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Digitalisierung Digitalnomaden: Die Welt ist mein Büro

Auf einen Achtstunden-Bürojob hatte Anja Knorr keine Lust. Heute arbeitet sie ortsunabhängig und gestaltet ihren Alltag, wie es ihr gefällt.

Von Alina Milewicz 22.04.2016, 23:01

Schönebeck l Für Anja Knorr beginnt ein normaler Arbeitstag auf dem Brett: Die 34-Jährige aus Schönebeck geht eine Runde surfen, bevor sie ihren Laptop für einige Stunden anschmeißt und Artikel schreibt - für ihren Blog oder einen anderen Auftraggeber. Dabei ist für die Autorin und Social-Media-Managerin nicht wichtig, wo sie gerade ist – nur, dass die Internetverbindung stimmt und das Meer vor der Tür rauscht.

Anja Knorr ist digitaler Nomade und damit Teil einer Bewegung, die schon heute die Zukunft unserer Arbeitswelt mitgestaltet. „Ich wollte schon zu Schulzeiten raus aus Schönebeck und die Welt sehen“, sagt die sportliche Frau, die seit nunmehr 15 Jahren ihren Wohnort alle paar Wochen wechselt.

Nach dem Abitur reiste sie durch Frankreich, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Zum Studium ging es nach Australien. Vom Reisen kam sie auch nach ihrer Hochschulzeit nicht mehr los. „Ich konnte mich nie mit der Idee anfreunden, jeden Tag acht oder mehr Stunden im Büro am Computer festgenagelt zu sein.“ Also packte sie die Arbeit in ihren Rucksack und machte die Welt zu ihrem Büro. Heute muss sich die Sachsen-Anhalterin nicht mehr von Nebenjob zu Nebenjob hangeln: Als Reiseexpertin tritt sie im Fernsehen auf und schreibt für ihren Reiseblog und andere Publikationen. Außerdem hilft Anja Knorr mit ihrer Social-Media-Kompetenz Unternehmen dabei, sich online aufzustellen. Alles Dinge also, die man von unterwegs machen kann.

Das Verlangen nach mehr Zeitsouveränität verspüren viele junge Arbeitnehmer. Etliche Studien belegen, dass bei der Arbeitsplatzwahl die Vereinbarkeit von Beruf und Leben wesentlich wichtiger ist als etwa die Sicherheit eines festen Jobs. Mit dieser Entwicklung setzt sich auch Sven Gábor Jánszky vom Zukunftsforschungsinstituts „2b Ahead“ auseinander.

Dass Arbeitnehmer zunehmend mehr Freiheiten genießen, läge einfach am Fachkräftemangel: „Damit verschiebt sich natürlich auch das Machtgefüge: Der Arbeitnehmer kann entscheiden, zu welchen Konditionen er welchen Job machen möchte. Der Arbeitgeber muss sich stärker um ihn bemühen.“ Es gilt auf Arbeitnehmerseite also: Passt mir dieser Job, der Chef oder der Arbeitsort nicht mehr, suche ich mir den nächsten – es gibt ja genügend Alternativen.

Diese Einstellung verbreitet sich vornehmlich unter den „Wissensarbeitern“. Die können ihr Arbeitswerkzeug – ihr Wissen – überall mitnehmen. Dazu gehören nicht nur Blogger, wie Anja Knorr, sondern auch Ingenieure, Marketingmenschen und Kreative aller Art. Dabei geht es den modernen Vagabunden nicht vorrangig um wirtschaftlichen Erfolg. „Mit meiner Arbeit werde ich sicherlich nicht reich“, sagt Anja Knorr, „mir geht es darum, mein Leben zu gestalten, wie ich es möchte und nicht wie mein Chef es möchte.“

Dass sich die Prioritäten verschieben, kann auch Jánszky bestätigen: „In Studien haben wir festgestellt, dass Jobs an erster Stelle nach der persönlichen Herausforderung ausgewählt werden. Danach entscheiden das Mitarbeiter-Team und die Frage danach, ob die Aufgabe in das eigene Wertesystem passt“, so Jánszky. Der Faktor Geld schafft es nicht einmal in die Top 3. Erfolg wird immer weniger am finanziellen Reichtum als an persönlichem Wachstum gemessen.

Deswegen ist Anja Knorr auch sparsam unterwegs: Auf Dinge, die man sich sonst im Urlaub gönnt, verzichtet sie bewusst – also keine Taxifahrten oder allabendliche Restaurantbesuche. Über das Nomaden-Dasein sollte man sich eben keine Illusionen machen, warnt sie: „Wer den ganzen Tag nur am Strand liegen will und einmal die Woche für ein paar Stunden arbeitet, wird ganz schnell wieder zurück müssen.“ Hauptberuflich urlauben geht eben doch nicht. Und auch für den Job muss man sich reinhängen: Selbst um Aufträge kümmern, viel organisieren und vor allem: sich selbst disziplinieren. „Dir sitzt ja kein Chef im Nacken, der dich ständig zur Arbeit anmahnt. Da muss man sich schon selbst jeden Tag Ziele setzen und sich auch daran halten.“ Wenn viel ansteht, erzählt Anja Knorr, kommt es vor, dass sie einen längeren Arbeitstag hat, als ein „normaler“ Angestellter.

Und auch alleine sein kann nicht jeder. Wenn Anja Knorr ab Mai durch Costa Rica tourt, hat sie ihre Sachen für das nächste Ziel schon dabei: Marokko. Ein Geheimtipp unter Wellenreitern. Im Jahr ist sie mindestens sechs Monate unterwegs. Da bleiben Familie und Freunde schon mal auf der Strecke. „Man lernt beim Reisen Leute auf der ganzen Welt kennen, mit denen man mehr oder weniger enge Freundschaften pflegt, aber klar – es gibt einsame Momente.“

Deswegen versucht die Nomadin auch zwei, drei Monate an einem Ort zu bleiben, um Kontakte zu pflegen. Früher waren ihre Aufenthalte noch kürzer – und anstrengender. In Hostels zahlt sie jetzt lieber einen Zehner mehr und muss sich so keine Schlafräume mit acht anderen Reisenden teilen.

Nach Hause fährt sie alle paar Monate, wenn sie eh in Deutschland ist, um Geld für ihren nächsten Trip zu sparen. „In Schönebeck hab ich als Kind Zeitung ausgetragen“, erzählt Anja Knorr, „ich kenne jeden Stein und jedes Haus. Hier bekomme ich immer so ein kuscheliges Gefühl.“ Ob Anja Knorr sich vorstellen kann, irgendwann den Reiserucksack an den Nagel zu hängen – etwa wenn eine Familiengründung ansteht – ist noch kein Thema. „Ich habe auch Paare kennengelernt, die mit kleinen Kindern ihr Nomadentum nicht aufgegeben haben“, erzählt sie. „Das ist natürlich mit mehr Aufwand verbunden, aber möglich ist alles.“