1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Recycling eines Betonriesen

Blauer Bock Recycling eines Betonriesen

Der Blaue Bock in Magdeburg ist verschwunden und hinterlässt 15.000 Tonnen Beton und Bauschutt. Das Material bekommt eine neue Aufgabe.

Von Dan Tebel 04.09.2016, 07:00

Magdeburg l Für einige ist der Anblick gewöhnungsbedürftig, für andere ein Segen. Der Blaue Bock ist aus dem Magdeburger Stadtzentrum verschwunden. Aber was passierte mit dem Beton und Bauschutt? Recycling ist das Stichwort, denn was mit Joghurtbecher und Zeitung funktioniert, klappt auch mit Betonklötzen.

Knapp 15.000 Tonnen recycelbares Baumaterial fielen beim Abriss des Blauen Bocks an und können aufbereitet und wiederverwendet werden. Allerdings nur 8000 Tonnen, die restlichen 7000 Tonnen verbleiben auf der Baustelle. Sie werden in die Kellerräume im Fundament des Blauen Bocks verfüllt, das zu DDR-Zeiten in einem Guss entstand und nicht abgerissen wurde.

"Ein Abriss verläuft immer streng geplant unter dem Aspekt wirtschaftlicher Entsorgung und Verwertung", erklärt Tilo Geistlinger, kaufmännischer Leiter der gleichnamigen Magdeburger Abrissfirma. Denn schon bevor der erste Stein fällt, beginnt der Recyclingprozess. Zuerst beseitigten die Mitarbeiter der Firma Geistlinger nicht verwertbare oder gefährliche Substanzen des Gebäudes. Dazu zählt zum Beispiel der Anhydristestrich, eine Baustoff auf Gipsbasis. "Ungefähr 627 Tonnen davon wurden vom Blauen Bock zur Deponie Hängelsberge geliefert und im sogenannten Beseitigungsverfahren abgelagert", erklärt Michael Reif von der Stadt Magdeburg. Beim Entkernen des Gebäudes wurden zum Beispiel Dachpappe, Linoleum, Holz und Müll entfernt und gesammelt.

Die erste Platte des Blauen Bocks wurde von den Baggern am 20. Mai abgetragen und damit der Rückbau, also das stückweise Zerlegen, eingeläutet. Eine Platte vom Blauen Bock wog je nach Größe zwischen drei und sechs Tonnen, also so viel wie zwei bis drei BMW-Limousinen. In den Platten waren Stahlstränge eingezogen, um sie beweglicher zu machen. Auch diese mussten heraus, was beim maschinellen Abbruch vorgenommen wurde. Mithilfe eines Baggers, einer zwei bis drei Tonnen schweren Stahlschere und 300 bar Druck zertrümmerten die Mitarbeiter den Beton. Schläuche der Feuerwehr arbeiten häufig mit 24 bar. Weitere Bagger zerkleinerten die großen Brocken und sortierten mit speziellen Greifarmen Holz und Metallteile aus dem Beton.

Seit dem 13. August 2016 erfolgt der Abtransport des Materials und ist noch bis in den September geplant. Acht bis neun Mal täglich fuhren Lastwagen das brauchbare Material zur Recycling-Anlage der Firma Geistlinger-Abbruch im Stadtteil Beyendorf-Sohlen in Magdeburg. Ein zusätzlicher Laster brachte Schrott zu den Händlern, den Müll auf die Deponie und das Holz zur Verbrennungsanlage.

Auf dem Areal der Recycling-Anlage in Beyendorf-Sohlen lagern Tonnen alter Baumaterialien neben großen Baggern und dem "LT 105 Nordberg". Hinter diesem Namen verbirgt sich eine 37 Tonnen schwere Maschine zum Brechen von recycelbarem Baumaterial, die damit zum Kern der Anlage gehört.

"Am Tag können wir hier bis zu 500 Tonnen Material und im gesamten Jahr rund 50.000 Tonnen brechen", erklärt Tilo Geistlinger. Bevor gebrochen wird, gilt es das Gewicht der Ladung zu bestimmen und den Beton von Bauschutt zu unterscheiden. Beides kann zwar recycelt werden, besitzt aber unterschiedliche Qualität, wodurch Ziegelbruch als Bauschutt zum Beispiel ausschließlich für den Landschafts- und Wegebau verwendet wird. Eine Anlage mit Backenbrecher zerkleinert das Gestein auf ein bestimmtes Spaltmaß. Anschließend wird es in einer Siebanlage nach Größe sortiert und gesammelt.

Täglich können sowohl Privatpersonen wie auch Laster verschiedener Baustoffhändler die Recycling-Anlage anfahren und das zerkleinerte Material abkaufen. So landen die die Beton-Überbleibsel des Blauen Bocks unter dem einem oder anderem neuen Wohnhaus oder auf Baustellen, zum Beispiel am Werner-von-Siemens-Ring in Magdeburg. Dort entsteht ein neues Autohaus der Firma Land Rover. Insgesamt wurden dort rund 5000 Tonnen des recycelten Baustoffs verbaut. Auf einen Laster passen je nach Ladefläche bis zu 40 Tonnen, also hochgerechnet etwa 125 Ladungen, die zur Baustelle transportiert wurden.

Die Reste des blauen Bocks lassen sich beim Betreten der Baustelle sofort erkennen. Sie liegen zum Beispiel auf den Wegen, um den Baufahrzeugen einen festen Untergrund zu bieten. Aber nicht nur diese Aufgabe kommt dem recycelten Beton den Blauen Bocks zu: "Das aufgewertete Material dient als Ausgleichsschicht unter dem Fundament", erklärt Udo Schulze, Abteilungsleiter Hoch- und Tiefbau der thüringischen Betting AG, die das Autohaus in Magdeburg baut.

Um das Fundament zu setzen, wird zunächst die Erde ausgehoben. "Mit einer 80 bis 120 Zentimeter dicke Schicht des recycelten Betons wird das Loch verfüllt und Unebenheiten im Boden damit ausgeglichen", erklärt Bauleiter Wolfgang Rückert von der Baufirma. Das recycelte Material werde gerne eingesetzt, da es günstiger sei, als Neueres aus dem Steinbruch, erklärt Rückert weiter. Je nach Größe des Materials beträgt der Nettopreis pro Tonne bei der Firma Geistlinger maximal 4,10 Euro.

In Schönebeck werden weitere 10.000 bis 12.000 Tonnen auf einer Baustelle verbaut.  "Im Gewerbegebiet entsteht ein Restposten-Fachgeschäft, wo derzeit schon massiv Erde ausgehoben wird", erklärt Tilo Geistlinger. Auch für den Neubau eines Gewächshauses in Osterweddingen kommen rund 10.000 Tonnen recycelte Betons der Firma Geistlinger zum Einsatz. Klar, nicht jeder Stein wird dabei vom Magdeburger Bock stammen, denn die Abriss-Firma zerkleinert auch privaten Beton der Bürger und anderer abgerissener Gebäude.

Ein Segment mit vier Fenstern und Fliesen wurde vor dem Abriss bewahrt. Es wird seinen Platz im neuen SWM-Verwaltungsgebäude auf dem ehemaligen Bock-Gelände finden. Wo genau, ist aber noch nicht klar: "Es gibt schon Ideen, aber die sind noch nicht spruchreif", erklärt Anja-Keßler Wölfer von der SWM. Fakt ist: Der Bock lebt an verschiedenen Orten mit einer sprichtwörtlich "tragenden" Rolle weiter.

Laut dem Umweltbundesamt fallen in Deutschland jährlich über 80 Millionen Tonnen an Bauabfällen an, allein etwa 52 Millionen Tonnen sind Bauschutt. Davon können rund 80 Prozent recycelt werden. Rund 34 Millionen Tonnen des recycelten Materials gelangen jährlich in den Straßenbau, der Großteil wird aber im Landschafts- und Wegebau oder als Ausgleichsmaterial unter Fundamenten eingesetzt. Laut §14 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sollen bis zum 1. Januar 2020 mindestens 70 Prozent Bau- und Abbruchabfälle recycelt oder anderweitig verwertet werden, zum Beispiel durch Verfüllung.

In Magdeburg entsorgen private Haushalte und Firmen ihren Bauabfall beim Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt. Laut Stadtsprecher Michael Reif wurden im Jahr 2015 insgesamt 17.996 Tonnen an zum Beispiel Beton- oder Ziegelresten sowie ausgehobene Erde für Bauvorhaben abgegeben. 14.891 Tonnen, also rund 83 Prozent davon, sind wiederverwertbar und wurden auf der Deponie Hängelsberge im Westen Magdeburgs recycelt. Dort werden mit dem Bauschutt oder der abgeladene Erde die Wege für Baufahrzeuge gebaut oder anderer Müll abgedeckt.