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Gründer Paqué: „Den roten Teppich ausrollen“

Wissenschaftler Karl-Heinz Paqué spricht über den Gründernotstand in Sachsen-Anhalt und erklärt, warum er sich Mut zum Risiko wünscht.

18.05.2016, 23:01

Magdeburg l Karl-Heinz Paqué ist vorbereitet. Auf seinem Schreibtisch in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Magdeburg hat er Statistiken zur wirtschaftlichen Entwicklung ausgebreitet. Sachsen-Anhalt findet sich fast immer ganz hinten. Der jüngste deutsche Startup-Monitor bescheinigte: In keinem Bundesland gibt es so wenige Startups wie in Sachsen-Anhalt. Wie sich das ändern kann, verrät Paqué im Interview.

Volksstimme: Herr Paqué, steht es um das Gründungsgeschehen in Sachsen-Anhalt wirklich so schlecht, wie die Zahlen ausweisen?

Karl-Heinz Paqué: Ja, das ist ein großes Problem, und es muss endlich in den Fokus der Politik. Sonst werden wir abgehängt. In den vergangenen Jahren ist es versäumt worden, Weichen zu stellen. Das werfe ich der bisherigen Landesregierung vor.

Jörg Felgner (SPD) ist der neue starke Mann im Wirtschaftsministerium. Was sollte er jetzt tun?

Er muss seinen Kabinettskollegen klarmachen, dass er eine entscheidende Aufgabe hat. Wir müssen junge begabte Menschen nach Sachsen-Anhalt ziehen, sonst blutet die Region aus. Das gelingt nur, wenn die Innovationskraft im Land gestärkt wird. Dafür muss die Infrastruktur finanziell dauerhaft auf solide Füße gestellt werden. Dazu zählen vor allem die Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber auch die Investitionsbank und die Investitions- und Beteiligungsgesellschaft des Landes (IBG). Denn das, was wir an innovativen Strukturen im Land haben, verdanken wir auch der Anschubfinanzierung der IBG.

Geht es nur ums Geld?

Nein. Die Politik kann schon viel tun, wenn sie das Entstehen einer Gründerkultur nachhaltig zu ihrer Sache macht. Wir müssen jungen Gründern den roten Teppich ausrollen, indem wir Ausgründungen aus den Hochschulen ermöglichen, und zwar absolut unbürokratisch. In Sachsen-Anhalt gibt es da noch viele Steine auf dem Weg. Das ist in einer Region, in der es eine funktionierende Startup-Kultur und gute Märkte für Risikokapital gibt, kein so großes Problem. Aber eine Region wie unsere muss besonders unbürokratisch sein.

Mit Berlin ist eine Stadt vor der Haustür Sachsen-Anhalts, die monatlich Hunderte neuer Gründer hervorbringt. Verpasst Sachsen-Anhalt in der Hauptstadt eine Chance?

Ja, wir sind wirtschaftlich ein Vorort von Berlin. Das Wirtschaftsministerium muss endlich ein Berlin-Projekt starten, Sachsen-Anhalt muss dort präsent sein – durch Gesprächskontakte und fachliche Netzwerke. Das Landesmarketing braucht neue Impulse: mehr Technologie statt nur Tourismus. Berlin beginnt, recht teurer zu werden. Das ist eine riesige Chance, für Sachsen-Anhalt als moderner Investitionsstandort zu werben – nicht mit Domen, Elbe und Harz, sondern mit Universitäten, Forschungsstätten und Gründerzentren. Wenn das Land nur fünf Prozent der Berliner Gründer hierher locken könnte, gäbe es genug Inkubatoren, die Wachstumsprozesse in Gang setzen könnten. Bislang fehlt dazu aber die Initiative.

Sie plädieren dafür, Sachsen-Anhalt beim Werben um junge Gründer als Ganzes zu begreifen. Warum?

Die Leute müssen aufhören, provinziell zu denken. Aus Magdeburg bin ich mit dem Zug in unter einer Stunde in Halle. Wenn ich quer durch Berlin oder vom Flughafen in San Francisco zur Stanford University in Palo Alto fahre, bin ich auch eine Stunde unterwegs. Wir sind in Sachsen-Anhalt ein gemeinsamer Wirtschafts- und Wissenschaftsraum, und zwar als Teil von Mitteldeutschland. Entweder wir gehen zusammen unter oder wir erleben einen gemeinsamen Aufstieg. Ich bin für Letzteres.

In Sachsen-Anhalt fehlt ein Leuchtturm, zu dem junge Gründer aufschauen können. Wie kann ein neues Vorzeige-Unternehmen entstehen?

Dieser Leuchtturm entsteht von selbst, wenn der Pool der Startups nur endlich groß genug ist. Sehen Sie, es gibt Unternehmen, die sind erfolgreich, aber es gibt auch immer viele Gründungen, die scheitern. So ist das auch in Kalifornien: Ein Facebook-Zuckerberg kommt auf zehn Insolvenzen, aber aus denen wird auch viel gelernt. Eine dynamische Gesellschaft braucht die Bereitschaft und den Mut zum Risiko. Leider gibt es in Deutschland diese Kultur generell zu wenig – und in Sachsen-Anhalt noch weniger! Denn hier sind die wirtschaftlichen Startbedingungen schwieriger als in den großen urbanen Zentren wie Berlin, Hamburg oder München.

Wie lange braucht der Kulturwandel in Sachsen-Anhalt?

Das dauert lange. Mindestens eine Generation. Sachsen-Anhalt ist mittendrin in dem Prozess. Der Erfolg hängt maßgeblich von der Landesregierung ab. Die Politik braucht da einen langen Atem, sie darf niemals ruhen. Es reicht nicht, den Status quo zu verwalten. Dies ist aber das, was die Regierung Haseloff seit Jahren tut. Für das Entstehen einer Gründerkultur in Sachsen-Anhalt ist das nicht hilfreich.