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AfD-Krisensitzung Letzter Warnschuss

AfD-Abgeordneter Daniel Roi bleibt in der Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt. Bei einer siebenstündigen Krisensitzung wurde Tacheles geredet.

05.02.2017, 23:01

Magdeburg l Er ist einer der Ersten. Als André Poggenburg am Freitagabend um 18.46 Uhr zur Krisensitzung eintrifft, wird er vom Blitzlichtgewitter der Fotografen empfangen. Der AfD-Fraktionschef steht heute besonders im Fokus. Eine Zusammenarbeit mit dem Abgeordneten Daniel Roi sei nur noch „schwer vorstellbar“, hat er vergangene Woche gesagt. Roi hatte eine interne Unterlage nach außen gegeben – ausgerechnet an jene entlassene Referentin, die den Staßfurter AfD-Abgeordneten Matthias Büttner beschuldigt hat, sie während einer Dienstreise in Erfurt sexuell bedrängt zu haben. Viele Fraktionäre haben zu Roi kein Vertrauen mehr. Sie wollen heute über seinen Ausschluss entscheiden.

+++ 18.57 Uhr: Daniel Roi kommt als einer der Letzten. Er gibt sich locker, geht lächelnd in den Beratungsraum. Dann wird die weiße Tür geschlossen.

+++ Lange Zeit verläuft die Sitzung ruhig. Doch gegen 20.50 Uhr wird es plötzlich laut. Die Abgeordneten schreien sich an. Es gibt ein heftiges Wortgefecht. Dann brüllt ein Mann: „Schnauze!“

+++ 21.20 Uhr: Erste Raucherpause. Viele gehen zum Kaffeeautomaten und kommen mit Plastikbechern zurück. Hinter den Abgeordneten liegt ein langer Tag, sie sind bereits seit 9 Uhr im Landtag. „Eins, zwei Stunden“ werde es wohl noch gehen, kündigen sie an. Roi ist gut drauf. „Überstunden schrubben“, sagt er augenzwinkernd.

+++ Zur Beruhigung trägt die Pause wenig bei. Um 21.54 Uhr ist zu vernehmen, wie Roi und seine Lebensgefährtin Sarah Sauermann, die ebenfalls im Landtag sitzt, Poggenburg angehen. Dann setzt der 26-jährige Tobias Rausch zu einer Wutrede an. „Es ist zum Kotzen!“, ruft er. „Manche Leute führen hier einen persönlichen Krieg.“ Die „Machtspiele in Fraktion und Partei“ müssten aufhören, fordert Rausch.

+++ 23.13 Uhr: Die Sitzung geht in die fünfte Stunde. Jetzt wird auch Poggenburg laut. Wieder entsteht ein lautstarkes Durcheinander, bis einer „Schnauze!“ brüllt.

+++ 1.04 Uhr: Zweite Pause. Ein grundsätzliches Ergebnis liege nun vor, ist zu vernehmen. Die Stimmung ist gelöst. Die Abgeordneten scherzen. Nach Ausschluss sieht das nicht aus.

+++ 2.23 Uhr: Es ist Applaus zu hören. Jan Wenzel Schmidt, der sich zuvor für den Ausschluss Rois ausgesprochen hatte, verlässt als Erster den Raum. Er guckt ernst, unzufrieden. Poggenburg und Roi kommen gemeinsam aus dem Beratungsraum und verschwinden kurz in ein Büro. Dann treten sie vor die wartenden Journalisten. Poggenburg reicht Roi demonstrativ die Hand.

+++ 2.28 Uhr: Der Fraktionschef ergreift als Erster das Wort. Man habe Dinge angesprochen, die im Alltag in der Fraktion immer auf der Strecke bleiben würden, sagt er. „Wir haben uns einige Dinge vorgenommen. Wir wollen mehr miteinander und weniger übereinander reden“, sagt Poggenburg und schaut Roi dabei an. Der Mann aus Wolfen nickt und sagt: „Ich kann das nur bestätigen.“ Es gebe keinen Machtkampf Poggenburg – Roi in der AfD. Der heutige Tag sei ein „Neustart“. „Wir haben heute alles geklärt und damit ist es auch gut.“

Fast beiläufig erklärt Poggenburg, dass er zu einer Abstimmung über den „temporären Ausschluss“ Rois gekommen sei. 15 Fraktionäre hätten dafür gestimmt, sechs dagegen, drei enthielten sich. Der zeitweilige Ausschluss – nach Informationen der Volksstimme sollte dieser bis zum 30. September andauern – wäre jedoch nur wirksam geworden, wenn 17 Fraktionäre mit Ja votiert hätten.

Eine Niederlage für den Fraktionsvorstand? Das bestreitet Poggenburg. Die neue Zusammenarbeit soll „neues Vertrauen“ hervorbringen. Doch der Fraktionschef macht keinen Hehl daraus, dass bei der Entscheidung die bevorstehende Bundestagswahl eine Rolle gespielt hat. Das Ergebnis, mit dem er „nicht unzufrieden“ sei, könne man auch als „Burgfrieden“ verstehen. Und die 15 Abgeordneten, die sich für den temporären Ausschluss ausgesprochen hätten, seien „lupenreine Demokraten“. Sie würden das Abstimmungsergebnis „einwandfrei anerkennen“, meint Poggenburg. Während der Fraktionschef diese Worte sagt, steht Roi ernst neben ihm. Poggenburg hat sein Kameralächeln aufgesetzt. Roi dagegen ist anzusehen, dass er mit dem Verlauf des Abends nicht wirklich glücklich ist.

+++ Nach der Krisensitzung ist bei den Abgeordneten vor allem eines zu vernehmen: Erleichterung darüber, dass es nicht zu einer Spaltung oder einem Ausschluss gekommen ist. „Wir wollen weiter zusammenarbeiten. Das ist eine gute Sache“, sagt einer. Es gebe weder einen Sieger noch einen Besiegten. Ein anderer meint: „Es ist der große Wille von uns allen, dass diese ständigen Indiskretionen aufhören.“ Eines sei damit klar: „Das Abstimmungsergebnis ist der letzte Warnschuss für Daniel Roi.“ Meinung