Magdeburg l Es ist Anfang Januar als Ruth A. aus Blankenburg einen Anruf erhält. Die schwerhörige 92-Jährige glaubt, ihr Enkel aus Thüringen sei am Telefon. Doch am anderen Ende sitzen gut Deutsch sprechende Trickbetrüger, die der alten Frau nach allen Regeln der Kunst einen angeblichen Notfall ihres Enkels vortäuschen. Die Telefonnummer stammt, wie sich später herausstellt, aus der Türkei. Das erkennt die Seniorin aber nicht. Ihr wird schnell glaubhaft gemacht, dass ihr Enkel einen Unfall verursacht habe. Sie müsse ihm dringend 20.000 Euro borgen, damit er den Unfallgegner auszahlen kann. Sonst gebe es riesigen Ärger.
Jörn Hoffmann, der sich regelmäßig als zweiter Enkel um seine Oma kümmert: „Sie ist eigentlich von uns gebrieft.“ Doch ausgerechnet an diesem Tag erreicht sie ihren Enkel Jörn wie gewohnt für Rückfragen nicht. Die Trickbetrüger sind fix, schicken der Frau ein Taxi nach Hause, das sie zur Bank fahren soll. Allerdings erhält sie angesichts der Summe zunächst kein Geld. Dann lässt sie sich zu einer anderen Filiale fahren. Am Ende ruft ein Sparkassenmitarbeiter bei Hoffmann an: „Ihre Oma will hier 20.000 Euro abholen.“ Dadurch fliegt am Ende alles auf. Der Betrug kann rechtzeitig verhindert werden. Ihr gesamtes Erspartes wäre weggewesen.
Erst im Dezember hatten skrupellose Betrüger in Burg bei einer 79-jährigen Frau rund 90.000 Euro erbeutet. Es war ihr gesamtes Geld. Sie glaubte den Betrügern, dass ihr Sohn mit Corona im Krankenhaus liege. Ihn könnte nur eine teure Spritze aus Amerika retten. Eine unbekannte Frau holte das Geld später an der Tür ab und verschwand.
Für die Polizei in Sachsen-Anhalt sind das keine Einzelfälle. Nach einer LKA-Analyse der Strafanzeigen gab es im vergangenen Jahr 956 Betrugsfälle am Telefon, überwiegend als Varianten des Enkeltricks oder als Schockanruf. Die meisten Fälle registrierte die Polizei im September (147) und im November (119). Die häufigsten solcher Betrugs-Anrufe gab es im vergangenen Jahr im Bördekreis (130) , in Halle (117) und in Dessau (109). Nach Angaben von LKA-Sprecher Michael Klocke gibt es zwar keine Statistik zu den Schadenssummen. Er sagt aber: „Diese müssten nach unseren Schätzungen im Jahr aber in die Millionen Euro gehen. Die Dunkelziffer ist sicher noch höher.“ Laut Klocke suchten die Täter in allen Fällen aus dem Telefonbuch gezielt nach Vornamen, die nach älteren Personen klingen. Außerdem gibt es an einem Tag oft mehrere Anrufe in einer Region, bis die Täter weiter ziehen.
Peter Meißner, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter: „Die Opfer empfinden Scham und trauen sich oft nicht mal den Fall anzuzeigen. Deshalb ist es wichtig möglichst oft mit seinen Eltern darüber zu reden.“