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Besoldung Richter-Rebellen geben nicht auf

Versucht Sachsen-Anhalt, das höchste deutsche Gericht auszutricksen? Davon sind vier verbeamtete Juristen überzeugt.

Von Hagen Eichler 06.04.2016, 01:01

Magdeburg l Nach sieben Jahren Warten war es ein großer Tag für die vier Juristen aus Halle: Sie standen im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, die acht Richter in roten Roben zogen ein. Als Präsident Andreas Voßkuhle das Urteil vortrug, wussten die vier Hallenser, dass sie gewonnen hatten.

An jenem 5. Mai 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht: Die Eingangsbesoldung für Richter und Staatsanwälte in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 war verfassungswidrig. Die Bezüge waren so niedrig, dass der Grundsatz der amtsangemessenen Bezahlung verletzt wurde.

Heute, knapp ein Jahr später, fragen sich die Kläger ernüchtert, was ihnen ihr juristischer Erfolg gebracht hat. Zwar hat der Landtag Ende des vergangenen Jahres die Besoldung per Gesetz nachträglich aufgebessert. „Das Gesetz ist aber ein Witz“, sagt Norbert Hartge, Staatsanwalt und einer der vier Kläger. Ihm selbst hat das Land für die Jahre 2008 bis 2014 insgesamt 2684,01 Euro netto nachgezahlt. Auf den Monat gerechnet sind das 32 Euro – viel zu wenig, finden die vier Juristen.

Selbst in der Koalition war umstritten, ob das Land mit einer solchen Summe dem Willen der Karlsruher Richter Genüge tut. Die CDU im Landtag wollte mehr Geld bereitstellen. „Trotz fachlich intensiver Argumentation“ habe man sich allerdings bei der SPD nicht durchsetzen können, klagte der CDU-Abgeordnete Andreas Schachtschneider Ende November nach einer Sitzung des Finanzausschusses. Es blieb bei dem, was Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) errechnet hatte.

Fünf Kriterien hatte das Bundesverfassungsgericht aufgestellt, um festzustellen, was „amtsangemessen“ ist. Betrachtet werden sollen unter anderem die Inflation, die Gehälter der Landesangestellten und der Nominallohnindex. Reißt der Dienstherr drei dieser Kriterien mit einer Abweichung von mindestens fünf Prozent, gilt die Entlohnung als verfassungswidrig.

Bullerjahn ließ findige Rechner des Finanzministeriums an die Sache und präsentierte folgende Lösung: Für jedes Jahr gesondert wurden jeweils die Kriterien gesucht, die mit der geringstmöglichen Summe zu erreichen waren. Und da Karlsruhe eine Unterschreitung von mindestens fünf Prozent verboten hatte, unterschritt Bullerjahn den Wert um 4,99 Prozent.

Die Kläger und mit ihnen viele andere Richter sehen sich von ihrem Dienstherrn vorgeführt. „Das kann doch nicht sein, dass sich der Gesetzgeber bewusst immer am Rand der Verfassungswidrigkeit bewegt“, empört sich Hartge. Bullerjahn habe das höchste deutsche Gericht zu Erbsenzählern degradiert, schimpft er.

Der Finanzminister, innerlich bereits auf dem Absprung aus seinem Amt, will den Vorwurf nicht einmal kommentieren. Auch Justizministerin Angela Kolb-Janssen (SPD), Dienstherrin der 900 Richter und Staatsanwälte, äußert sich nicht.

Mit seinen Mitstreitern Rainer Frank, Bernd Harms und Werner Schade hat Hartge jetzt beim Verwaltungsgericht Halle erneut Klage eingereicht. Gleichzeitig haben die vier auch das Bundesverfassungsgericht angerufen. Sie hoffen auf eine Vollstreckungsanordnung, die dem Tenor des Urteils vom Mai 2015 Rechnung trägt. Ob das klappt, ist unsicher – das Bundesverfassungsgericht müsste die Vier als Antragsberechtigte akzeptieren, was sie bislang nicht sind. Hartge sieht dennoch keinen anderen Weg: „Ansonsten sind wir pensioniert, bis das endlich entschieden ist.“