Kriminalität Automaten-Sprenger lockt schnelles Geld
Die Zahl der Automaten, die in Sachsen-Anhalt gesprengt werden, steigt. Dabei ist das sehr gefährlich.
Magdeburg l Ein ohrenbetäubender Knall. Sirrend fliegt eine Metalltür auf dem S-Bahnhof Halle-Südstadt über den gegenüberliegenden Bahnsteig – trifft einen 19-Jährigen tödlich.
So geschehen am 20. Oktober dieses Jahres. Das Opfer gehörte den ersten Ermittlungen zufolge zu einem Trio, das den Fahrkartenautomaten in die Luft gejagt hatte, um an die darin befindliche Geldkassette heranzukommen. In diesem Fall waren es 140 Euro.
Die Täter hatten ein Gasgemisch in den Automaten eingeleitet und eine Explosion ausgelöst.
Kurze Zeit nach dem Anschlag nahm die Polizei einen 15-Jährigen aus Halle und einen 20-Jährigen aus Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) fest. Gegen sie wurde Haftbefehl erlassen. Seitdem sitzen sie in der Jugendanstalt Raßnitz (Saalekreis) ein.
Die Ermittler prüfen, ob die drei mit einer Serie von Straftaten zu tun haben. Im Oktober wurden in Halle weitere sechs Fahrkarten- und ein Geldautomat von bislang Unbekannten gesprengt. Die Polizei richtete eigens dafür eine Ermittlungsgruppe ein.
Fahrkarten-, Geld-, Zigarettenautomaten – den Tätern kommt es nicht darauf an. Hauptsache, die Kohle stimmt. Selbst auf die Gefahr hin, dass beim Sprengen des Stahlschrankes jemand auf der Strecke bleibt. Aktuellster Fall: Am Mittwochmorgen wurden mit Böllern ein Fahrkartenautomat in Calbe (Salzlandkreis) in die Luft gejagt. Der Schaden 15.000 Euro.
In Sachsen-Anhalt flogen in diesem Jahr bis Ende September bereits 15 Fahrkartenautomaten in die Luft, 107 Zigarettenautomaten und sieben Geldautomaten.
Der Schaden, der durch diesen kriminellen „Volkssport“ entstanden ist, geht in die Hunderttausende. So waren es 2011 rund 419.000 Euro, sechs Jahre später – 2017 – etwa 576.000 Euro.
Zur Frage, welche Summen im Einzelnen erbeutet wurden, hält sich die Polizei bedeckt. „Wir wollen doch nicht, dass aufgrund der Beträge Trittbrettfahrer auf die Idee kommen, selber tätig zu werden“, so ein Sprecher des Landeskriminalamts. Allerdings ist es längst kein Geheimnis, dass in Einzelfällen Automaten mit 250.000 bis 300.000 Euro bestückt sind.
Die Art und Weise, wie die Täter an das Geld herankommen wollen, variiert. Einerseits wird Pyrotechnik, sogenannte Polenböller, benutzt, andererseits Spray, das in Automatenöffnungen gesprüht und dann entzündet wird.
Schaut man sich an, wo die „Bomber“ am aktivsten sind, fällt auf, dass der Saalkreis mit 130 gesprengten Automaten zwischen 2011 und September 2018 weit vorn liegt. Es folgen der Harz mit 106, der Bördekreis mit 81 und der Salzlandkreis mit 76. Am ruhigsten ist es hingegen im Altmarkkreis Salzwedel. Dort schepperte es lediglich 17-mal.
Betrachtet man die Automatentypen für sich, liegt die Stadt Halle mit 23 gesprengten Fahrkartenautomaten ganz vorn, gefolgt vom Landkreis Börde (15) und der Landeshauptstadt (13).
Geldautomaten wurden im Harz-Kreis am häufigsten angegriffen (14), gefolgt vom Salzlandkreis (7) und dem Bördekreis (6).
Bei Zigarettenautomaten liegt der Saalkreis mit 118 weit vorn, dahinter der Harz (91) sowie die Börde und der Salzlandkreis mit je 60.
Es ist ein deutschlandweites Phänomen, wissen die Sprengstoffexperten des Landeskriminalamts. Es sei eine zusätzliche Variante des Bankraubs. Wöchentlich meldet die Polizei aus allen Teilen der Bundesrepublik solche Sprengungen.
Der Vorteil: Im Gegensatz zu einem klassischen Bankraub ist eine Sprengung mit wesentlich weniger Risiken verbunden. Die reine Tatausführung dauert etwa drei Minuten. Nach der Explosion brauchen die Täter vielleicht noch eine Minute, um die Geldkassetten herauszunehmen. Dann sind sie verschwunden.
Freilich gehört auch Geschick dazu, die richtige Gasmenge einzufüllen. Zumeist wird der Geldausgabebereich genutzt, doch ein herkömmlicher Automat bietet über Lücken und kleinste Öffnungen im Material weitere Einlassstellen.
Täter nutzen meist eine Zündschnur; einige schütten nur eine Benzinspur auf Automat und Boden und entzünden sie in einer Entfernung von zehn bis 15 Metern.
Die Liste der gesprengten Automaten ist lang und beinahe wöchentlich kommen neue Fälle hinzu.
Am 9. Oktober krachte es auf dem Bahnhof Güsten (Salzlandkreis). Der Fahrkartenautomat wurde völlig zerstört und die Geldkassetten waren verschwunden, als die Polizei eintraf. Teile des zerstörten Automaten lagen über Bahnsteig und Gleise verstreut. Zerstört waren ein Fahrkartenentwerter sowie andere Teile der Bahnhofseinrichtung.
Neben dem Sachschaden kam in diesem Fall erschwerend hinzu, dass die Gleise zwischen 4.15 Uhr und 9.30 Uhr komplett gesperrt werden mussten.
In Groß Ammensleben (Börde) hatten es am 10. Oktober Täter auf den Fahrkartenautomaten abgesehen. Als sie nach der Detonation von einem Zeugen ertappt wurden, gaben sie Fersengeld und verschwanden ohne Beute.
Zwei Männer aus Niedersachsen (29, 31) wurden am 14. Oktober festgenommen, nachdem sie in Hötensleben (Börde) einen Zigarettenautomaten gesprengt hatten. Ein Anwohner hatte nach der Detonation kurz vor 5 Uhr die Polizei alarmiert.