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Bahnhöfe Die verrotteten "Stadttore" in Sachsen-Anhalt

Bahnhöfe waren einst die Tore zur Stadt. Heute ist der erste Eindruck für ankommende Reisende in Sachsen-Anhalt trist bis verheerend.

Von Bernd Kaufholz 24.03.2019, 00:01

Magdeburg l Blickt man auf die Vorderseite des 118 Jahre alten Empfangsgebäudes des Bahnhofs Magdeburg-Neustadt, ist der Eindruck nicht mal der schlechteste. Aber wehe, man betritt die Halle mit den verrammelten Toren, mit den vermüllten Unkrautecken hinter zerschlagenen Fensterscheiben und den Nischen, in denen es wie im Tigerstall stinkt. Da nutzt es auch nicht, wenn Bögen und Säulen an den einstigen Charme des Eingangsgebäudes erinnern.

Wenn Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) auf den Neustädter Bahnhof angesprochen wird, schwillt ihm der Kamm. „Eine Katastrophe“, schimpft er. „Magdeburgs zweitgrößter Bahnhof – eine Visitenkarte der Landeshauptstadt – und dann steigen die Menschen aus und denken, sie sind in Rumänien.“

Wütend macht Trümper, dass der Stadt die „Hände gebunden“ sind. „Er befindet sich seit ein paar Jahren in Privathand.“ Nach Volksstimme-Informationen will (oder wollte?) der Käufer dort eine Art Fitnessstudio einrichten. Passiert sei bis heute kaum etwas.

Tatenlos sei die Stadt nicht gewesen, so der OB. „Wir haben vor etwa einem Jahr versucht, das Objekt vom Eigentümer zurückzukaufen, für das Doppelte der Kaufsumme, die er gefordert hat.“ Genaue Zahlen will Trümper nicht verraten, aber Insider sprechen von 80 000 Euro, die der Käufer hingeblättert haben soll.

„Die Stadt hätte gekauft, aber wir wollten die Rechnungen sehen, die der Besitzer nach eigenen Angaben für die Planung bezahlt hat.“ Allerdings habe der Eigentümer davon nichts wissen wollen. Das geht sie nichts an, habe er mitgeteilt.

Den Unmut seines Amtsbruders kann Bürgermeister Helmut Zander (SPD) aus Güsten sehr gut nachvollziehen. Auch die Kleinstadt im Salzlandkreis hat einen „Katastrophen-Bahnhof“. Diese Zugstation dümpelt ebenfalls seit Jahren vor sich hin. Mit dem Unterschied, dass am hinteren Teil – einst Mitropa – das Dach bereits heruntergekommen ist.

Ein englisches Kuratorium, das vor etwa 20 Jahren deutschlandweiten mehr oder weniger marode Bahnhofsgebäude von der Bahn gekauft habe, habe keinen Finger krumm gemacht und das Objekt später weiterverkauft. „Es hat mehrere Bewerber gegeben, darunter auch junge Leute, die dort etwas mit Fahrrädern machen wollten. Aber bekommen hat es ein Holländer. Mit dem Ergebnis, dass das Gebäude immer weiter verfallen ist.“ Das Vorhaben, dort Wohnungen zu bauen, sei letztlich an Geldmangel gescheitert. „Der Eigentümer hat das Objekt weiterverscherbelt.“

Inzwischen gehöre das „Eingangstor zur Stadt“ einer Stuttgarterin. Der Kaufpreis habe unter 30.000 Euro gelegen. „Hintergrund des Kaufs soll gewesen sein, dass der Sohn der Käuferin ein Eisenbahn-Fan ist“, so Zander.

Die Gemeinde wolle die Stuttgarterin nach Kräften unterstützen, dem Katastrophen-Bahnhof wieder ein ordentliches Aussehen zu geben.

Unterstützen würde auch die Stadt Osterburg (Landkreis Stendal) einen künftigen Investor, der das „Schlummer-Objekt“ wachküsst. „Vor fünf Jahren hat es schon mal so ausgesehen, als ob es vorangeht“, sagt Bürgermeister Nico Schulz (CDU). „Doch die Pläne für einen Imbiss und Arztpraxen versanken schnell wieder in der Versenkung.“ Schulz hat keinerlei Verständnis dafür, dass die Bahn bei Verkauf der Gebäude nur auf den Erlös geschaut habe und nicht auf Konzepte.

Dass verrottete Bahnhöfe nicht für immer und ewig die Ortsbilder prägen müssen, beweist das Beispiel Wolmirstedt. Auch dort steht der größte Teil des Bahnhofsgebäudes seit Jahren leer und die Bausubstanz wird immer schlechter.

Doch das Siechtum hat in absehbarer Zeit ein Ende. Der Bahnhof soll bis 2020 saniert werden. Gekauft hat das Gebäude die Stiftung BodelschwinghHaus, die sich um Kinder, Jugendliche und Behinderte kümmert. Die Stiftung hat bei einer Telefonversteigerung 2015 den Zuschlag bekommen.

Vorstand Swen Pazina hält die Pläne für die künftige Nutzung in der Hand – mitten in der „toten“, gelbgefliesten Eingangshalle. „Hier kommt ein Cappuccino-Backshop rein, mit Kaffee to go, Snacks, einem Tabakwaren- und Zeitungsshop und ein öffentliches WC.“ Geplant sei zudem ein Video-Reisezentrum mit elektronischer Auskunft und mit Fahrkartenverkauf.

An der linken Stirnseite des denkmalgeschützten Gebäudes von 1895 wird es eine Fahrradwerkstatt mit Wäsche und Pflege – eventuell einen Verleih – geben. „Auch ein Orthopädieschuhmacher ist an Gewerberäumen interessiert“, sagt Pazina.

Die Stiftung steht in den Startlöchern. Doch es dauert und dauert ... „Vor einem Dreivierteljahr haben wir den Bauantrag gestellt. Bisher hat sich nichts getan. Durch die Verzögerungen steigen die Kosten an. Haben wir mit 1,5 Millionen Euro kalkuliert, sind es inzwischen schon 2,5 Millionen.“

Doch der Vorstand lässt sich nicht entmutigen: „Wenn hier wieder Leben einzieht, sind alle Mühen vergessen.“

Den Blankenburger Bahnhof haben Stephan Nickell und Dirk Brandenburg 2016 gekauft. Dort wohnen zwölf Mieter. Seitdem sind die Harzer dabei, Schritt für Schritt herzurichten. „Fast täglich sind wir nach der Arbeit dabei. Für die nächsten 20 Jahre haben wir zu tun“, sagt Nickell.