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Brandstiftung Feuerteufel in eigenen Reihen

Feuerwehrmänner, die zum Brandstifter werden. Kriminologe Frank-Dieter Stolt zu den Hintergründen solcher Taten.

Von Matthias Fricke 19.07.2016, 01:01

Magdeburg l In der Ortsfeuerwehr Elbingerode ist ein 19-Jähriger vom Dienst suspendiert worden. Doch ausgeschlossen werden kann er noch nicht. Der Grund: Das Amtsgericht Wernigerode hat ihn zwar wegen Brandstiftung in vier Fällen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Doch sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben Berufung eingelegt. „Bis zur endgültigen Verurteilung können wir nicht mehr tun“, sagt Wehrleiter Volker Deicke. Frühestens im Spätsommer soll vor dem Landgericht neu verhandelt werden, sagt Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck.

In Zerbst steht aktuell ein weiterer Feuerwehrmann als Brandstifter unter Verdacht. Der 23-Jährige soll laut Auskunft von Olaf Braun von der Dessauer Staatsanwaltschaft für mindestens zwei Brandstiftungen in Frage kommen – ein Waldbrand und den Brand eines Bienenwagens. Der Schaden beträgt rund 35 000 Euro. 2,5 Millionen Bienen kamen ums Leben. Nun prüft die Polizei, für welche der 52 offenen Brandstiftungen der junge Mann aus einer kleinen Ortswehr noch verantwortlich sein könnte. Er ist von seinen Dienstpflichten entbunden, bis zum Abschluss der Ermittlungen. „Dann entscheidet sich alles Weitere“, sagt die Zerbster Stadtsprecherin Antje Rohm.

Dem Vorsitzenden des Landesfeuerwehrverbandes Kai-Uwe Lohse reicht das aber nicht. „Wenn man uns lassen würde, würden wir solche Kameraden sofort entfernen. Sie fügen uns sehr großen Schaden zu“, sagt er. Die Gemeinden würden sich sehr schwer tun, alle Rechtsmittel auszuschöpfen.

Was Feuerwehrmänner dazu treibt, selbst Brände zu legen, dazu hat der Brand­experte, Kriminologe und Fachbuchautor Frank Dieter Stolt aus Mannheim jahrelang Untersuchungen geführt. Er gab das Buch „Brandstiftung durch Feuerwehrangehörige“ heraus.

Volksstimme: Wie hoch ist der Anteil der Feuerwehrmänner an den Brandstiftungen?

Frank-Dieter Stolt: Die polizeiliche Kriminalstatitik gibt darüber leider keine Auskunft. Wir können aber davon ausgehen, dass jährlich in Deutschland etwa 45 bis 50 Brandstifter bei der Feuerwehr aktiv werden. Das haben meine Untersuchungen in den letzten Jahren ergeben. Dem gegenüber stehen jährlich 1,3 Millionen Freiwillige Feuerwehrleute. Wenn man das ins Verhältnis setzt, liegt die Größenordnung aber nur im Promillebereich.

Das Bild in der Öffentlichkeit ist aber ein anderes, als nur eine Größenordnung im Promillebereich ...

Das liegt hauptsächlich auch an den Medien. Solche Nachrichten schockieren besonders, wenn eigentlich diejenigen, die ein Feuer löschen sollen, dieses selber gelegt haben. Das gilt auch für die Todesengel bei den Krankenschwestern und Polizisten, die einen Bankraub begehen, oder den Seelsorger, der Kinder missbraucht. Wenn Menschen einen Beruf haben, bei denen Gutes getan wird, und sie tun dann aber das Gegenteil, dann ist das Interesse besonders hoch. Und die Medien werden dem dann auch gerecht. Dadurch kommt es am Ende dann aber zu einer verzerrten Wahrnehmung. Und bei den Zahlen sind es die beschuldigten Personen und nicht die Taten. Meist handelt es sich um Serien und fallen so besonders auf.

Berufsfeuerwehrmänner sind so gut wie nicht betroffen?

Das ist richtig. Das liegt aber auch daran, dass die Freiwilligen Feuerwehren zahlenmäßig weit stärker vertreten sind, als die rund 100 Berufsfeuerwehren in Deutschland. Zum anderen spielt auch das Motiv eine sehr wichtige Rolle. Die seltenen Fälle in den letzten Jahrzehnten, bei denen Berufsfeuerwehrmänner die Brände gelegt haben, waren eher durch allgemeine Motive wie ein Streit nach Ehescheidung oder Ähnliches geprägt. Das ist aber eben nicht das spezielle Feuerwehr-Brandstiftermotiv.

Wie sieht denn dieses aus?

Das ist sehr komplex, führt aber wiederum zu einer sehr hohen Aufklärungsquote bei diesen Taten. Die meisten Brandstifter in der Freiwilligen Feuerwehr handeln aus dem Drang nach sozialer Anerkennung heraus. Sie sind meistens graue Mäuse, die nie im Mittelpunkt stehen, und versuchen über die Feuerwehr Anerkennung zu finden. Einige Feuerwehren werben leider immer noch mit ,Helden gesucht!‘. Da gehen dann auf den Bildern die Einsatzkräfte auch noch durch Flammen und bauen einen Heldenstatus auf. Genau da setzen die potenziellen Brandstifter an. Sie wollen vor allem Helden sein und deshalb die Ersten beim Löschen der Flammen sein. Es gibt da für sie aber ein Problem. Die Brände sind in den letzten zwei Jahrzehnten weniger geworden. Nur noch 20 Prozent der Feuerwehrarbeit besteht aus Brandeinsätzen. 80 Prozent sind Hilfeleistungen. Da kann man nicht unbedingt zum Held werden. Aufgrund dieser Veränderung bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als selbst die Feuer zu legen, um dann beim Löschen zum Held zu werden. Dadurch können aber wieder auch viele der Brandstiftungen aufgedeckt werden.

Wie meinen Sie das?

Man muss sich angesichts dieses Motivs nur die Feuerwehrmänner näher ansehen, die zuerst am Einsatzort und ganz vorne beim Löschen mit dabei sind. Sie tun alles, um sich in einer solchen Situation hervorzutun. Dadurch hat die Polizei es dann auch recht einfach, sie zu ermitteln.

Gibt es nur dieses Motiv?

Nein, es ist aber oft das Hauptmotiv. Es gibt meist parallel dazu noch andere, der Mensch handelt schließlich nicht eindimensional. Deshalb ist es auch später in den Prozessen schwierig das eigentliche Motiv zu finden. Aber in der Mehrheit der Fälle geben die Angeklagten zu, aus dem Drang nach Anerkennung gehandelt zu haben. Es ist übrigens auch bezeichnend, dass viele von ihnen aus dem Gefängnis heraus ihren Kameraden schreiben und anbieten, wieder Mitglied zu werden. Sie bleiben tief in ihrem Herzen Feuerwehrmann.

Auf welches Profil müssten die Ermittler denn besonders achten?

Wir haben es meist mit jungen Männern im Alter zwischen 18 und 28 Jahren zu tun. Im zunehmenden Alter hört das aber auf, weil es nicht mehr darum geht im Mittelpunkt zu stehen. Andere Dinge sind dann wichtiger, wie zum Beispiel die Familie. Die Täter sind zudem oft unscheinbar, mäßig intelligent und überall nur Durchschnitt. Das trifft auf den Beruf und auch den Sport zu. Sie möchten aber gerne mehr als nur der Durchschnitt sein und suchen deshalb die soziale Anerkennung.

Warum eigentlich nur Männer?

Da gibt es viele Gründe. Erstens haben wir immer noch sehr viel mehr Männer als Frauen bei den Freiwilligen Feuerwehren. Zweitens sind Frauen nicht ganz so häufig für den Drang nach Anerkennung anfällig. Da spielen dann andere Dinge eine Rolle. Wenn Frauen bei der Feuerwehr als Brandstifter auftreten, dann eher in Gruppen. Da spielen dann eher gruppendynamische Beziehungen eine Rolle. Drittens spielen Frauen innerhalb der Kriminalstatistik ohnehin eine kleinere Rolle. Es sind also viele Faktoren, die dazu führen, dass kaum Frauen zu den brandstiftenden Feuerwehrleuten zählen.

Wie kann man denn dieses Phänomen der Brandstiftung durch Feuerwehrleute vermeiden?

Der Schlüssel ist das Motiv, also der Drang nach sozialer Anerkennung. Wenn ich mit einem Slogan „Helden gesucht“ werbe, muss ich mich nicht wundern, dass ich dabei auch Brandstifter finde. Weil man genau diese Leute auch damit anspricht. Sie wollen ja Held werden und wenn man ihnen auch noch das Angebot macht, ist das natürlich verlockend.

Worauf sollten denn die Freiwilligen Feuerwehren bei ihrer Werbung achten?

Erstens sollte man für dieses Ehrenamt nicht mit Heldenmythen werben. Es gibt da ganz andere Ansätze, wie ,Du wirst gebraucht‘ oder Ähnliches. Der zweite Ansatz ist die Personalauswahl. Leider nimmt die Zahl der Feuerwehrmänner vor allem in der Fläche zunehmend ab. Auch in Sachsen-Anhalt wird Nachwuchs mit Kusshand genommen. Da ist man über jeden glücklich. Die Auswahl wird dann nicht mehr ganz so streng vorgenommen, wie es vielleicht früher einmal üblich war.

Aufgrund der Personalnot kann man sich dann auch nicht mehr so um die Neuzugänge kümmern, wie es sein sollte. Ich persönlich schlage immer vor, dass jedem Neuankömmling bei der Feuerwehr ein sogenannter Tutor an die Seite gestellt wird. Dieser Kümmerer würde dann schnell deutlich machen können, dass Feuerwehr mit Heldentum wenig zu tun hat.