1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. SCM-Kanuten in Uniform in Kienbaum

Bundespolizei SCM-Kanuten in Uniform in Kienbaum

Die Bundespolizei ist einer der größten Förderer des Leistungssports. Am Stützpunkt Kienbaum werden derzeit drei SCM-Kanuten ausgebildet.

17.12.2017, 00:00

Kienbaum l 7 Uhr, Antreten zum Dienst. So beginnt seit Wochen für Kanu-Weltmeister Yul Oeltze und seine Teamkolleginnen Jasmin Fritz und Nina Krankemann der Tag. Vor dem zweistöckigen Backsteinklotz am Ufer des Liebenberger Sees versammeln sich derzeit täglich 46 Polizeianwärter der Kategorie Spitzensportler. Knapp die Hälfte sind Frauen. Sie alle absolvieren an der Bundespolizei-Sportschule in Kienbaum bei Berlin eine Ausbildung zum Polizeimeister.

Die Magdeburgerinnen Fritz und Krankemann sind im zweiten Dienstjahr. Mittendrin also. Oeltze ist bereits auf der Zielgeraden. Das bedeutet aber auch, dass er durchhalten muss. Der Laufbahnlehrgang, letzter von insgesamt vier Ausbildungsblöcken und vor Prüfungen nur so strotzend, erstreckt sich über sechs und nicht vier Monate. Doch der 24-Jährige ist hochmotiviert. Alles Streben gelte „verdammt noch mal dem zwei blauen Sternen“. Wenn der SCM-Kanute alle Abschluss-Klippen umpaddelt hat, werden sie im Februar 2018 gegen den blauen Anwärter-Balken auf den Schulterstücken eingetauscht. Dann ist der Weltmeister auch Polizeimeister.

An diesem Tag sind die Rollen allerdings vertauscht. Die Mädchen haben Prüfung. Der Canadier-Spezialist drückt indes im Pavillon II von 7.05 Uhr bis 14.30 Uhr die Schulbank. Einsatzlehre steht auf dem Plan. Brav sitzen zehn Athleten verschiedenster Sportarten im Unterrichtsraum. Die Muskeln, die sich unter der blauen Uniform abzeichnen, machen deutlich: Hier lauschen Modellathleten den Ausführungen des Lehrers. Dabei ist Marko Schirrmann die volle Aufmerksamkeit garantiert, denn seinen Schülern sitzt die Angst vor der nahenden Prüfung im Nacken.

Und der Polizeihauptkommissar verrät, was die anwesenden Polizeischüler freiwillig nicht zugeben würden: „Je weiter die Ausbildung voranschreitet, um so ehrgeiziger werden die Jungs und Mädchen.“ Die Grundeinstellung, die sie im Leistungssport an den Tag legen, setze sich auch im Unterricht fort. „Früher oder später beginnt ein Wettkampf um gute Noten.“

Genau darum geht es Nina Krankemann und Jasmin Fritz heute bei ihrer praktischen Prüfung. Bewertetes Situationstraining heißt das im Fachjargon – konkret geht es um Sicherung und Kontrolle am Einsatzort. Auf dem Weg zum Ort des Geschehens – ein schmuckloser Flachbau, der neben Lehr- und Aufenthaltsräumen auch ein originalgetreues Zugabteil zu Ausbildungszwecken beinhaltet – geht Sven Drese seinem Job nach. Der 41-jährige Polizeihauptkommissar ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Kienbaum zuständig.

Schnell wird klar, dass hier einer „infiziert“ worden ist, wie er es nennt. „Ich finde, wir sind die schönste Nebensache der Bundespolizei. Ich bin seit 2012 dabei und hoffe, ich werde hier alt.“ Drese schaut in seiner Freizeit oft beim Training zu und drückt bei den Wettkämpfen vor Ort die Daumen.

Die Dienststelle sei mit acht Polizeibeamten als Stammpersonal plus acht Bundespolizeitrainern „klein und übersichtlich“. Dazu kommen die 84 geförderten Athleten, davon 46 Polizeischüler, die von September bis Dezember bzw. Februar wochentags vor Ort sind. „Wir sind eine große Familie“, behauptet Drese.

Was nicht nur an der idyllisch gelegenen Dienststelle mitten im Grünen oder am leckeren, sportgerechten Essen liegt („Darum beneiden uns ja die meisten Kollegen.“). Auch dass er es im Alltag mit Leistungssportlern zu tun hat, sei von Vorteil. Heißt, hierher schaffen es nur die Besten. Jahr für Jahr gebe es doppelt so viele Bewerbungen von Kaderathleten wie Förderplätze. „So dankbare Schüler hat man sonst nicht“, schätzt Drese ein. „Unsere Sportler muss keiner extra motivieren. Sie sind ein Geschenk für jeden Ausbilder.“

Für jeden Prüfer wohl auch. Oberkommissar Frank Schmidt hat jedenfalls kaum etwas an den gezeigten Leistungen der SCM-Kanutinnen auszusetzen. Souverän meistern sie auf ihrer „Doppel-Streife“ die fiktiven Gefahrensituationen: Zum einen wird ein Graffiti-Sprayer auf frischer Tat ertappt. Zum anderen muss in Grenznähe ein verdächtiges Auto gestoppt und der Fahrer kontrolliert werden. Es besteht der Verdacht der Einschleusung von Personen. Einmal agiert der Prüfling als kontrollierender Beamter, einmal als sichernder. Der Ausbilder geht in seiner Rolle als Bösewicht voll auf und zieht alle Register: „Wollen sie mich verarschen? Sie sind doch nur darauf aus, mir etwas anzuhängen. Typisch Bulle! Reine Schikane.“ Krankemann, die mit Kugelstoßer Patrick Müller ein Team bildet, bleibt ruhig und gelassen. Souverän spult die 22-Jährige das gelernte Programm herunter, packt hart an. Am Ende erhält sie eine Punktzahl im Einser-Bereich. Genau wie die 21-jährige Fritz, die mit Ruderer Tom Christofzik geprüft wird. „Na bitte!“, lobt Schmidt die angehenden Polizeimeisterinnen.

Dann geht’s zum gemeinsamen „Essenfassen“. Die Mittagspause opfert das Azubi-Trio bereitwillig, um im gemütlichen, um diese Zeit aber leeren Freizeittreff mit (geschlossener) Bar aus dem Nähkästchen zu plaudern. Und bei allen Dreien fällt der gleiche Name: Erik Leue.

Der Canadier-Weltmeister vom SCM, der nach Ende der Karriere inzwischen bei der Wasserschutzpolizei in Magdeburg arbeitet, dient als Vorbild für das Meistern der dualen Karriere bei der Bundespolizei. Jasmin Fritz erklärt dazu: „Bei Erik hat das perfekt funktioniert. Was er über die Ausbildung erzählt hat, klang interessant. Er hat mich und Nina damals ermutigt, den Weg einzuschlagen, aber gleichzeitig auch kein Geheimnis daraus gemacht, dass das Ganze kein Zuckerschlecken ist. Und er hat recht. Du bekommst hier nichts geschenkt.“

Nina Krankemann ist fest davon überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. „Wenn du dich nach dem Schulabschluss entscheidest, die leistungssportliche Karriere konsequent fortzusetzen, ist das in der Randsportart Kanu eh schon schwierig genug. Da bietet in meinen Augen die Bundespolizei die beste Möglichkeit, Ausbildung und Sport miteinander zu kombinieren.“ Auch was die Perspektive nach dem Sport betrifft, gebe es keine bessere Wahl für sie.„Ich identifiziere mich voll und ganz mit dem Beruf und trage mit Stolz und Überzeugung meine Uniform.“

Einmal den Entschluss getroffen, heißt es dann aber auch dreieinhalb Jahre lang (18 Monate netto): Augen zu und durch. Yul Oeltze hat in diesem Zusammenhang beeindruckende Fakten parat, die belegen, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. „Du bist von 6 bis 20 Uhr auf den Beinen. Mit zwei bis drei Trainingseinheiten in den Knochen fällst du abends wie ein Stein ins Bett.“ Da käme man locker auf eine 60-Stunden-Woche. Und das dann vier bzw. sechs Monate am Stück. „Das schlaucht mit der Zeit. Holla, die Waldfee. Vom Lagerkoller mal ganz zu schweigen. Aber wer A sagt, muss auch B sagen.“

Die Mädchen, die in einem der Pavillons ein Zweibettzimmer bewohnen (Kost und Logis während der Ausbildung übernimmt der Dienstherr), sind deshalb froh, dass Abwechslung in ihren Alltag kommt. Für beide steht ein vierwöchiges Praktikum auf dem Berliner Ostbahnhof an. „Da kommt das wahre Leben auf uns zu: Schichtdienst, normale Dienstgruppe, Streife“, blickt Fritz voraus. Angst, dabei in eine Gefahrensituation zu kommen, hat ihre Freundin nicht: „Ich fühle mich durch die Ausbildung gut vorbereitet. Natürlich darf man sich nie zu sicher sein, aber es ist ja schwierig für den Kollegen, mit dem du unterwegs bist, wenn du dir vor Angst in die Hose machst.“

Auch der Gebrauch der Waffe, eine für die Bundespolizei modifizierte P30 von Heckler & Koch, „gehört zum Job nun mal dazu“, weiß Fritz. Trotz mehrfacher Übungen am Schießstand in Berlin habe sie aber immer noch „gehörigen Respekt“ vor der Pistole: „Schießen ist nicht so mein Ding, aber es ist eben ein wichtiger Teil der Ausbildung. Dennoch hofft man natürlich, dass es nicht dazu kommt, dass man die Waffe ziehen oder sogar abdrücken muss.“ Oeltze sieht das Thema pragmatischer: „Wenn es im Fall der Fälle um mein Leben oder das eines Kollegen geht, ziehst du die Waffe. Wenn dann das Adrenalin durch die Adern schießt, dann darfst du Dir keine Fragen stellen, da müssen die Automatismen wirken. Und das ist auch gut so.“

Nicht so gut, aber eben unabänderlich ist, dass während der Ausbildung das Training zu kurz kommt. „Ein Drittel weniger als normal“, rechnet Oeltze vor. Doch Panik schiebe er deswegen nicht. Ist er doch der beste Beweis, dass sich ein Großteil durch Trainingslager, für die die Polizeischüler freigestellt werden, und das „richtige Reinhauen“ nach Ende des jeweiligen Lehrblocks aufholen lässt. Schließlich wurde der Magdeburger in der Vorsaison erst Europa- und dann Weltmeister.

Und so packen es die SCM-Kanuten nach Ende des Unterrichts um 15 Uhr auch an: Uniform aus, Sportzeug an. Im Eiltempo geht es zur zweiten Schicht ins Bootshaus. Polizeicoach Stefan Ulm und Assistenztrainerin Carolin Leonard – beide ehemalige Top-Kanuten und nach Karriereende bei der Polizei geblieben – warten schon. Fritz, Krankemann und Oeltze schnappen sich ihre Boote, lassen sie zu Wasser und paddeln der bereits tief stehenden Sonne entgegen. Es gibt kein Zaudern und kein Zagen. Die Kilometer wollen und müssen geschrubbt werden. Auch danach geht’s im Gleichschritt weiter. Immer weiter. Es ist schon dunkel, als im Kraftraum die Hanteln klirren. Und noch 90 Minuten bis zum Dienstschluss. Und den zwei blauen Sternen wieder ein Stück näher …