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Briefwahlfälschung Erdrückende Beweise im Wahlskandal

Kurz vor Abschluss der Ermittlungen zeichnet sich ab, dass die Briefwahl in Stendal im Mai 2014 in rund 178 Fällen gefälscht worden ist.

26.06.2016, 23:01

Stendal l Das Gutachten einer Schriftsachverständigen des Landeskriminalamtes liefert bei Sachsen-Anhalts bislang größtem Wahlskandal ein eindeutiges Bild: Von 166 untersuchten Wahlscheinen und -anträgen sind 16 „mit hoher“ und 142 „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ vom damaligen CDU-Stadtrat Holger Gebhardt ausgefüllt worden.

Die DNA-Analyse einer Speichelprobe Gebhardts ergab zudem, dass bei den noch vorhandenen zehn Wahlbriefen und Wahlumschlägen sämtliche auswertbaren Spuren mit den DNA-Merkmalen des 43-Jährigen übereinstimmen.

Mehr als 200 registrierte Briefwähler hatte die Polizei befragt. 178 von ihnen erklärten, dass sie keine Stimmzettel ausgefüllt beziehungsweise Vollmachten erteilt hätten. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass ihre Vollmachten und Stimmen von Holger Gebhardt gefälscht worden sein dürften - je drei für die Stadtrats- und die Kreistagswahl ergeben somit fast 1100 gefälschte Stimmen.

Die Wahlmanipulation in einer solch großen Dimension möglich gemacht hat eine gravierende Verwaltungspanne im Stendaler Rathaus. Die Mitarbeiter im dortigen Wahlbüro hatten in 189 Fällen Briefwahlunterlagen an zwölf Bevollmächtigte ausgereicht. Erlaubt sind indes maximal je vier.

Die Bevollmächtigten kommen aus Gebhardts Familie, Freundeskreis und der CDU-Kreisgeschäftsstelle. Sieben von ihnen haben sich im Laufe des Verfahrens geäußert. Sie gaben durchweg an, in Gebhardts Auftrag von ihm erhaltene Vollmachten eingereicht und die Wahlunterlagen ihm dann ausgehändigt zu haben.

Eine Sonderrolle nimmt nach derzeitigen Erkenntnissen Gebhardts Lebensgefährtin Conny B. ein. Auf einem Rechner stellten die Beamten eine von B. erstellte Datei sicher, in der 175 Arbeitslosengeld-II-Empfänger in einer Datenbank registriert waren. Für 163 von ihnen sollen Briefwahlunterlagen mit gefälschten Vollmachten beantragt worden sein.

Holger Gebhardt war damals im Stendaler Jobcenter beschäftigt. Ihm wurde unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe gekündigt. Auch seine Lebensgefährtin verlor ihre Stelle bei der Stadt. Beide haben sich während der Ermittlungen nicht geäußert.

Bis Mitte Juli können die Anwälte der Beschuldigten zu den auf mehr als 1000 Seiten zusammengefassten Ermittlungsergebnissen Stellung nehmen. Mit einer Anklage ist nicht vor Herbst zu rechnen.

Wahl- und Urkundenfälschung werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Zudem muss Gebhardt damit rechnen, dass die Stadt und die Parteien Schadensersatzforderungen bis zu 100 000 Euro für ihre Kosten durch die Wahlwiederholung geltend machen.