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Jamaika-Koalition Haseloff: "Grüne müssen sich bewegen"

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) fordert bei den Jamaika-Verhandlungen von den Grünen Kompromissbereitschaft.

19.10.2017, 23:01

Volksstimme: Herr Ministerpräsident, die Union beginnt heute Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen. Bei der Flüchtlingspolitik, dem dominierenden Thema der vergangenen Monate, lauern einige Stolpersteine. Glauben Sie, dass mit diesen beiden Partnern trotzdem eine Einigung möglich ist?

Reiner Haseloff: Ja, das glaube ich. Als Parteien sind wir alle dem Grundgesetz verpflichtet. Wir haben alle humane Grundsätze, die von dem gleichen Wertekatalog geprägt sind. Und in dem Moment, in dem man Verantwortung übernehmen muss, wird es ganz pragmatische Lösungen geben. Dafür müssen alle vier Parteien ihre Prioritäten festlegen.

Das klingt sehr rosig. Wie sollen gerade CSU und Grüne in der Flüchtlingspolitik einen gemeinsamen Nenner finden?

Die Flüchtlingskrise muss vor allem mit unseren europäischen Partnern gelöst werden. Das werden wir als Deutsche nicht allein bewältigen können. Aber ich bin sicher, dass wir uns als Union mit den Grünen einigen werden. Es gibt grüne Oberbürgermeister, die ich eher rechts von mir verorten würde. Und es gibt in der CSU nicht wenige Unterstützer für Angela Merkel. In allen Parteien gibt es eine Mitte, alle Parteien können Schnittmengen finden. Wie das funktioniert, sieht man an unserer schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen-Anhalt. Am Ende wird es auch bei Schwarz-Gelb-Grün Kompromisse geben.

Wann steht die Jamaika-Koalition?

Die Grundzüge müssen bis zum Advent geklärt sein. Als Union wollen wir ein friedliches Weihnachtsfest feiern. Ich bin überzeugt, dass Angela Merkel diesen Prozess gut moderieren wird.

An der Kanzlerin haben sich in den vergangenen Monaten viele Konflikte entzündet. Die CDU hat bei der Bundestagswahl und bei der Landtagswahl in Niedersachsen viele Wähler verloren. Warum?

Prozentual scheint das so, die absoluten Zahlen sehen besser aus. Richtig ist aber, dass die politische Gesamtsituation für viele ehemalige Nichtwähler so wenig zufriedenstellend ist, dass sie dieses Mal wählen gegangen sind und vielfach der AfD ihre Stimme gegeben haben.

Hat die Bundeskanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik dazu beigetragen?

Die AfD gab es schon vor der Flüchtlingskrise. Aber sie hat dadurch neuen Auftrieb erhalten.

Also ist Angela Merkel doch verantwortlich für das Erstarken der AfD?

Ohne Angela Merkel würden wir nicht in der Position sein, dass ohne die CDU keine Regierung gebildet werden kann. Das steht für mich fest. Gewiss hat es in Deutschland innerhalb der Politik eine Umsortierung gegeben und man kann natürlich spekulieren, welchen Anteil die Kanzlerin daran hat. Doch damit sind wir in Europa nicht allein: Es gibt überall populistische Parteien – in den Niederlanden, in Frankreich oder in Österreich sind diese sogar wesentlich stärker als bei uns. Eine rechtspopulistische Partei ist kein deutsches Phänomen. Ich interpretiere das Ergebnis der Bundestagswahl auch eher in die Zukunft, nicht als Abrechnung.

Wie meinen Sie das?

Bei der Wahl wurden nicht die Fehler der Vergangenheit abgerechnet. Ich glaube, die Menschen wollten ein Signal senden nach dem Motto: So ein Kontrollverlust des Staates, wie er mit der Flüchtlingskrise einherging, darf sich nicht wiederholen. Es geht um die Frage, wie wir die weltweite Migration in den Griff kriegen, so dass sich ein Jahr wie 2015 nicht noch einmal wiederholt. Diese Signale der Wähler müssen wir ernstnehmen.

Woher kommt diese Zukunftsangst?

Die Leute haben nicht nur aus Frust AfD gewählt. Wahlanalysen zeigen, dass nicht nur in sozialen Brennpunkten mit vielen Hartz-IV-Empfängern übermäßig stark AfD gewählt wird. Es gibt Gebiete, wo viele gut Verdienende leben und dennoch viele Menschen für die AfD gestimmt haben, zum Teil mehr als in den sozialen Brennpunkten. Dort sind die Abstiegsängste also offenbar besonders groß. Viele Menschen im Osten haben schon einmal erlebt, wie ein Staat versagt hat, und mussten nach der Wende beruflich von vorne anfangen. Jetzt gerät wieder alles ins Schwimmen, alle reden von Digitalisierung und Industrie 4.0, und manch einer hat vielleicht das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden – und in dieser Phase hat uns die Flüchtlingskrise getroffen. Das ging den Menschen vielleicht alles etwas zu schnell. Das haben sie uns mit der Wahl signalisiert. Als CDU müssen wir uns nun dafür einsetzen, den Menschen Sicherheit zu geben.

Also rückt die Union inhaltlich nach rechts.

Es gibt einige, die sagen, wir seien in den letzten Jahren nach links gerückt. Nun heißt es, wir rücken nach rechts. Ich sage, wir sind eine Partei der Mitte und als solche müssen wir das Rechtsempfinden der Menschen ernst nehmen. Schauen Sie: Jeder Arbeitslose bekommt nur Geld vom Staat, wenn er bereit ist, Gegenleistungen zu erbringen. Sonst gibt es Sanktionen. Das läuft auch außerhalb des Arbeitsamtes so: Wer im Parkverbot steht, bekommt ein Knöllchen. In der Flüchtlingskrise ist für viele Menschen der Eindruck entstanden, dass dieses System der Ordnung faktisch ausgehebelt ist.

Wie?

Zu uns kamen Menschen, von denen wir zum Teil nicht wussten, wer sie sind, die sich Leistungen doppelt erschlichen haben. Und dann gab es den Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin. Da kann ich verstehen, dass die Menschen verunsichert sind. Man kann einhundertmal sagen, dass es uns in Deutschland – im Vergleich mit dem Rest der Welt – sehr gut geht und wir hier sicher leben. Aber sie müssen das auch fühlen. Und das ist aktuell bei einigen nicht der Fall.

Also doch ein Rechtsruck – innenpolitisch weht nun ein anderer Wind.

Nein, davor warne ich ausdrücklich. Wir brauchen keinen Rechtsruck, sondern die konsequente Anwendung des geltenden Rechts. Es reicht, wenn wir unser Programm nehmen und es anwenden. Wir decken die konservativen Bereiche gut ab.

Wo zum Beispiel?

Eben in der Flüchtlingspolitik. Diejenigen, die keinen Anspruch auf Schutz haben, müssen konsequent abgeschoben werden. Es wäre auch zielführend, wenn Tunesien, Algerien und Marokko endlich zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden.

Das lehnen die Grünen ab.

Da müssen die Grünen sich eben bewegen. Für Verfolgte wie Homosexuelle oder Journalisten aus diesen Ländern kann man Sonderreglungen finden. Aber diese Staaten sind grundsätzlich überwiegend sicher. Andererseits müssen wir für gut ausgebildete, hochqualifizierte Fachkräfte, die legal nach Deutschland kommen möchten, ein Einwanderungsgesetz schaffen, das die Interessen der deutschen Wirtschaft bedient.

Braucht die Union für diese Schritte neues Personal? Der sächsische Ministerpräsident Tillich hat seinen Rückzug angekündigt und den Weg für einen Neuanfang freigemacht. Sollten nicht weitere seinem Beispiel folgen?

Dass ein Ministerpräsident als Konsequenz auf das Ergebnis einer Bundestagswahl zurücktritt, ist schon ungewöhnlich. Ob nun allerdings ein Rücktrittsreigen unter Landes- wie Bundespolitikern – nicht nur meiner Partei – der Weisheit letzter Schluss wäre, wage ich zu bezweifeln. Richtig ist, dass Politiker in Spitzenpositionen ihre Nachfolge beizeiten regeln sollten und der Nachwuchs eine Chance braucht. Aber bitte alles zu seiner Zeit und nicht alle zugleich. Ich bin sicher, in der neuen Bundesregierung wird sich der Frauenanteil erhöhen und wir werden sicher auch vermehrt auf jüngere Führungskräfte setzen.

Ein strittiges Thema könnte in den Verhandlungen der Familiennachzug werden. Etwa 70.000 Familienangehörige von anerkannten syrischen und irakischen Flüchtlingen warten aktuell darauf, legal nach Deutschland einzureisen. Ist das zu stemmen?

Familie ist ein hoher Wert. Ich denke, dass wir da unterscheiden müssen. Denjenigen, die eine dauerhafte Bleibeperspektive haben, sollten wir den Familiennachzug schnell ermöglichen. Alle die, die Asyl erhalten haben und in ihrer Heimat der Verfolgung ausgesetzt waren, sollten sich mit ihrer Familie hier etwas Neues aufbauen können.

Und die anderen, beispielsweise viele Syrer, die nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben?

Die sind für mich nachrangig zu behandeln. Laut Genfer Flüchtlingskonvention haben die meisten einen Schutz für drei Jahre erhalten und müssen, wenn der Krieg vorbei ist, in ihre Heimat zurückkehren. Wir sollten alle Zeit nutzen, um diese Rückkehr vorzubereiten, damit die Menschen ihr Heimatland wieder aufbauen können. Für sie sollten deshalb Schulungsmaßnahmen oder eine Ausbildung an oberster Stelle stehen. Und inzwischen kehren ja, vorwiegend aus den Nachbarländern, Hunderttausende Flüchtlinge nach Syrien zurück.

Soll das auch für die unbegleiteten minderjährigen Ausländer gelten?

In diesem Bereich müssen wir grundsätzlich entschlossener vorgehen als bisher. Die unbegleiteten minderjährigen Ausländer gehören zu ihren Familien. Die erste Aufgabe muss es sein, die Eltern zu finden und die Kinder zu ihren Eltern zurückzuführen. Dort gehören sie hin, nicht in einen fremden Staat.