker darauf achtet, nicht allzu weit nach rechts abzudriften. Teilen Sie die Hoffnung?

Die AfD wird nach den Wahlerfolgen wahrscheinlich erst einmal nicht ihr Auftreten und ihre Strategie ändern. Sollten jedoch Abgeordnete oder einfache Parteimitglieder für Skandale sorgen und die Partei in die Gefahr bringen, sich nachhaltig zu diskreditieren, wird die Parteispitze reagieren. Aber vorerst rechne ich nicht mit Parteiausschlüssen oder Ähnlichem.

Reiner Haseloff will jetzt eine starke Regierung der Mitte bilden - wird die denn so stark?

Wie stark die Koalition wird, erfahren wir erst in den kommenden fünf Jahren. Es ist aber auf jeden Fall so, dass CDU, SPD und Grüne zum Regieren verdonnert sind, weil Neuwahlen für alle zu einem Desaster führen würden. Ich schließe es aber auch nicht aus, dass die demokratischen Parteien tatsächlich nun stärker zusammenarbeiten. Bei einem Bündnis, das im Landtag nur eine Mehrheit von drei Stimmen hat, liegt das durchaus nahe.