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Bauhaus Die späte Wiederentdeckung in Magdeburg

In einer tristen Nebenstraße in der Nähe des Hauptbahnhofes Magdeburg liegt der Komplex der ehemaligen Kunstgewerbe- und Handwerkerschule.

Von Grit Warnat 23.02.2019, 00:01

Magdeburg l Sätze von Goethe und Dürer stehen über dem Eingangsportal und dieser von Uhland: „Würdig ehren wir die Meister, aber frei ist uns die Kunst.“ Wie viele Schüler und Lehrer unter diesen Wörtern in all den Jahrzehnten ein- und ausgingen – niemand weiß das.
 Nur wenig ist erhalten geblieben von den Arbeiten der einstigen Schüler und Lehrer. Immerhin aber hat das Gebäude in der Brandenburger Straße den Zweiten Weltkrieg überstanden, als große Teile der Magdeburger Innenstadt in Schutt und Asche gelegt wurden. Heute ist das stattliche Haus Zeuge einer sehr besonderen Aufbruch-Zeit in den 1920er Jahren. Schließlich fand sich die Schule im Kontext einer nicht minder radikalen und modernen Stadtpolitik.
Magdeburg wollte damals zu neuen Ufern. Bruno Taut, Stadtbaurat, bastelte an einer Zukunftsstadt. Es ging um Architektur-Moderne, Siedlungshäuser, soziales Bewusstsein beim Bauen. Die Industriestadt vielen Hinterhöfen arbeitete eifrig an einem neuen Image, hatte sich Anfang der 1920er Jahre bereits einen Namen als Messestadt gemacht, zur Wiederaufbau-Ausstellung MIAMA in neue Hallen geladen, 1925 mit der großen Reichs­ausstellung „Der Zucker“ Erfolge gefeiert.
Wilhelm Deffke war künstlerischer Leiter der Schau für die Zucker herstellende und verarbeitende Industrie, er schuf mit der goldenen Biene das abstrakt-kubistische Signet, mit dem im Eingangsbereich und auf Plakaten geworben wurde.
In jenem Jahr wurde er Rektor an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule. Deffke hatte sich da schon mit seinen Ideen für Fabrik- und Warenzeichen einen Namen gemacht, unter anderem zeichnete er für das Erscheinungsbild des Zigarettenunternehmens Reemtsma verantwortlich. Behauptet wird immer mal wieder seine angebliche Urheberschaft jenes alten Kultursymbols, das die Nazis später als Hakenkreuz nutzten. Belegt ist das nicht.
Die Schule erlebte unter Deffke eine Blütezeit. Zum Großprojekt der Deutschen Theaterausstellung, für die in kürzester Zeit die Stadthalle, Bühnenräume und Werbetürme auf dem Areal im Rotehornpark aus dem Boden gestampft wurden, hatten die Verantwortlichen ihn allerdings nach Meinungsverschiedenheiten als Planer abgesetzt.
Als die Nationalsozialisten das Bauhaus in Dessau schlossen, wurden auch in Magdeburg etliche Lehrer entlassen, Abteilungen wie die für Mode, Textil und Keramik geschlossen. Deffke war kein Rektor mehr, er zog nach Berlin, konzentrierte sich ganz auf die Logo-Entwicklung. Er entwarf Tausende Handelsmarken und Fabrikzeichen vor allem für deutsche Industriebetriebe.
Nach dem Krieg wurde er wieder an der Magdeburger Schule eingesetzt. Für die Ausstellung „Magdeburg lebt“ 1947 schuf er das Plakat mit einem aufsteigenden Phönix. Es gibt ein Schwarz-Weiß-Foto, das eine Litfaßsäule zeigt mit Deffkes Plakaten – im Hintergrund die so schwer zerstörte Stadt.
Doch den großen Wunsch nach einem Neuanfang, wie er schon einst nach dem Ersten Weltkrieg Künstler beflügelte, definierten die DDR-Oberen anders. Anfang der 1950er Jahre, die DDR-Zeit war längst angebrochen, wurden wieder einige Abteilungen aus dem Unterricht genommen. Das endgültige Aus kam 1963. Die Schule wurde geschlossen.
„Während die Masse der im Haus verbliebenen Schülerarbeiten in die Heizung wanderte und die Bibliothek per Pkw in das Kulturhistorische Museum verbracht wurde, wo sie tagelang auf dem Hof lagerte, sind die Schulakten in einer Baracke des Rates des Bezirkes eingelagert worden, die später geradezu sinnbildlich ein Opfer der Flammen geworden sein soll.“ So steht es in der Publikation „1793–1963 Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg“, herausgegeben von Norbert Eisold und Norbert Pohlmann.
Pohlmann, Geschäftsführer des Vereins Forum Gestaltung, nennt das einstige Leerräumen des Hauses, das Auslöschen des Innenlebens einen Frevel. Magdeburg habe den Verlust nie kompensieren können, für künstlerische Berufsbiografien könnte kaum noch der Grundstein gelegt werden, sagt er.
Seit 2005 hat das Forum Gestaltung seinen Sitz im traditionsreichen Schulgebäude, der gleichnamige Verein wird nicht müde, an die kultur- und kunsthistorische Bedeutung des Ortes zu erinnern. Heute finden in der Brandenburger Straße Konzerte und Lesungen, Theateraufführungen, Diskussionsrunden und Ausstellungen statt. In der Bibliothek Forum Gestaltung werden Publikationen zu Künstlern und zur Hausgeschichte herausgegeben.
Immer im Blick die einstigen wichtigen Macher um Wilhelm Deffke, Walter Dexel, Herman Eidenbenz. In Magdeburg sind viele dieser Namen verblasst. Dabei, so unterstreicht Pohlmann, sind sie eng verbunden mit Kultur-, Bildungs- und politischer Geschichte.
„Sein“ Haus steht für Nachruhm. Auch in diesem Jahr. Ab Ende März wird an den in Magdeburg geborenen Designer Stefan Wewerka erinnert und im Herbst folgt – wie kann es anders sein – eine ständige Ausstellung zur Historie der Schule am angestammten Platz.
Forum Gestaltung, Brandenburger Straße 9-10 in Magdeburg, Öffnungszeiten zu den Ausstellungen: Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr.
Das Bauhaus wird 100 Jahre alt. Auf der großen Volksstimme-Themenseite gibt es Geschichten und Termine rund ums Jubiläum und wo Bauhaus den Menschen in Sachsen-Anhalt heute noch begegnet. Themenseite: 100 Jahre Bauhaus