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Armwrestling Heimspiel für den Mann mit der Super-Pranke

Bei der Deutschen Meisterschaft im Armwrestling in Eisleben will Matthias Schlitte seinen Titel verteidigen. Es könnte eng werden.

Von Massimo Rogacki 07.04.2017, 01:01

Haldensleben l Die Hand ist so groß wie eine Pfanne, aus dem Oberarm ragt eine kolossale Beule und der Unterarm geht mit 44 Zentimetern Umfang auch als Oberschenkel durch. Diese stattliche Pranke gehört Matthias Schlitte – Deutschlands bekanntestem Armwrestler. So unbezwingbar der gebürtige Haldensleber aussieht, im Moment ist sein Nervengerüst dünner als gewöhnlich. Denn er hat Hunger.

Wenn der 30-Jährige am Sonnabend bei den Deutschen Meisterschaften (DM) im Armwrestling (das heißt: professionelles Armdrücken) in Eisleben an den Start geht, darf er lediglich 70 Kilogramm auf die Waage bringen. „Statt Speck und Eiweiß-Shakes gibt’s jetzt erst mal nur Gemüse“, verrät der Kraftsportler und schaut etwas traurig drein.

Es ist die erste DM, die in Sachsen-Anhalt stattfindet. Die Organisatoren vom TuS Hergisdorf haben 120 Frauen und Männer für den Showdown gewinnen können. Erwartet werden in der Glück-Auf-Sporthalle in Eisleben 500 Zuschauer.

Matthias Schlitte wird bereit sein – und setzt darauf, dass sich das harte Training und die Entbehrungen auszahlen. „Es wird eng, aber ich denke, meine Chancen stehen nicht schlecht“, sagt er mit Blick auf die Titelkämpfe. Schlitte ist als Vorjahressieger einer der Favoriten. Es wäre sein vierter Erfolg bei den Herren. Mit mehr als 30 internationalen Titeln ist der Kraftsportler, der beim VfL Wolfsburg unter Vertrag steht, schon jetzt einer der erfolgreichsten deutschen Armwrestler in der seit 1987 andauernden Geschichte der Sportart.

Schlittes Erfolgsgeheimnis ist, neben dem täglichen Training, sein Arm – der wahrscheinlich dickste des Landes. Die Natur hat ein wenig nachgeholfen. Er leidet am Klippel-Trénaunay-Syndrom, einer seltenen Fehlbildung der Gefäße. Beklagen will er sich nicht. „Eigentlich hat mir meine Anomalie immer nur genützt. Zum Beispiel, immer wenn ich beim Aufschrauben von Gurkengläser helfen kann.“ Der 30-Jährige lacht.

Gehänselt wurde er zu Schulzeiten nach eigener Aussage nie. „Höchstens mal im Kunstunterricht, weil ich nicht zeichnen konnte“, verrät er augenzwinkernd. Seine besondere Gabe hat ihm früh Superheldenvergleiche eingebracht. Hellboy, das ist sein Kampfname in der Szene. In Anlehnung an eine Comic-Figur mit ähnlich ausladender Extremität.

Begonnen hatte die Erfolgsgeschichte mit Matthias Schlittes Mutter. Die musste schon früh ungläubig feststellen, dass dem Sohnemann Bärenkräfte innewohnen. Etwa als der Dreijährige im Treppenhaus mit dem randvollen Kohleneimer in der rechten Hand hinter ihr hergejuckelt kam. Ihren 16-jährigen Sprössling meldete Mutter Schlitte 2004 einfach mal bei einem Armwrestling-Wettbewerb in Haldensleben an. Dabei stach der Schlacks mit der imposanten Rechten alle Kraftprotze aus – und gewann. Drei Monate später holte sich Schlitte bereits die erste Deutsche Meisterschaft bei den Junioren.

Trotz der beachtlichen Liste von Erfolgen: „Vom Armwrestling leben kann ich nicht“, sagt Schlitte, der in Halle als Verwaltungsbeamter arbeitet. Der Arbeitgeber stellt ihn für Turnierteilnahmen so gut es geht frei. Asien, Australien, USA und Osteuropa – dort hat der Armwrestler schon gekämpft.

Beim VfL Wolfsburg kann der studierte Sozialwissenschaftler und Personaler zudem unter besten Bedingungen trainieren. Ab und zu kommen auch mal Kicker wie Diego Benaglio vorbei und beobachten das Armwrestler-Team beim Gewichtestemmen und bei der Arbeit am Griffkraft-Trainer.

Was sie dort sehen, ist nicht weniger professionell als der Alltag in der Fußball-Abteilung. „Unser Sport hat nichts mit der landläufigen Vorstellung von zwei Kneipenbrüdern zu tun, die ums nächste Bier wettdrücken. Wer nicht topfit ist, hat bei Meisterschaften keine Chance“, sagt Schlitte. Im Wettkampf treffen sich die Kontrahenten an einem 1,04 Meter hohen Tisch. Mit einer Hand halten sie sich an einem Griff fest und setzen ihren ganzen Körper ein, um die Hand des Gegners herunterzudrücken. Große Hände sind von Vorteil, um das Handgelenk des Gegners so einzudrehen, dass dieser keine Chance mehr hat.

Ein Kampf dauert zwischen einer Sekunde und mehreren Minuten. Was für Zuschauer ein Spektakel ist, endet ab und an für die Sportler tragisch. Wenn etwa – was allerdings selten vorkommt – ein Oberarm der Belastung nicht standhält und durchknackt. „Die häufigste Verletzung bei uns ist eher eine Sehnenscheidenentzündung“, beschwichtigt Schlitte.

Und ab und zu kracht auch mal der Tisch ein. Wie in „Over the Top“, dem Kultfilm der Armwrestler von 1987 mit Sylvester Stallone. Mit dem Film gründete sich der Weltverband in den USA. „Heute ist die Armwrestler-Szene international“, erklärt Matthias Schlitte. Die Cracks, häufig Voll-Profis, kommen aus Kasachstan, Georgien, Bulgarien oder Russland. Sollte Schlitte den Sieg einfahren, geht’s für ihn zu den Europameisterschaften ins polnische Kattowitz. Die WM steigt in diesem Jahr in Europa – in Budapest. Bei den internationalen Titelkämpfen sprang schon mal ein vierter Platz für den Bebertaler heraus. Damit sei er „The Best of the West“ gewesen, scherzt er.

Armwrestling gibt es aber auch in Japan, wo Schlitte spätestens nach einem vielbeachteten Auftritt in einer Fernsehshow plus Kampf gegen den lokalen Champ noch immer auf der Straße erkannt wird. Oder in den USA, wo der Kraftsportler in einem Showkampf einen Roboter besiegte – und dem blechernen Armdrück-Automaten prompt einen Arm ausriss. Halb so schlimm, meinte das veranstaltende College – und packte dem Deutschen den kaputten Arm ein. Mit der abgerissenen Extremität im Koffer wollte Schlitte ausreisen. Doch der Zoll fand in seinem Gepäck den Roboterarm – fand das reichlich merkwürdig und hielt Schlitte kurzerhand auf. Der blieb trotz hartnäckiger Fragen und langer Wartezeit wie eh und je gefasst. Die Roboter-Extremität ziert heute sein kleines heimisches Armwrestling-Kabinett mit Pokalen, Mitbringseln und Kuriositäten aus aller Welt. Morgen, so hofft er, wird er der Sammlung endlich eine neue Trophäe hinzufügen können.

Deutsche Meisterschaften im Armwrestling am Sonnabend, 8. April ab 10.30 Uhr in der Glück-Auf-Halle Eisleben. Finals und das Showprogramm ab 19 Uhr. Eintritt: 7 Euro an der Abendkasse