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Behinderten-Projekt Eine Chance trotz Handicaps

Zehn Jahre hat Stefan Meyer in Oschersleben in einer Werkstatt für Behinderte gearbeitet. Dann wagte er den Schritt in die Eigenständigkeit.

Von Janette Beck 03.09.2018, 01:01

Oschersleben l Christopher Ernst, Leiter Soziale Dienste des Matthias-Claudius-Hauses, klopft Stefan Meyer auf die Schulter. „Hallo Stefan! Machst dich gut, hat mir dein Chef erzählt, das höre ich gerne. Super!“, lobt der Sozialpädagoge seinen „Musterschüler“.

In der Oschersleber Behindertenwerkstatt hatte der 31-Jährige nach der Förderschule über zehn Jahre gearbeitet und sich das Rüstzeug für den Sprung in ein eigenständiges Leben geholt. „Ich wollte raus aus der Werkstatt und eigenes Geld verdienen“, begründet er den mutigen Schritt. Seit drei Monaten arbeitet er jetzt „richtig“ und ist rundum zufrieden. Vor allem, „weil ich viel mit dem Transporter fahren darf“, strahlt der Autofreak.

Die Chance dazu, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen, hat ihm Ralf Gottschlich gegeben. Er ist Chef einer Firma im Bereich Elektro- & Lüftungstechnik sowie Schlosserei – ein gut laufendes Unternehmen mit vollen Auftragsbüchern und enger Personaldecke. Der Kontakt entstand über einen Bekannten, der eine KfZ-Werkstatt hat. „Der erzählte mir, dass Stefans Bruder dort einen guten Job macht. Ich dachte mir, wenn das dort so gut läuft, warum nicht?! Der Junge sucht Arbeit, er hat eine Chance verdient.“

Von Vorteil sei zudem gewesen, dass der neue Mitarbeiter in spe einen Führerschein hat und seit vier Jahren unfallfrei unterwegs ist.

Einen Versuch war es also allemal wert. Stefan Meyer schnappte sich die Visitenkarte der Firma und präsentierte sie stolz seinem „Mentor“ Christopher Ernst. Dieser war angetan von der Eigeninitiative und Zielstrebigkeit, mit der sein Schützling die selbstgesteckten Ziele verfolgte: Führerschein. Eigenes Geld verdienen. Eigene Wohnung beziehen. Er nahm Kontakt zu Ralf Gottschlich auf, machte mit ihm ein dreimonatiges Praktikum aus, zeigte Meyer den Weg über das „Budget für Arbeit“ auf und half bei der Beantragung.

Von dem profitieren am Ende beide Seiten. Zunächst überzeugte der Praktikant seinen Chef, dass die 80-prozentige Behinderung, die ihm im Ausweis attestiert wurde, kaum etwas über die tatsächliche Leistungsfähigkeit aussagt. „Stefan ist technisch versiert, hat mehr Ahnung von Computer, Laptop und Handy als ich“, urteilt der Oschersleber und stellte dem neuen Mitarbeiter ein gutes Zwischenzeugnis aus: „Die Arbeitsmoral ist gut, er ist lernwillig, teamfähig, schaut nicht auf die Uhr und ist zu 100 Prozent zuverlässig.“ Das sei weit mehr, als manche Arbeitssuchende ohne Handicap mitbringen würden, so der Chef. „Ich hoffe, er bleibt am Ball.“

Dass der Neuzugang bei einigen Rohbau- und Zuarbeiten Hilfestellungen braucht, sei indes kein Problem, „dann erkläre ich es ihm halt zwei- oder dreimal.“

Das Sozialministerium, das die Förderinitiative am 1. Januar 2018 gestartet hat, sieht beim „Budget für Arbeit“ angesichts eines florierenden Arbeitsmarktes nur Gewinner: „Es ist jetzt die richtige Zeit, um noch mehr Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt bringen zu können“, erklärt Sprecher Andreas Pinkert. Ministerin Petra Grimm-Benne (SPD) will noch mehr Arbeitgeber motivieren, Menschen mit Handicap eine Chance zu geben: „Dazu müssen aber bestehende Barrieren in den Köpfen abgebaut werden.“

Auch Sozialpädagoge Christopher Ernst findet es schade, dass seit Start des Programms erst drei Arbeitgeber im Land das „Budget für Arbeit“ genutzt haben: „Vielleicht hilft es ihnen bei der Entscheidung, zu wissen, dass im Gegensatz zu früher bei einem Scheitern des Versuches der Weg zurück in die Behindertenwerkstatt jederzeit möglich ist.“

Für Stefan Meyer ist das allerdings keine Option. Er geht seinen Weg weiter und macht Nägel mit Köpfen: „Ich werde Vater, da ist es gut, dass ich jetzt richtig Geld verdiene.“