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Bewegung Das Bauhaus und seine Faszination

Warum strahlt das Bauhaus bis heute weltweit eine Faszination aus? Ein Gespräch mit dem Magdeburger Architekten Eckhart W. Peters.

Von Karl-Heinz Kaiser 23.02.2019, 23:01

Magdeburg l Der Magdeburger Architekt Eckhart W. Peters sprach im Interview über die Einflüsse und Hintergründe der Bauhaus-Bewegung.

Volksstimme: Ein bekanntes deutsches Magazin ließ sich kürzlich in der allgemeinen Hochstimmung um das ausgerufene 100. Gründungsjubiläum zu der Aussage hinreißen, das Phänomen Bauhaus gehöre zu Deutschland wie Goethe oder Bach. Man sagt, Vergleiche hinken. Ein Stück Wahrheit aber ist meist auch dabei. Worin, Dr. Peters, liegt aus Ihrer Sicht das Stückchen Prägnanz in dem sicher nicht unanfechtbaren Vergleich?
Dr. Eckhart W. Peters: Den würde ich sogar dick unterstreichen. Allerdings rückt außerhalb von Jubiläen wie dem diesjährigen 100. Gründungsjahr das Bauhaus im Vergleich zu Goethe oder Bach noch zu selten ins Bewusstsein. Als leidenschaftlicher Architekt und Stadtplaner bedauere ich das, hat das Bauhaus doch in seinem relativ kurzen Wirken zwischen 1919 und 1932 weltweite Ausstrahlung erlangt. Bis heute ist allein der Name als bildhaftes Markenzeichen für Produkte, Fotografie, Design und Architektur auf allen Kontinenten bekannt.

Es gibt eine ganze Menge an Architekturschulen. Was macht das Bauhaus denn so hervorhebenswert?
Es handelt sich nicht allein um Architektur. In der Tat hat sich das historische Bauhaus zwischen 1919 und 1933 sowohl national und international als die einflussreichste Wiege von Architektur, Kunst und Designs im 20. Jahrhundert entwickelt. Hier wirkte in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die Avantgarde der Klassischen Moderne. Die 1919 in Weimar gegründete Einrichtung galt vielen als ein Labor für Experimente, für neue Ideen, Formen und Materialien bis hin zur Produktwerbung mittels Licht und Fotografie. Das alles hatte Strahlkraft auf ganz Deutschland und wurde 1953 durch die Hochschule für Gestaltung in Ulm von Max Bill erneuert.

Man sagt, die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse waren so etwas wie ein Motor für die Bauhäusler.
Abgesehen von der künstlerischen Kreativität jedes Einzelnen: Das Bauhaus etablierte sich in einer Zeit sowohl der Not als auch des Aufbruchs der Weimarer Republik und vergleichsweise ungeahnter demokratischer Freiheiten mit Walter Gropius als Gründungsdirektor. Er und die Mitstreiter folgten dem Anspruch, in der Zeit des Umbruchs in der desolaten Nachkriegsphase gesamtgesellschaftlich zu einem Aufbruch beizusteuern. Sein Credo formulierte er 1919 im inzwischen legendären Bauhaus-Manifest, in dem er „Kunst und Handwerk“ als eine zu erlangende Einheit postulierte. Die Lehrer trugen nicht den Professoren-Titel, sondern nannten sich Meister. Gropius stand mit Größen seines Fachs wie Mies van der Rohe, Erich Mendelsohn, Hans Scharoun etc. im Dialog und hatte Lyonel Feininger (seit 1919), Johannes Itten (1919), Gerhard Marcks (1919), Paul Klee (1921) und Oskar Schlemmer (1921), Wassily Kandinsky (1922) um sich versammelt.

Das Bauhaus entstand also nicht im luftleeren Raum. Welche künstlerisch-fachlichen Vorbilder gab es?
Ursprünge und die Beweggründe seines Wirkens liegen wesentlich auch im 1907 in München gegründeten Werkbund. Dessen erklärtes Ziel war der Zusammenschluss von Kunst, Industrie und Handwerk zur Formierung einer einheitlichen deutschen Stilsprache gewesen. Man hatte zum Beispiel nach der industriellen Revolution schon vor dem Ersten Weltkrieg erkannt, dass gut gestaltete Industriegüter ein bedeutender Wirtschaftsfaktor sind. So gestaltete Bruno Taut aus Beton, Stahl und Glas (maschinell hergestellte Glasbausteine) auf der Werkbundausstellung 1914 in Köln ein Glashaus in neuer Form. In diesen kulturtheoretischen und praktikablen Überlegungen solcher und anderer Vorkämpfer der Moderne sahen die Bauhäusler Teile ihrer Bestimmung. Das Bauhaus ging jedoch weit darüber hinaus.

Eine Zäsur im Wirken der Weimarer Bauhäusler erfolgte 1925 mit der Übersiedlung nach Dessau. Die Zeit in der Hauptstadt des Freistaats Anhalt bis zum Jahr 1932 wird als die Blüte- oder Glanzzeit der Einrichtung angesehen. Worin lagen die entscheidenden Gründe?
Das Bauhaus wurde in Dessau eine Hochschule für Gestaltung. Vom Aschenbecher über die Handpuppe und das Fotogramm bis hin zur Bauhaus-Tapete reichte die Palette jener Entwürfe selbst von Alltagsdingen, mit denen die Menschen fast täglich konfrontiert waren. Sie warfen bisherige Ansichten über Form und Zeitgeschmack über den Haufen.

Modern, minimalistisch, funktional lautet die Devise für Bauhaus-Stühle, -Lampen, -Accessoires. Das gefiel allgemein. Allerdings gab es, wie bei allem Neuen, Gegenbewegung, Kritik, Schmähung. Dennoch: Der Freischwinger-Stuhl von Marcel Breuer eroberte die Welt. Der Wassily Chair war ein puristisch-elegantes Sitzmöbel von bislang nie dagewesenem Design. Das stilistisch extravagante Teeservice von Marianne Brandt und die Wagenfeld-Lampe fanden weithin Bewunderer. Es entstanden Prototypen von Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die mit der Bildung der „Bauhaus GmbH“ 1925 auch in die industrielle Massenproduktion gehen konnten.

Zur Architektur. Auch auf diesem Gebiet hatten die Bauhaus-Protagonisten sowohl den meisten Gegenwind als auch den größten Zuspruch. Was machte hier die Besonderheit aus?
Präferenz in der Ausbildung der Architekten an der Dessauer Hochschule hatte die im Bauhaus-Manifest bereits explizit formulierte Zusammenführung aller Künste zur „Errichtung des Baus der Zukunft“. Das Neue wurde schnell sichtbar. Die vorherige Gründerzeit zeigte keine eigene Formensprache – bis auf die Prachtfassaden an den Hauptstraßen für eine zahlungskräftige Mieterschaft. Dann folgten schmucklose Hinterhöfe, Mietskasernen, Seitenhäuser. Mit Ausnahme des „art nouveau“ (Jugendstil) war die Architektur vom Eklektizismus und Historismus wie Neoromanik, Neorenaissance, Neobarock und/ oder einer Mischung von allem bestimmt. Der Jugendstil hatte bereits in allen Bereichen der Kunst die Materialgerechtigkeit in den Vordergrund gestellt und die ästhetischen Möglichkeiten von Eisen und Glas entdeckt. Der Bauhaus-Stil glich nun einer Revolution nach der Gründerzeitarchitektur: Häuser ohne aufwändige Verzierung wurden kreiert (und akzeptiert), sie strahlten dennoch ein solides Äußeres aus, verbreiteten anerkannt ästhetische Normen. Kubische Formen prägten vielfach das Produkt, das alles nun auch mit Fassaden aus Glas oder flachen Dächern. Das serielle und somit effiziente Bauen kam vordergründig ins Gespräch. Vorher kaum verwendete neue Werkstoffen wie Stahl und Eisenbeton wurden ins Kalkül gezogen.

Während vielfach das Lehrgebäude und die von Gropius entworfenen Meisterhäuser in Dessau als signifikante Beispiele für das Neue Bauen stehen, setzen Sie die Messlatte noch an anderer Stelle – bei den Siedlungen in den Städten. Was ist daran so faszinierend?
Die wollten doch vor 100 Jahren mehr als puristisches Design, und Bauhaus stand nicht für Architektur und Kunst an sich. In der Tat ging es um die Mitgestaltung von Lebensvorgängen, woran ein Dach über dem Kopf, das Wohnen einen grundlegenden Anteil hat. Der dringend notwendige Massenwohnungsbau Anfang der 1920er Jahre wurde in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß zum Auftrag für die gemeinnützigen Genossenschaften, kommunalen Bauträger, Architekten und Stadtplaner. Die in dieser Zeit katastrophale Wohnungsnot, Inflation, Armut und Massenarbeitslosigkeit entstandenen Siedlungen, insbesondere die in der Formensprache des Neuen Bauens, setzten gestalterisch wie funktional neue Maßstäbe im sozialen Wohnungsbau. Licht, Luft, Sonne, insbesondere bezahlbare Mieten waren die Intensionen.

Wo sind dafür wesentliche Beispiele erhalten und wie werden sie genutzt?
Von den Bauhaus-Ideen inspirierte Architekten und Stadtplaner errichteten u. a. in Berlin, Dessau-Roßlau, Quedlinburg, Elbingerode, Stuttgart, Frankfurt, Hellerau und, hier besonders intensiv beeinflusst von der Magdeburger Gruppe avantgardistischer Architekten um Bruno Taut, Carl Krayl und Konrad Rühl, auch in der einstigen Festungsstadt Magdeburg noch heute anerkannte große Siedlungen, Fabriken und Gesellschaftsbauten.

Sechs Siedlungen in Berlin sind in das Unesco-Welterbe aufgenommen worden, darunter allein vier nach Entwürfen von Bruno Taut errichtete. Die Hufeisensiedlung gehört als bekannteste dazu.

Ausgewählte Magdeburger Siedlungen haben grundsätzlich einen analogen Status. Magdeburg will sich deshalb ebenfalls um deren Aufnahme ins Welterbe bemühen. Taut wirkte einflussreich in Magdeburg, entwickelte den Generalsiedlungsplan, war in der Gartenstadt Reform aktiv und entwarf zusammen mit Johannes Göderitz die Halle „ Land und Stadt“.

Im Magdeburger „Frühlicht“ und im brieflichen Diskurs „Gläserne Kette“ standen auch Taut und Krayl im Gedankenaustausch mit Gropius. Die Hermann-Beims-Siedlung, die Gartenstadt-Kolonie Reform, die Angersiedlung u. a. begründeten in den 1920er-Jahren in der Ära von Oberbürgermeister Hermann Beims den Ruf Magdeburgs als „Stadt des Neuen Bauwillens“. Die zumeist gut erhaltenen Siedlungen sind heute begehrter Bestandteil der Wohnungspolitik in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt.

Bei den Wertungen wird oft der internationale Einfluss des Bauhauses genannt. Können Sie dafür Beispiele nennen?
Walter Gropius war bis 1928 Bauhaus-Direktor. Es folgte der Schweizer Architekt Hannes Meyer, Mies van der Rohe übernahm ab 1930 die Leitung. Der Nationalsozialismus zerstörte auch die Ära des Bauhauses. Auf Betreiben der NSDAP als stärkste Partei beschloss der Dessauer Stadtrat im September 1932 die Auflösung der Hochschule. Die Einrichtung ging nach Berlin, wo sie am 1. April 1933 endgültig geschlossen wurde.

Viele Bauhäusler verließen Deutschland. In einer ganzen Reihe von Ländern blieben sie einflussreich und stilprägend für einen modernen Funktionalismus in Grafik, Architektur und Design.

In den 1930er Jahren errichteten emigrierte jüdische Bauhaus-Architekten in Tel Aviv mehr als 4000 Gebäude der Weißen Stadt. Walter Gropius, László Moholy-Nagy, Herbert Bayer und Ludwig Mies van der Rohe gingen in die USA, waren künstlerisch, akademisch oder ganz praktisch tätig. Bauhaus-Spuren finden sich auch in Rotterdam und Sao Paulo.