1. FC Magdeburg Bunte Hunde mit blau-weißem Herzen
Zwei Magdeburger Fan-Polizisten sind an jedem Wochenende mit FCM-Anhängern unterwegs.
Magdeburg l Der Uhrzeiger auf Bahnsteig 3 des Magdeburger Hauptbahnhofs ist gerade auf 15.30 Uhr gerückt, als sich der Blick von Polizeihauptmeister Ronald Pätz verdüstert. Der 55 Jahre alte Fan-Polizist – im Amtsdeutsch „Fankundiger Beamter“ genannt – hat gerade über seinen Knopf im Ohr die Hiobsbotschaft erhalten: „Die Lok vom Entlaster ist kaputt. Ersatz nicht in Sicht.“
Pätz übersetzt: „Das würde heißen, rund 600 Magdeburger Fußballfans kommen womöglich nicht pünktlich zum Spiel nach Halle.“ „Worst Case“, der schlimmste Fall, nennt der Bundespolizist das Schreckgespenst. „Was dann hier abgeht ...“
Ronald Pätz ist seit zwölf Jahren für den 1. FC Magdeburg zuständig und begleitet die blau-weißen Anhänger zum Spielort und wieder zurück. Der Staßfurter und sein Kollege Polizeihauptkommissar Peter Hartz aus dem Jerichower Land fahren in den Fan-Zügen mit, laufen bei den Märschen zu den Stadien neben dem Block und stehen im Stadion in Rufweite der Gästetribünen.
Pätz ist selbst begeisterter Fußballfan: „Na, klar FCM“, und dann etwas leiser: „Und Bayern.“ Von 1977 bis 1979 sei er selbst zu jedem Auswärtsspiel des Clubs mitgefahren. „War ne schöne Zeit. Und die Erfahrungen von damals helfen mir heute natürlich enorm.“
Fankundiger Beamter sei „eine freiwillige Sache. Sich jedes Wochenende – außer in der Sommer- und Winterpause – unter die Fans zu mischen, ist nicht jedem gegeben“, sagt Pätz.
Während sich Bahnsteig 3 immer mehr blauweiß färbt, trifft Hartz einen Kollegen aus der Altmark. „Und, sind deine Leute unterwegs?“, fragt der 55-Jährige. Er meint zehn bis 15 „Exoten“ aus Stendal, die Halle-Fans sind und möglicherweise auf dem Bahnhof mit den mehr als 600 Magdeburg-Anhängern zusammentreffen könnten. Doch der Kollege kann Entwarnung geben.
Hartz ist seit zwei Jahren Fankundiger Beamter. „Im Nebenamt“, wie er sagt. Viele Jahre hat er im Ermittlungsdienst der Bundespolizei gearbeitet und Fußballdelikte bearbeitet. „Schon als Uniformierter habe ich viele Jahre die Fans begleitet.“ Auch der Hauptkommissar gesteht: „Mein Herz schlägt für den 1. FCM. Schon zu DDR-Zeiten hatte ich eine Dauerkarte.“
Die Miene von Ronald Pätz hat sich inzwischen wieder aufgehellt: „Die Bahn hat wohl die Brisanz erkannt und einen Zug aus dem Dessau-Verkehr herausgelöst, um die Fans doch noch pünktlich nach Halle zu bekommen. Um 16.37 Uhr steigt der letzte Blauweiße ein.
Die beiden Bundespolizisten tragen grundsätzlich Zivil. Mit „Einsatzmitteln“ ausgerüstet sind sie trotzdem: Weste, Schlagstock, Handfesseln, Pistole und Pfefferspray tragen sie – allerdings nicht offen.
Lediglich bei den Fan-Märschen streifen sie blaue Polizeileibchen über. „Eine Vorsichtsmaßnahme“, sagt Pätz. „Wenn es doch mal zu einer Auseinandersetzung zwischen Polizei und Fans kommt, können wir nicht davon ausgehen, dass die Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern unsere Gesichter kennen.“
Das sieht in der Fanszene ganz anders aus: „Hallo, Peter, hallo Ronald“, werden die Beamten immer wieder gegrüßt. „Die sind bekannt wie bunte Hunde“, sagt Uwe Daus aus Eilsleben im Bördekreis. Man kennt sich in der Szene. „Und das ist auch gut so“, sagt Peter Hartz, „das schafft Vertrauen, und das ist unser Joker.“
Polizeidirektor Steffen Quaas, Chef der Bundespolizei in Sachsen-Anhalt drückt den Stellenwert der Fan-Polizisten so aus: „Betriebswirtschaftlich gesehen, kann ein guter FKB das Kräftemanagement in der Bundespolizei entscheidend beeinflussen.“
Der knapp einstündige Marsch bis zum Stadion verläuft ebenso ruhig wie die Bahnfahrt zuvor. Sieht man von einer blauen Rauchbombe im Pulk ab. Trotzdem haben die beiden Beamten ihre „Schäfchen“ immer im Blick. „300 bis 1000 Fans begleiten wir bei jedem Auswärtsspiel“, rechnet Hartz vor. Und bis vor drei Wochen sei alles im grünen Bereich gewesen. „Aber dann ist die Stimmung gekippt“, sagt Pätz. „Wir haben erfahren, dass das mit dem Münster-Spiel zusammenhängt und der Maßgabe der Gastgeber-Polizei, dass die Magdeburger keine Fanartikel mitbringen dürfen.“
Für die beiden Beamten eine Entscheidung, die kaum nachzuvollziehen ist. Für die Fans der Anlass, auf Distanz zu den beiden zu gehen. „Die Polizei wurde in einen Topf geworfen, und wir hatten das Nachsehen“, sagt Hartz. „Fahnen und Banner sind nun mal das Heiligtum der Fans.“ Seitdem versuchen sie, neues Vertrauen aufzubauen. „Wir sind auf einem guten Weg.“
An der Sparkassen-Kreuzung, 50 Meter vorm Stadion, treffen nach und nach 14 Busse ein. Zu den Magdeburger FKB hat sich ihre Kollegin Anna Maria Rühlmann aus Halle gesellt. Gemeinsam mit drei Beamten aus Berlin, die aufgrund der angereisten FCM-Sympathisanten vom BFC angereist sind, schauen sie den Ankommenden ins Gesicht. „Wir kennen unsere Pappenheimer“, sagt Hartz.
Im Vorfeld des Endspiels wurde bekannt, dass sich unter den 4200 FCM-Anhängern rund 100 C-Fans (gewaltbereite Hooligans) und etwa 450 B-Fans (viel Alkohol mit Hang, sich randalierenden C-Fans anzuschließen) befinden sollen.
Doch auch vor dem Stadion bleibt alles ruhig. Zeit für eine Cola. „Unser Aufgabenspektrum ist bunt“, so Pätz. „Polizeiliche Aufklärung gehört ebenso dazu wie Gefahrenabwehr und Optimierung des Informationsaustauschs. Wir bearbeiten fanspezifische Straftaten und beschaffen Infos für Lageprognosen. Wir beraten die Polizeiführer und die Einsatzgruppen“, nennt er als Beispiele.
Die Fanszene sei „keine tumbe Masse, wie oft behauptet wird“. Da sind sich beide einig. „Es sind fähige Köpfe darunter. Die meisten sind normale Leute, die sich einfach nur ein Spiel ansehen und Spaß mit ihren Club haben möchten. Sie nehmen für die Auswärtsspiele Urlaub oder machen früher Feierabend. Ihre Herzen schlagen eben blau-weiß“
Im Stadion stehen Pätz und Hartz im Pufferblock zwischen den beiden Fanszenen. Verbunden mit dem Einsatzstab gegenüber auf der Tribüne. Blaue und weiße Luftballons schweben nach dem Anpfiff in den Sperrgraben mit den Ordnern. „Alles ruhig“, meldet Pätz.
Dass 1: 2 von Ryan Malone für den 1. FCM in der 88. Minute sehen die Beamten nicht mehr. Da stehen sie bereits draußen am Sammelpunkt für die Magdeburger Fans. „Das war heute nichts“, ist Pätz enttäuscht. „Kein Biss, Fehlpässe – schade.“ Und Hartz fügt an: „In der zweiten Halbzeit dachte ich, jetzt fangen wir an zu kämpfen. Aber war wohl nichts.“
Zurück zum Bahnhof um 22.45 Uhr. Die Fan-Polizisten laufen jetzt vor dem Zug. Ein einzelner Radfahrer aus Halle versucht die Magdeburger auf der Merseburger Straße mit Schmähgesängen zu provozieren. Pätz: „Ist der lebensmüde?“ Dann über Funk an die Bereitschaftspolizei: „Stoppt den Verrückten!“
Es ist 25 Minuten nach Mitternacht, als das Signal für den zweiten Zug mit Fans auf Grün schaltet. Bei jedem Halt registrieren die beiden Bundespolizisten wer ein- und aussteigt. Kurz vor Köthen eine Durchsage: „Hier spricht die Bahn. Die begleitenden Polizeikräfte werden gebeten, nun auszusteigen. Ihre Arbeit endet hier.“ Wenig später. „Wenn Sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, setzen wir Wasserwerfer ein.“ Und danach: „An die Polizei – am besten ihr sucht euch eine ordentliche Arbeit.“
Pätz und Hartz gehen ins Dienstabteil, das einige Fans mit einem Vierkant geöffnet haben, um von dort ihre Durchsagen zu machen. Nur wenige Worte, dann verlassen die „Spaßvögel“ das Abteil.
Gegen 2.30 Uhr ist Schicht im Schacht. „Keine besonderen Vorkommnisse“, meldet Pätz. „War wieder mal ein langer Tag.“