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Ziegen Schwarzer Kopf und weißer Po

Ein Heidi-Film hat Grit Rademacher zur Ziegenliebhaberin gemacht. Auf ihrem Hof in der Altmark hält die Künstlerin selbst Ziegen.

Von Kerstin Singer 28.05.2017, 11:42

Jerchel l Mit lautem Gebimmel stürmen die Ziegen Richtung Wiese, sobald Grit Rademacher die grüne Stalltür öffnet. Besucher treten unwillkürlich zur Seite, denn die imposanten langen Hörner der neun Geißen und des Bocks flößen Respekt ein. Die antrazitfarbenen, geriffelten Hörner sind ein Kennzeichen der Walliser Schwarzhalsziege, die auf dem Hof im altmärkischen Jerchel bei Tangerhütte zur Familie Rademacher gehört.

Als Modedesignerin und bildende Künstlerin hat Grit Rademacher das auffällige Fell sofort optisch überzeugt: Vom Kopf bis zur Rückenmitte ist es schwarz, dann in klarer Trennlinie weiß bis zur Schwanzspitze. Entdeckt hat die 49-Jährige die Rasse für sich, als sie sich mit ihren Kindern einen alten Heidi-Film ansah und eine schwarz-weiße Geiß durchs Bild lief. „Wenn Ziegen, dann die, habe ich gerufen“, erinnert sie sich heute. Nach längerer Suche war sie bei einem Züchter in Bayern fündig geworden, gar nicht so einfach, denn als eine der ältesten Hausziegenrassen der Welt war sie in den 70er Jahren selbst im Walliser Kanton Wallis, aus dem sie stammt, fast ausgestorben. Grit Rademacher sorgt wie einige andere Liebhaber mit ihrer Herdbuchzucht dafür, dass sich die Population wieder erholt.

In den vergangenen Wochen sind elf Zicklein geboren worden. Manchmal brauchen die Geißen dabei die Hilfe der „Ziegen-Mama“. Die schwarz-weiße Farbe ist eine praktische Geburtshilfe, denn so kann Grit Rademacher immer sofort erkennen, ob das Tierbaby richtig herum im Bauch liegt. Als ihre Ziege Heidi geboren wurde, standen die Chancen schlecht, das Zicklein war zu schwach, um bei der Mutter zu trinken. Also gab Grit Rademacher das Fläschen, ihre Tochter nahm das ans Herz gewachsene Zicklein samt Windel nachts mit ins Bett - am nächsten Morgen erwachten seine Lebensgeister. Noch heute zeigt die inzwischen erwachsene „Heidi“ eine stärkere Bindung zur Menschenfamilie als ihre Artgenossen. Wenn die Herde ausbüxt – was nicht selten passiert – läuft Heidi als erste wieder zurück“, erzählt Grit Rademacher.

Die Ziegen gehören zum Kosmos auf dem Rademacher-Hof. Sie bereichern den Speiseplan, fressen von der Pferdeweide die lästigen Wurmlarven auf. Und sie dienen der Künstlerin und Modedesignerin als Motiv. Auch ihre Malschüler springen auf die Tiere an, am 26. und 27. Juni wird Grit Rademacher wieder für Kinder einen Malkurs zum Thema „Tiere“ geben.

Allerdings hat die schöne Optik auch einen Preis. Denn das lange Fell der Schwarzhalsziegen braucht regelmäßige Pflege, damit es schön bleibt. Es muss gebürstet und gereinigt werden, vor allem, wenn die Tiere im Gelände durch die Büsche gesprungen sind – und das machen sie gerne. Während Ehemann Andreas mit Hirtenstock und Futterschüssel vorausläuft, muss seine Frau die Zicklein wieder einsammeln, wenn sie die frischen Frühlingskräuter vom Weg weglocken. Einen Vorteil hat die Abenteuerlust – die Kräuter machen die Milch aromatisch. „Abends schmeckt sie oft völlig anders als morgens“, berichtet die eigenhändig Melkende. Und sie schmeckt natürlich anders als Kuhmilch. „Die Milch rühre ich den Kindern in den Schokopudding, im Kaffee ist sie eine Frage der Gewöhnung, berichtet die vierfache Mutter.

Zicklein werden bei Rademachers allerdings nicht geschlachtet, sie bekommen Lebenszeit geschenkt. „Das Fleisch schmeckt aromatischer, wenn die Tiere etwas älter sind“, berichtet die Ziegenhalterin. Selbst ältere Tiere könnten für Wurst verarbeitet werden. Als Autodidaktin wagt sich Grit Rademacher an immer neue Verwendungen heran. Mithilfe von Zitronensaft statt Lab stellt sie in einer warmen Ecke ihres sonnendurchfluteten Ateliers Frischkäse aus der Milch her.

Ziegenfleisch ist auf deutschen Speisetellern so gut wie unbekannt, während es in Südeuropa, Indien oder dem Nahen Osten als Spezialität gilt. Zicklein ist in Italien zum Beispiel ein typisches Ostergericht. In Sizilien darf sich der Gast sogar als besonders geschätzt fühlen, wenn er den Kopf serviert bekommt.

Für die Akzeptanz des fettarmen Fleisches setzt sich Jens Goertz im Harzer Vorland ein. Seine Firma „Zickenpeter“ schlachtet und vermarktet Ziegenfleisch. Da die Nachfrage in der Region gering ist, geht das meiste deutschlandweit an die Spitzengastronomie. Zu seinen wenigen regionalen Abnehmern gehört Robin Pietsch vom Restaurant „Zeitwerk“ in Wernigerode. Der experimentierfreudige Koch, der auch gerne sein Können in TV-Shows zeigt, schmort im aktuellen Menü die Bäckchen von Ziegen und serviert die butterweiche Delikatesse mit einem cremigen Süßkartoffelstampf.

„Es muss nicht immer Rinderfilet sein. Das Ziegenfleisch hat ein ganz eigenes, besonderes Aroma und ist von hervorragender Qualität“, erklärt der gebürtige Blankenburger. Selbst ältere Tiere könnten noch sehr gut verarbeitet werden, ohne dass der Gast einen penetranten Eigengeschmack nach Ziege fürchten müsse. „Vorurteile aus- und Geschmackssinn einschalten“, rät er.