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Brandschutz Pfusch macht Großprojekte teuer

Der Magdeburger Professor Michael Rost, Experte für Brandschutz, zu ausufernden Kosten beim Bauen.

Von Matthias Fricke 21.08.2016, 01:01

Die Ausgaben für den vorbeugenden Brandschutz werden immer mehr. Gibt es eine Diktatur der Feuermelder?

Michael Rost: Nein, das ist Unsinn. Auch die Brandschutznormen sind nicht wesentlich verschärft worden. In den 70er bis 90er Jahren hat Brandschutz kaum eine Rolle gespielt. Wenn es um die Brandschutzplanung ging, wurde oft abgewinkt und gesagt: Das macht der Architekt gleich mit. Die Entwicklung war im Osten und Westen gleich.

Und was hat sich geändert?

Der Flughafenbrand in Düsseldorf 1996 war das einschneidende Ereignis. Damals starben 17 Menschen, 62 wurden schwer verletzt, mehrere Hundert leicht. Ein Schwelbrand konnte sich in der Zwischendecke der Abflughalle auf mehrere hundert Meter ausbreiten und Kunststoffe entzünden. Schlagartig waren Teile der Abflughalle verraucht. Das war eine Zäsur. Von da an wurde bei Baugenehmigungen genauer hingeschaut, der Brandschutz endlich ernster genommen.

Also wurden die Gesetze verschärft?

Nein, das kann man so nicht sagen. Noch bis heute wird der vorbeugende Brandschutz nicht ausreichend ernst genommen. Fehler in der Planung gehen jetzt immer weniger durch. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass bis zu 80 Prozent der beantragten Bauvorhaben mangelhaft beim Brandschutz waren. Es gab auch nicht genügend Brandschutzfachleute. Architekten und Bauingenieure, die in der Ausbildung nichts oder wenig vom Brandschutz gehört hatten und eine Schnellbesohlung bekamen, konnten das nicht erfüllen. Auch die Sparmentalität hat ihren Anteil. Man sagt: Wer billig baut, der baut zweimal.

Das hat man ja beim Berliner Flughafen gesehen, dass der Maßstab doch vielleicht ein wenig streng ist?

Der Eindruck täuscht. Hätte man in Berlin bei jeder Umplanung gleich vernünftig geplant, wäre das nicht passiert. Wenn man richtig an die Sache herangeht und vernünftig plant, kann man sogar sparen. Der Brandschutz ist für ein öffentliches Gebäude so wichtig wie die Statik. Wenn man, wie beim BER oder bei „Stuttgart 21“ eine Veränderung in der Planung vornehmen muss, dann muss man sich nicht wundern, dass auch die Brandschutzlösungen entsprechend angepasst werden müssen.

Sie wollen doch nicht abstreiten, dass auch der Brandschutz einen erheblichen Anteil dazu beigetragen hat, dass die Bausummen immer weiter steigen?

Nein, das will ich nicht. Zum einen, weil der Brandschutz immer noch von Planern unterschätzt wird und deshalb nicht optimale Lösungen infolge fehlender Kenntnis entstehen. Zum anderen müssen bestimmte Standards tatsächlich den Gegebenheiten angepasst werden. So ist die Wertkonzentration oder der Kunststoffanteil in unserem Lebensumfeld gewachsen. Es geht gerade in der Fläche die Tageseinsatzbereitschaft von freiwilligen Feuerwehren zurück. Das hat natürlich alles Einfluss auf den vorbeugenden Brandschutz.

Wie meinen Sie das?

Fluchtwege und Feuerschutz müssen so angepasst sein, dass sie für längere Zeit auch ohne den Einsatz der Feuerwehr funktionieren. Zum Beispiel durch Löschanlagen oder andere Brandschutzautomatik als Kompensation.

Es wird doch aber trotzdem schon genug in Deutschland für den vorbeugenden Brandschutz getan. Im Straßenverkehr kommen regelmäßig zehnmal mehr Menschen ums Leben wie bei Bränden.

Wir haben einen Standard, der für uns auch so bleiben sollte. Wir rechnen mit maximal einem Brandtoten pro Jahr auf 100 000 Einwohner als nicht zu überschreitende Obergrenze. Und es gibt auch noch Schwachstellen. Zum Beispiel bei den Pflegeeinrichtungen. Da sind es vier bis fünf Brandtote und damit jenseits des tolerierbaren Risikos. Weltspitze ist Deutschland noch bei den Feuerwehren, insbesondere den freiwilligen, aber nicht beim vorbeugenden Brandschutz. Da gibt es andere Vorreiter. Insbesondere sind dies skandinavische Länder, Neuseeland, Großbritannien und die USA.

Was ist dort anders?

Die Infrastruktur in diesen Ländern hat einfach eine andere Ausrichtung erfordert. Zum Beispiel, weil es an freiwilligen Feuerwehren fehlt und man sich nicht auf diese verlässt. In den USA haben Großbrände in den 70er und 80er Jahren dafür gesorgt, dass sehr viel Geld für die Brandschutzforschung ausgegeben wurde. Während wir in Deutschland noch über Rauchmelder sprechen, diskutieren die USA über Sprinkleranlagen in Wohnhäusern.

Wo liegt in Deutschland das Problem?

Baurecht ist leider Ländersache, so haben wir auch Brandschutz-Kleinstaaterei. Manche gesetzlichen Regelungen sind nicht ausreichend sachorientiert. Zum Beispiel wurden die Standards bei Pflegeeinrichtungen und Wohngruppen gelockert. Hier hätte eher das Gegenteil erfolgen müssen, wenn man das demografische Problem der Gesellschaft nicht so lösen will. Wenn alle Beteiligten den Brandschutz ernster nehmen würden, hätten wir weniger fehlerhafte Lösungen.

Was sind denn die häufigsten Fehler und Streitpunkte?

Die meisten Fehler treten im Zusammenhang mit der Personenrettung auf. Das reicht vom falschen Einbau der Türen oder insgesamt fehlerhaften Rettungsweglösungen. In der Ausführung sehe ich sehr oft Pfusch in der Brandschutz-Haustechnik, der dann beseitigt werden muss.

Nehmen wir ein Beispiel. In einem Hort in der Börde musste vor drei Jahren eine 160 000 Euro teure Feuerschutztreppe neu gebaut werden, nur weil es eine Sanierung gab ...

Zunächst gibt es für Altbauten einen Bestandsschutz. Bei einer Sanierung kommt es dann aber darauf an, welche Veränderungen man vornimmt. Werden die Räume zum Beispiel künftig anders genutzt, zum Beispiel als Schlafraum, muss logischerweise auch der Brandschutz überarbeitet werden. Wenn man viele Kinder schnell aus einem mehrstöckigen Haus retten will, reicht ein Treppenraum nicht aus, dass dieser verraucht sein kann und über das Rettungsgerät der Feuerwehr nicht mehr als etwa zehn Personen aus einer Nutzungseinheit geholt werden können. Die Bauvorschriften müssen nicht immer als Nonplusultra angesehen werden.

Na das sollten Sie näher erklären!

Es geht um das Ziel, zum Beispiel die rechtzeitige Rettung von Personen, die Entrauchung oder den Feuerschutz. Man muss deshalb als Planer eben ingenieurmäßig begründet immer eine Kompensations-Lösung finden, wenn die Vorschrift nicht eingehalten werden soll.

Warum ist denn das beim Flughafen-Neubau in Berlin nicht gelungen?

Das war einfach eine schlechte Planung, einschließlich der vielen Umplanungen. Ein sehr gutes Bauordnungsamt in Königs-Wusterhausen hat sich dem Druck der Politik nicht gebeugt. Es hätte zu dieser Verteuerung nicht kommen müssen.

Gibt es konkret Gebäude, bei denen der Brandschutz gelockert wurde?

Zum Beispiel bei Ein- bis Zweifamilienhäusern. Auch bei Wohngebäuden in der Höhe zwischen sieben und 13 Meter über dem Gelände. Dort wurde der erforderliche Feuerwiderstand der Wände von 90 Minuten auf 60 heruntergesetzt.

Was bedeutet das?

Früher lief das zum Beispiel bei der Umnutzung von Bestandsbauten über Abweichungen, der Feuerwiderstand war da oft zu hoch angesetzt. Heute ist das Standard, vor allem bei Holz- und Fachwerkkonstruktionen.

Wo ist der Brandschutz strenger?

In Mehrgeschossern haben zum Beispiel die Türen zu den Treppenhäusern besondere Anforderungen, nämlich Selbstschließer. Im Hochhausbau wird inzwischen meist eine Sprinkleranlage verlangt, das war so früher nicht notwendig. In Verkehrstunneln gibt es bedingt durch die schweren Brände in den Alpen um 2000 erhöhte Anforderungen. Hierbei und bei anderen Sonderbauten wird zunehmend ingenieurmäßig geplant. Das heißt, es gibt keine Vorschrift, sondern es müssen die Brandschutzziele erreicht werden. Dabei gilt: So sicher wie notwendig – nicht wie möglich.

Trotzdem bleibt der Eindruck, dass die Brandschutzbestimmungen strenger geworden sind. Es gibt mehr Rauchmelder und Sprinkler.

Das mag ja sein, aber nur, weil inzwischen die Vorschriften konsequenter durchgesetzt werden.

Und wie könnte es in der Zukunft aussehen?

Wir werden es künftig eher mehr mit Brandschutzautomatik zu tun haben. In den Neubauten wird in der Fläche eben wegen der Ausdünnung der freiwilligen Feuerwehren mehr Brandschutzautomatik verbaut sein. Da werden wir uns mehr England und Skandinavien annähern. Das sind aber eher Folgen des demografischen Wandels. Wenn ich zum Beispiel bisher die Feuerwehr mit einer Drehleiter als Rettungsweg mit eingeplant habe, funktioniert das auf dem Dorf später vielleicht irgendwann nicht mehr. Für diese Fälle suchen wir heute schon gemeinsam mit unseren Studierenden nach sinnvollen Lösungen.

Infografik: Die größten Kostensteigerungen bei Großprojekten | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista, Referenz