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Gesundheitspolitik Hausarzt-Prinzip zur Regel machen

Kassenärzte-Chef Burkhard John hält koordinierte Versorgung für sinnvoller als Terminservicestellen.

Von Steffen Honig 24.05.2016, 01:01

Magdeburg l Das Hausärzteprogramm im Land ist um ein neues Angebot für Kinder und Jugendliche erweitert worden. Geplant ist auch eine engere Kooperation zwischen Haus- und Fachärzten. Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, nimmt im Interview Stellung.

Die Krankenkassen versuchen mit neuen und erweiterten Angeboten im Wettbewerb zu bestehen. Die IKK gesund plus hat als erste Kasse im Land auch Kinder und Jugendliche einbezogen. Sehen Sie diesen Baustein als Beispiel auch für andere Anbieter?

Burkhard John: Auf jeden Fall. Ich denke, es werden auch andere Kassen nachziehen. Es ist sinnvoll, die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, gerade bei chronischen Krankheiten, die es leider gibt, zu steuern. Im Rahmen des Programms gibt es auch besondere Angebote, die gerade in dieser Altersklasse von besonderer Bedeutung sind.

Was beinhalten diese Angebote?

Zum Beispiel gibt es eine besondere Betreuung für übergewichtige Jugendliche. Das ist wichtig, denn Übergewichtigkeit kann Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes nach sich ziehen. Wenn das im Kindesalter schon angegangen werden kann, entstehen andere chronische Erkrankungen vielleicht gar nicht erst. Ebenfalls sinnvoll ist es, dass die Kasse sich in Zusammenarbeit mit dem Hausärzteverband auch Angebote im Bereich der Essstörungen überlegt hat. Wichtig ist auch, dass Hauterkrankungen wie Neurodermitis, die bei Kindern und Jugendlichen häufig vorkommen, mit einbezogen sind. Außerdem geht es um den für chronisch kranke Jugendliche schwierigen Übergang zur Erwachsenenmedizin, wo es auf die gute Kommunikation zwischen den Ärzten ankommt. Insgesamt wird auch die Rolle des Kinderarztes in der Gesamtversorgung aufgewertet. 50 Kinderärzte beteiligen sich bereits an dem gerade gestarteten Programm. Auch bei Allgemeinmedizinern, die insbesondere im ländlichen Bereich viele Kinder betreuen, kann eine Einschreibung erfolgen.

Die vor zwölf Jahren eingeführte hausarztzentrierte Versorgung gilt als Erfolgsmodell. Wie viele Ärzte und Versicherte sind in Sachsen-Anhalt einbezogen?

An diesem Modell beteiligen sich über 90 Prozent der rund 1400 Hausärzte, die über eine halbe Million Versicherte in Sachsen-Anhalt betreuen.

Sehen Sie noch Ausbaumöglichkeiten?

Die Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Facharzt muss verbessert werden. Dazu brauchen wir noch mehr Verträge mit den fachärztlichen Verbänden. Damit kann die Kommunikation zwischen Hausarzt und Facharzt deutlich verbessert werden. Wir haben bei der IKK gesund plus, der AOK und der Barmer GEK die Überweisungssteuerung als ein Modul des Hausarztprogramms eingeführt. Das funktioniert gut: Patienten, die dort eingeschrieben sind, erhalten relativ schnell einen Facharzttermin. Innerhalb eines Tages, wenn es sehr dringend ist, oder innerhalb einer Woche, wenn die Dringlichkeit nicht ganz so hoch ist. Das müsste man ausbauen bei allen Krankenkassen. Ausbaufähig ist auch das Tarifsystem bei den Kassen – durch Boni oder Vergünstigungen für Versicherte, die beim Hausarztprogramm mitmachen, so wie es das teils schon gibt. Ziel sollte es sein, dass wir die koordinierte Versorgung nach dem Hausarzt-Prinzip zur Regel machen.

Stichwort Überweisung: Eine andere Variante hat der Gesetzgeber mit den Terminservicestellen vorgeschrieben. Wie viele Sachsen-Anhalter haben dieses Angebot seit Ende Januar in Anspruch genommen?

In den ersten 100 Tagen hatten wir gut 2000 Vermittlungswünsche. Pro Tag sind das im Durchschnitt 29 Anrufe. Das ist deutlich weniger, als wir angenommen haben. Ein Drittel der Anrufe waren unberechtigt, weil wir beispielsweise keine Psychotherapie-Termine vermitteln können oder weil der Aufkleber vom Arzt, der der Schlüssel für die Terminvergabe ist, fehlte.

Welche Experten sind besonders gefragt, welche Regionen bilden den Schwerpunkt?

Neurologen, Augenärzte, Kardiologen und Orthopäden werden besonders nachgefragt. Wir konnten bisher alle Termine vermitteln – die Notvariante einer Überweisung ins Krankenhaus gab es bisher nicht. Allerdings geht es hier um gerade 0,02 Prozent aller Behandlungsfälle. Für den Einzelnen ist es sicher wichtig, dass es die Terminservicestelle gibt. Aber insgesamt halten wir die beschriebene Überweisungssteuerung für wesentlich geeigneter, um der ggf. vorhandenen Terminnot Herr zu werden.

Nicht nur Spezialisten, auch Hausärzte sind knapp. Die Kassenärztliche Vereinigung hat einiges unternommen, dies zu sichern, etwa durch die Finanzierung des Studiums bei fünfjähriger Verpflichtung zum Einsatz in Sachsen-Anhalt. Wie läuft das Programm?

An der Universität Witten-Herdecke werden insgesamt zwölf Studenten dieses Studium absolvieren, die ersten beiden haben im April begonnen. Die Bewerbung läuft über die Kassenärztliche Vereinigung. Das beseitigt nicht den Mangel: Wir benötigen für den hausärztlichen Bereich in den nächsten Jahren 800 Ärzte. Dafür müssen die Weichen so gestellt werden, dass möglichst viele Medizinstudenten Hausarzt werden wollen. Um auch die Weiterbildung zu optimieren, haben wir vor einiger Zeit mit dem Landesgesundheitsministerium die „Allianz für Allgemeinmedizin“ gegründet.