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Brautradition Burg war einst ein Biermekka

Über 20 Brauereien produzierten einst Bier für die trinkfreudigen Burger. Heute zeugen historische Eiskeller von der Brautradition.

Von Juliane Just 19.07.2017, 01:01

Burg l Obwohl das Thermometer draußen 30 Grad anzeigt, ist es kühl. Durch einen Gang sieht man mehrere riesige Rundbögen. Backstein an Backstein reiht sich hier aneinander, in den Unterwelten von Burg. Dieser ehemalige Eiskeller ist einer der letzten unterirdischen Zeitzeugen, die stumm von einer einstigen Brautradition in Burg berichten.

Dabei waren die Bewohner gerade im 18. Jahrhundert für ihren unstillbaren Durst bekannt. Statistisch gesehen war Burg ab dem Jahr 1900 im Bierverbrauch an zweiter Stelle nach München. Das zumindest schreibt das Burger Tageblatt 1940. Die bayerische Landeshauptstadt mit 834.000 Einwohnern, das kleine Burg mit 27.000 – die größten Schluckspechte in Deutschland. „Die Bewohner waren sehr stolz auf diesen Titel“, sagt der Burger Heimatchronist Heinz Jericho, der in seinem privaten Archiv die Bierhistorie der Stadt verwahrt.

Damit sie nicht auf dem Trockenen saßen, musste das Bier gekühlt werden. Die Lösung: Eiskeller. Bis heute gibt es mehrere der historisch-natürlichen Kühlanlagen, die die Maße des Grundstückes mitunter bei weitem überschreiten. Vor allem um den Weinberg herum tummeln sich einige der Bierkeller – denn ursprünglich hoffte Burg, sich mit Weinanbau einen Namen zu machen. Die Burger aber wurden keine Weintrinker, das zeitweise mit Wasser aus dem Flüsschen Ihle gebraute Bier schmeckte ihnen besser.

Auf genau diesen Weinberg zog der Burger Enrico Glatzer vor 20 Jahren. Unter dem Haus befindet sich noch heute die riesige, eiskalte Unterwelt. Der Keller misst 400 Quadratmeter und ist damit so groß wie ein Basketballfeld. In den Gewölben der Keller kann der Betrachter nur noch erahnen, wie die einstige Trinkkultur in Burg beschaffen war. Die rustikalen, sepia- farbenen Rundbögen ziehen sich auf mehreren Metern Länge. Acht unterschiedlich große Gewölbe zeugen dort von einer Tradition, die vor mehr als 700 Jahren ihren Anfang fand.

Erste Zeugnisse der Bierkultur finden sich im 12. Jahrhundert. Holländer, die sich in Burg ansiedelten, brachten das flüssige Glück in die Stadt der Türme. Die Braukunst ging sogar so weit, dass die Petrikapelle wegen des großen Bedarfs kurzerhand vom Gottes- zum Bierhaus mit Brauschein wurde. Im 16. Jahrhundert fanden sich stolze 140 Häuser mit Braurecht in Burg. Doch danach verschwinden die Brauereien langsam. Im 19. Jahrhundert sind in Burg noch 24 Brauereien ansässig, um 1900 schließlich noch sechs.

Vor allem Familienbetriebe sorgten für den Nachschub an Bier. Von Schmidt, Gebhardt, Krepper, Pabst und Kleinlein kann so mancher Burger heute noch einen Schwank erzählen. Im „Burger Tageblatt“ war zu lesen, dass „ein Mangel an Gerstensaft nicht bestand“.

Das änderte sich schlagartig. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg blieb zwar die Bausubstanz der Stadt verschont, die Brauereien aber traf die wirtschaftliche Lage der Nachkriegszeit schwer. Nur zwei Brauereien überstanden die Zeit – die Brauereien Schmidt sowie Feldschlösschen.

Nach der Wende schließlich verschwand die Biertradition aus Burgs Gassen. Zuerst schließt die älteste Brauerei Burgs, die Steinhaus-Brauerei, dann die Feldschlösschen-Brauerei 1990, zahlreiche Kneipen ziehen mit. Die Gebäude verfielen, Burgs Ruf als Biermekka verblasste.

Doch nicht alle Städte in Sachsen-Anhalt verloren ihre Brauereien durch die Wende. Heute gibt es in dem Bundesland 24 Brauereien, 1408 deutschlanweit. Diese haben im vergangenen Jahr 2,32 Millionen Hektoliter Bier erzeugt. Statistisch gesehen hat jeder Deutsche 2016 etwa 97 Liter Bier getrunken – das sind pro Woche fast zwei Liter. Die Burger lagen im 19. Jahrhundert deutlich darüber.

Geblieben sind von der einstigen Brautradition heute nur noch die Keller, deren Bau um 1850 mit dem ersten Spatenhieb begann. „Die Räume wurden wahrscheinlich nacheinander in den Berg geschlagen“, berichtet Heinz Jericho beim Betrachten der Gewölbe. Doch die Temperatur unter Tage reichte nicht aus, um das Bier ausreichend zu kühlen. Die Lösung war Eis.

Mehrere kleine Kolke, mit Wasser gefüllte Vertiefungen, konnten zur Eisgewinnung genutzt werden. Das Eis wurde aus den Kolken in und um Burg im Winter herausgesägt und dann in Blöcken in die Bierkeller transportiert. So blieb das Bier über den Sommer kühl und hielt sich bis zur nächsten Eiszeit.

Mehrere Male mussten die Eiskeller anderen Zwecken weichen. „Die Keller wurden auch als Lazarettstelle und Luftschutzkeller genutzt“, sagt der Heimatchronist Heinz Jericho. In der Nachkriegszeit wurden auch Obst und Gemüse eingelagert. Heute jedoch werden die Unterkellerungen anders genutzt.

Unterhalb des Weinbergs befindet sich ein weiterer Keller, der einst zur Bierkühlung genutzt wurde. „Wir waren bei der Besichtigung über den riesigen Keller erstaunt“, sagt Veronika Wilke, die das Haus darüber bewohnt. Bisher nutzt die Familie den Keller als hauswirtschaftlichen Lagerraum, doch mit den historischen Gewölben soll mehr passieren. "Die Keller sind gut erhalten. Wir würden sie gern denkmalgerecht sanieren", erklärt sie.  

Ähnliches hat  Enrico Glatzer im Nachbarkeller vor. Für die Landesgartenschau (Laga), die im Jahr 2018 in Burg stattfindet, will er den Eiskeller für Besucher öffnen. „Die historische Anlage ist wie gemacht, um sie herzurichten“, sagt er. Er nutzt die verzweigten Kellergänge nicht, sie stehen leer. Doch die Idee ist mit Schwierigkeiten verbunden. Die Besucher dürfen die eisige Unterwelt nicht betreten – zu groß ist die Gefahr, zu hoch sind die Auflagen. Dabei ranken sich zahlreiche Sagen um die unterirdischen Gänge Burgs. Menschen verschwanden, Geheimgänge wurden vermutet.

Leer gehen die Weinberg-Besucher jedoch nicht aus, denn sie können einen Blick in die Gewölbe werfen. Ein Lichtspiel wird die Rundbögen beleuchten, das von der Landesgartenschau GmbH installiert wurde. Das bestätigt Sonnhild Noack, Geschäftsführerin der Landesgartenschau: „Wir haben uns schweren Herzens für die kleinere Variante entschlossen.“

Die „kleinere“ Variante, also die Sanierung der Tür, des Portals und die Lichtinstallation, kostet 45.000 Euro. Die größere Sanierung sah vor, in den Eiskellern kulturelle Veranstaltungen anzubieten. Mit allen Auflagen hätte dies 700.000 Euro gekostet. Das lehnte der Laga-Ausschuss ab. Trotzdem will Enrico Glatzer die Hoffnung nicht ganz aufgeben, dass in die historischen Gewölbe im kommenden Jahr wieder ein bisschen Leben einziehen kann.