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Finanznot Kommunen verkaufen Tafelsilber

97 der 247 Kommunen Sachsen-Anhalts sind überschuldet. Wald und Land zu verkaufen ist umstritten, aber mitunter unausweichlich.

Von Jens Schmidt 27.09.2016, 01:01

Magdeburg l Seit 800 Jahren macht das Bürgerholz am Rande von Salzwedel seinem Namen alle Ehre. So lange ist es nämlich schon Eigentum der Hansestadt und seiner Einwohner. Doch diese Ära neigt sich dem Ende zu. Nicht nur das Bürgerholz, auch weitere Waldflächen sollen unter den Hammer. Salzwedels Stadtrat hat im Mai beschlossen, den gesamten, 1500 Hektar großen Stadtforst zu verkaufen. Aus purer Not: Der Kreisstadt im Altmarkkreis steht finanziell das Wasser bis zum Hals.

Um überhaupt Löhne und Rechnungen zahlen zu können, braucht die Stadt Kassenkredite. Eine Art Dispo. Aber selbst der reicht nicht mehr. „Der Kassenkreditrahmen von elf Millionen Euro ist ausgereizt“, sagt Bürgermeisterin Sabine Blümel. Der Landkreis hat schon die Kreisumlage gestundet, das Land schießt obendrein eine Liquiditätshilfe zu, damit überhaupt noch was geht. Die Misere begann, als Gewerbesteuern in Millionenhöhe wegbrachen. Unternehmen wie etwa aus der altmärkischen Erdgasbranche erlitten europaweit Auftragsverluste. Auch selbst gemachte Probleme kommen hinzu. Kenner sagen, dass das Rathaus in den guten Jahren zu wenig Vorsorge getroffen hatte. Nun wurden schon Aktien veräußert. Mit dem großangelegten Waldverkauf erhofft sich die Stadt 8 Millionen Euro und endlich finanzielle Gesundung.

Doch in diesem Fall ist die Hoffnung wohl zuerst gestorben. Das Tafelsilber entpuppt sich mehr und mehr als Alu. Kaum jemand will anbeißen. Bislang bekam die Stadt gerade mal gut 40 Hektar los. Das hat Gründe: Große Teile des Waldes stehen unter Schutz und sind mit Restriktionen belegt. Und: So idyllisch feuchte Erlenbruchwälder sind - Investoren suchen am liebsten alte Buchen- und Eichenbestände, wo sie gewinnbringend die Säge ansetzen können. Die sind im Salzwedler Revier eher rar gesät. Jetzt hat sich schon das Umweltministerium angeboten, um über seine Landgesellschaft etwa 380 Hektar zu kaufen. Zum Verkehrswert. Also deutlich weniger als die erhofften gut 5000 Euro je Hektar. Naturschützer lehnen den Waldgroßverkauf ab. Doch der Prozess ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Nun will der Umweltverband BUND einige Areale kaufen und diese in das Grüne Band eingliedern - jenen weithin unberührten, ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen.

Wohnungen, Wälder oder Äcker zu privatisieren, ist umstritten. Zwar winken im günstigsten Fall dicke Millioneneinnahmen - aber nur einmal. Pacht und Miete fließen hingegen Jahr für Jahr. Da sich in vielen Gemeinden aber Schulden und Rechnungen türmen, kommt in vielen Rathäusern die Frage auf: Verkaufen oder nicht verkaufen? Landesweit wucherten die Überziehungskredite aller Kommunen in den vergangenen Jahren auf 1,3 Milliarden Euro. Daran trägt auch das Land eine Aktie, da die Zuweisungen aus dem Finanzausgleichstopf zurückgingen, so dass Einnahmerückgänge nicht mehr nivelliert werden konnten.

Dennoch halten manche am Tafelsilber eisern fest. Havelberg zum Beispiel. Das Städtchen besitzt auch Wald. Gut 100 000 Euro Pacht nimmt die Stadt jährlich ein. „Das ist in diesen Zeiten eine tolle Verzinsung; den Wald würden wir daher nur ungern verkaufen“, sagt Stadtkämmerin Petra Jonschkowski. Dabei ist die Finanzlage alles andere als rosig. Das 6600 Einwohner zählende Städtchen steckt mit 3,5 Millionen Euro im Dispo.

Auch Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper bekennt: „Ich will die Kuh nicht verkaufen, ich will sie lieber melken.“ Die Stadtwerke werfen jährlich 20 Millionen Euro ab, auch die Städtische Wohnungsbaugesellschaft (Wobau) bringt ein paar Millionen. 2007 noch schlug die FDP vor, die Wobau zu verkaufen. Doch die Stadtratsmehrheit lehnte das damals ab. Trümper, der auch Präsident des Städte- und Gemeindebundes ist, rät dennoch zu differenzierter Sicht. „Grundstücke, mit denen eine Stadt nichts vorhat und die keine Einnahmen bringen, können sehr wohl verkauft werden.“ Magdeburg macht das gerade mit Flächen am Universitätsplatz. Und auch die städtische Wobau hat etwa die Hälfte ihrer einst 40 000 Wohnungen verkauft. „Die jetzige Größe ist okay“, sagt Trümper. Die Stadt hat damit genügend Spielraum, um im Falle stark steigender Mieten sozialpolitisch gegenzusteuern.

Das Problem an der Melkkuh-These ist, dass sie nicht überall zutrifft. In Salzwedel zum Beispiel. Der Stadtwald hat der Kämmerei keine große Freude gemacht - im Gegenteil, zuletzt lagen die jährlichen Verluste bei 170.000 Euro. Das Naturwunder braucht viel Pflege, bietet aber weder Holzfällern noch zahlenden Jägern genügend Betätigungsraum.

Die bundesweite Verkaufsdebatte eröffnet hatte vor zehn Jahren Dresden. Sachsens Landeshauptstadt verkaufte damals 48.000 Wohnungen, war auf einen Schlag 1,7 Milliarden Euro reicher und alle Schulden los. 70 Millionen Euro Zinsen flossen bis dahin jährlich an die Bank und nun unter anderem in die Schulsanierung. Die Mieten hielten sich moderat, dennoch hält die Kritik am Verkauf bis heute an, da die Kommune städtebauliche Kompetenz verlor.

Auch in Sachsen-Anhalts Gemeinden kochen die Gemüter meist hoch, wenn Verkäufe anstehen. Wenn danach aber lang ersehnte Dinge angeschafft werden, sind viele wieder versöhnt. So hat Benneckenstein (Oberharz) Wald verkauft, der seit Jahrhunderten in Gemeindehand war. Mit 1,5 Millionen Euro Eigenmitteln und einigen Fördergeldern konnten die Oberharzer dann aber eine Turnhalle und ein Feuerwehrgerätehaus bauen - und für eine moderne Drehleiter reichte es auch noch.

Aktiv ist auch Tangerhütte. Bürgermeister Andreas Brohm versucht, über zahlreiche Portale städtische Gebäude zu verkaufen. Erfolgreich war er bei der alten Feuerwache, das Mindestgebot lag bei 25.000 Euro. Ein Elektrobetrieb hat zugegriffen und das Gebäude zur Wohnung umgebaut. „Das hätten wir als Kommune nie leisten können“, sagt Bürgermeister Brohm. Auf seiner Liste stehen noch Gutshäuser, ein kleines Schloss und Dorfgemeinschaftshäuser. „Wir haben 2016 ein Minus von 750 000 Euro im Haushalt. Unser Kassenkredit liegt bei sieben Millionen Euro – wir müssen verkaufen, um flüssig zu bleiben.“

In Genthin steht derzeit die alte Touristinformation zum Verkauf – mindestens 209 000 Euro will die Stadt im Jerichower Land dafür haben. Bürgermeister Thomas Barz sagt: „Dass nicht benötigte Immobilien verkauft werden, ist Teil unseres Haushaltskonsolidierungskonzeptes.“ Diese zu vermieten, sei „kein Kerngeschäft“ der Verwaltung.

Doch mit der Privatisierung kommen dann auch harte Marktpreise. Das spüren Garagennutzer in Burg. Die Kreisstadt des Jerichower Landes verkaufte 315 Garagen an einen Privaten - für 300 000 Euro. Schön für die Stadtkasse, doch die Nutzer ärgern sich nun über 30 Euro Miete im Monat. Früher waren 40 bis 60 Euro Pacht fällig - im Jahr.

In etlichen Städten trauert man dem Tafelsilber nach. In Stendal ist bis heute umstritten, ob es gut war, die Mehrheitsanteile an den Stadtwerken 2002 zu verkaufen. Damals stiegen Gelsenwasser und die Städtischen Werke Magdeburg groß ein. Damals waren die Stendaler Stadtwerke defizitär, heute werfen sie Profit ab.