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Innere Sicherheit  1800 Haftbefehle nicht vollstreckt

In Sachsen-Anhalt sind derzeit viele Straftäter auf freiem Fuß, obwohl sie in Haft sein sollten. Polizeigewerkschaften schlagen Alarm.

Von Michael Bock 03.05.2016, 01:01

Magdeburg l Die Polizei in Sachsen-Anhalt fahndet momentan nach 1816 verurteilten Straftätern (Stichtag: Dezember 2015). Das erklärte das Innenministerium auf Volksstimme-Anfrage. Gegen sie liegen vollstreckbare Haftbefehle vor. Damit ist die Zahl offener Haftbefehle weiter angestiegen – zuletzt um neun Prozent. Ende 2014 waren 1665 Straftäter (2013: 1332) auf freiem Fuß gewesen.

In den meisten Fällen (1517) handelt es sich auch in Sachsen-Anhalt um einen Vollstreckungshaftbefehl. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand eine gegen ihn verhängte Strafe nicht gezahlt hat. Sollte er gefunden werden, muss er nachzahlen oder als Ersatz eine Freiheitsstrafe antreten. Grund sind meist kleinere Delikte wie Schwarzfahren oder Drogenbesitz. Der Rest besteht hauptsächlich aus sogenannten Untersuchungshaftbefehlen, die beispielsweise wegen Flucht- oder Verdunklungsgefahr erlassen werden können.

Gute Nachricht: Laut Innenministerium stieg in Sachsen-Anhalt die Zahl der vollstreckten Haftbefehle zwischen 2014 und 2015 von 8052 auf 9327. Das ist ein Plus von 15,8 Prozent und der höchste Wert seit 2007. Haftbefehle würden fortlaufend neu ausgeschrieben, heißt es im Ministerium. Daraus folge, „dass die Zahl offener Haftbefehle nie auf Null sinken kann“.

Bundesweit waren Ende vorigen Jahres 107 141 offene Haftbefehle zur Fahndung ausgeschrieben, fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Laut Bundeskriminalamt war die Zahl bis 2013 zunächst auf einen Wert von rund 99 000 zurückgegangen, seitdem steigt sie aber wieder an. Im Vergleich aller Bundesländer nimmt Berlin, gemessen an der Einwohnerzahl (3,5 Millionen), einen Spitzenwert ein. Dort gab es Ende 2015 rund 8000 offene Haftbefehle. Im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen (17,6 Millionen Einwohner) waren es 24 000.

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Uwe Petermann, sagte am Montag der Volksstimme: „Es zeugt von Ohnmacht, wenn Haftbefehle nicht durchgesetzt werden. Das ist ein fatales Signal für die innere Sicherheit.“ Der GdP-Chef führte dies auch auf fehlendes Personal zurück. Es seien Stellen gekürzt worden, zugleich seien neue Aufgaben – etwa die Bewältigung der Flüchtlingskrise – dazugekommen. Laut Petermann gab es Ende 2015 im Polizeivollzug 5969 Bedienstete. Im Jahr zuvor waren es noch 6114 gewesen.

Die neue schwarz-rot-grüne Landesregierung hat sich perspektivisch auf 7000 Polizeivollzugsbeamte in Sachsen-Anhalt verständigt.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft nennt die Zahl der offenen Haftbefehle alarmierend. „Es besteht ein gewaltiges Vollzugsdefizit“, sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt am Montag der Volksstimme. „Das ist für das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger verheerend.“ Derzeit würden bundesweit mehr als 100 Schwerkriminelle per Haftbefehl gesucht, sagte Wendt. „Da hört der Spaß auf. Das sind verurteilte Straftäter, also tickende Zeitbomben, die durch unsere Republik laufen.“