Nicole E. beschreibt am zweiten Verhandlungstag, wie sie sich in ein Lügengewirr um eine erfundene Schwangerschaft verstrickt, das in die Gewalttat mündete Babyraub-Prozess:"Ich wollte ihr nicht wehtun, wusste aber keinen Ausweg"
Magdeburg l Im Landgericht Magdeburg wurde gestern der Prozess gegen Nicole E. fortgesetzt. Die 28-Jährige aus dem Salzlandkreis hatte am 10. September 2009 versucht, einen Säugling aus der Magdeburger Klinik St. Marienstift zu entführen und seine Mutter mit einer Schere angegriffen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Im Mittelpunkt des zweiten Verhandlungstages standen die Aussagen von Nicole E. und ihres Opfers, Hadia H.-M. Die Angeklagte, die eine Förderschule für Menschen mit geistiger Behinderung besucht und einen Hauptschulabschluss, aber keine Berufsausbildung hat, beschrieb dabei ausführlich ihre Beziehung zu David A. Beide führten 2008 ein mehrmonatiges Verhältnis, doch er verließ Nicole E. wieder, weil er zu seiner Ex-Freundin zurückwollte. Dennoch hatten sie danach noch mehrmals Sex.
Um ihn zurückzugewinnen, sagte sie ihm Anfang Dezember 2008, sie sei schwanger. Daraufhin sei ihr Ex-Freund wütend geworden und habe sie zur Abtreibung aufgefordert, akzeptierte die vermeintliche Schwangerschaft jedoch schließlich. Als Beweis kopierte Nicole E. die Ultraschallbilder einer Freundin und aß mehr Süßigkeiten, um zuzunehmen.
Doch nicht alle im Bekanntenkreis des Pärchens wollten an eine Schwangerschaft glauben und überzeugten im Sommer 2009 auch David A. davon. Es kam zum endgültigen Bruch zwischen beiden. Er habe sie per SMS bedroht und ihr aufgelauert, sagt Nicole E. "Hätte ich ihm die Wahrheit gesagt, wäre er ausgerastet". Der fiktive Geburtstermin rückte immer näher, und im August kam der verzweifelten Frau die Idee, sich ein Kind zu besorgen.
Am 8. September fuhr sie schließlich nach Magdeburg und mietete sich für zwei Tage in eine Pension ein. Was genau sie dachte, ob sie die Tat plante und wie der Angriff im Detail ablief, daran kann oder will sich Nicole E. nicht mehr erinnern. Doch sie kaufte in einer Drogerie Baby-Kosmetik und eine Schere. Am späten Nachmittag des 10. September ging sie ins Marienstift, das sie kannte, weil ihre Cousine dort entbunden hatte. Im Flur der Wochenstation traf sie auf Hadia H.-M., die am Tag zuvor ihren Sohn Ferhad entbunden hatte. Eine Weile saß E. vor ihrer Tür, und als die Nichte der heute 23-jährigen gebürtigen Irakerin gegangen war, betrat sie nach 19 Uhr deren Zimmer. Sie täuschte mit den Kosmetika als Geschenk gute Absichten vor, zog die Schere, hielt der auf dem Bett sitzenden Mutter von hinten die Hand auf den Mund und stach auf Kopf und Nacken ein. "Ich wollte ihr nicht wehtun, aber ich wusste keinen Ausweg", sagt E. Hadia H.-M. wehrte sich heftig und es gelang ihr mit "unheimlicher Kraft", wie sie gestern aussagte, Nicole E. zur Zimmertür zu drängen. Eine Hebamme trennte die Frauen, dann kam die Polizei.
Kommt die Schwurgerichtskammer des Landgerichts zu der Überzeugung, ihr Angriff auf die junge Mutter war ein Mordversuch, drohen E. zusätzlich zur versuchten Kindesentziehung drei bis 15 Jahre Freiheitsstrafe.
Das Urteil wird wahrscheinlich am 8. November gesprochen.