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CDU Konservative streben nach mehr Einfluss

Landwirt, verheiratet, neun Kinder - CDU-Mitglieder wie Karl Busche aus dem Harz fordern eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte.

05.05.2017, 23:01

Magdeburg l Petersroda, ein milder Freitagabend im März. Ein alter Mann tritt an das Mikro in der Mitte des Saals. Grauweißes Haar, aufrechter Gang, freundlicher, selbstbewusster Blick. Noch bevor Karl Busche nur ein Wort gesagt hat, richten sich die Blicke auf ihn. Seine Parteifreunde wollen hören, was der Mann mit der großen Lebenserfahrung sagen möchte. Aus ganz Sachsen-Anhalt sind die Mitglieder in den Ort nahe Bitterfeld gekommen, um über den Zustand ihrer CDU zu diskutieren. Lange hat Karl Busche den anderen zugehört. Dann will auch er von seinem Frust erzählen. Was seiner Meinung nach falsch läuft. „Ich bin Landwirt, mein ganzes Leben lang war ich selbstständig“, setzt er an. „Wenn ich sehe, was die Grünen in Magdeburg im Landwirtschaftsministerium anstellen, schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen.“ Beifall. Hände donnern auf die Tische.

„Doch das ist heute nicht mein Thema. Mir geht es um unser Familienbild. Ich bin seit 40 Jahren verheiratet. Meine Frau und ich haben neun Kinder – und uns hat das Spaß gemacht!“ Der ganze Saal feixt. Als Karl Busche bewusst wird, warum, schiebt er hinterher: „Und zwar in jeder Hinsicht!“ Der Landwirt stimmt in das Gelächter mit ein. Doch dann wird er ernst. „Im Koalitionsvertrag gibt es über Ehe und Familie ganze drei Zeilen. Der Gleichstellungskram und Gender umfassen vier Seiten – ja wo leben wir denn eigentlich!?“, fragt er. „Hat die CDU das Thema Familie aufgegeben?“

Viele Konservative fühlen sich inzwischen fremd in der CDU. Nicht wenige ihrer Überzeugungen hat die Partei in den vergangenen Jahren aufgegeben. Nun formiert sich in Sachsen-Anhalt der bundesweit erste Landesverband Konservativer Kreis. Die CDU soll inhaltlich wieder dorthin rücken, wo sie nach Meinung der Konservativen hingehört: nach rechts. Klassisches Familienbild statt Gleichsetzung nicht-ehelicher Partnerschaften, dreigliedriges Schulsystem statt mehr Gemeinschaftsschulen, höhere Ausgaben für innere Sicherheit statt grenzenloser Toleranzpolitik gegenüber Zuwanderern – das ist der Kurs, den sie fahren wollen.

„Unter Merkel ist die CDU zu weit nach links gerückt“, sagt Busche. „Die AfD ist eine logische Folge der Politik der Bundeskanzlerin.“ Ein paar Wochen sind seit dem Treffen in Petersroda vergangen. Karl Busche hat seine Bereitschaft erklärt, den Konservativen Kreis mit aufzubauen. Bis zur Sommerpause werden eine Satzung und ein Positionspapier erarbeitet.

Der Landwirt ist 1992 aus Niedersachsen nach Warsleben gekommen. Zwei Wahlperioden saß er im Kreistag in Oschersleben. Einer seiner Söhne hat den Hof in der Börde übernommen, seit einigen Jahren lebt Busche nun in Ballenstedt und führt dort mit seinen 75 Jahren noch immer einen Forstbetrieb. In der CDU ist er stellvertretender Ortsverbandsvorsitzender. Doch die Ausrichtung seiner Partei, der er seit 45 Jahren angehört, gefällt ihm nicht mehr.

Vor 20 Jahren habe die CDU noch ein Familienleitbild gehabt, das von christlichen Werten geprägt gewesen sei, sagt er. „Da gehörte die Dreikindfamilie selbstverständlich dazu.“ Statt Ehe und Familie stelle die Politik nun aber vermehrt Schwule und Lesben in den Mittelpunkt, Frauen würden fast nur noch als Arbeitskräfte betrachtet werden, kritisiert Busche. „Das ist der völlig falsche Ansatz.“

Die Veränderungen seien die Folgen der 68er Bewegung, glaubt er. „Die Köpfe von damals sitzen heute in den Institutionen – und stellen uns Kinderreiche, die wir zum Erhalt der Gesellschaft beitragen, als Exoten hin.“ Der Landwirt fühlt sich „bevormundet“ von Menschen mit linken Idealen.

Wenn Karl Busche über seine fünf Jungs und vier Mädchen spricht, gerät er ins Schwärmen. Einen „kleinen Handwerksbetrieb“, habe er da zu Hause gehabt, sagt er neckisch. „Das war immer ein Abenteuer.“ Als das letzte Kind kam, war er 55, seine Frau 43 Jahre alt. „Alle Entscheidungen zu Hof und Familie haben wir gemeinsam getroffen“, erzählt der 75-Jährige. Heute gehe es dagegen oft darum, wie jeder für sich vorankomme. Das passt ihm nicht. „Jeder kann ja leben wie er will“, sagt Busche. „Aber der Staat hat die Aufgabe, vor allem die Ehe von Mann und Frau zu fördern. Diese Verbindung ist der Kern unserer Gesellschaft.“

In der Führungsspitze der Landes-CDU ist man sich des Frusts vieler Mitglieder bewusst. „Wir müssen den konservativen Bereich stärker abdecken als in den vergangenen Jahren“, sagt Vize-Landeschef und Innenminister Holger Stahlknecht. Auch Finanzminister André Schröder, ebenfalls stellvertretender Landesvorsitzender, findet es richtig, dass es „in einer breit aufgestellten Partei der bürgerlichen Mitte einen konservativen Flügel gibt“. Schröder sieht die aktuellen Bestrebungen vor allem als Folge der schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen-Anhalt. „Das Bündnis erfordert viele Kompromisse. Da ist es klar, dass unsere Mitglieder nach dem suchen, was 100 Prozent CDU, was unsere politische Blutgruppe ist“, sagt Schröder. Doch der CDU-Vize zieht auch eine klare Grenze. „Unser Grundsatzprogramm gilt für alle. Mehrheitsentscheidungen sind zu akzeptieren.“ Das ist eine Warnung.

Denn in den nächsten Monaten könnte es noch gewaltig krachen. Der Konservative Kreis strebt nach mehr Einfluss. Initiator Ingo Gondro erwägt einen Antrag auf Satzungsänderung, damit seine Gruppe anderen Gliederungen wie etwa der Jungen Union oder der Mittelstandsvereinigung gleichgestellt wird. Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit notwendig. „Im Gegensatz zu anderen Bundesländern steht die Landes-CDU hier hinter uns und bremst uns nicht aus“, sagt Gondro.

Doch in der CDU-Spitze gibt es auch erhebliche Zweifel, dass die Konservativen die Mehrheit der Partei hinter sich bringen können. Eine Satzungsänderung wird skeptisch gesehen. Für den Landesvorstand ist die Gruppierung bisher eher Mittel zum Zweck. Vielleicht kann sie mit ihren Zielen dabei helfen, zur AfD abgewanderte Wähler zurückzugewinnen.

Landwirt Busche denkt sogar schon weiter. Die AfD sei „perspektivisch eine Koalitionsoption“. „Dafür muss sie sich aber klar nach rechts abgrenzen“, fordert er. „Wenn man so eine linke Regierung verhindern kann, muss man das in Erwägung ziehen. Rot-Rot-Grün wäre ein Albtraum.“

Besonders an den Grünen lässt der 75-Jährige kein gutes Haar. „Wir Bauern werden von denen zu Buhmännern gemacht“, sagt er. „Mal wird behauptet, wir arbeiten mit zu großen Maschinen, mit zu viel Pestiziden, wir zerstören die Landschaft und sind Tierquäler – diese Ideologie regt mich auf!“ Es sei ein Fehler gewesen, dass die CDU das Landwirtschaftsministerium frei gemacht habe. „Wie kann man den ländlichen Raum an die Grünen abgeben, obwohl die nur in Magdeburg und Halle gewählt worden sind? Da fühlen wir uns vorgeführt.“ Eine CSU hätte so etwas nie gemacht, meint der Landwirt. „Wenn es die CSU bundesweit gäbe, wäre das meine Partei“, sagt er.

Am Wochenende trifft sich die Landes-CDU in Möckern. Karl Busche wird diesmal nicht dabei sein. Er ist mit seinen Söhnen in Weißrussland unterwegs, um sich über die Fortschritte der Landwirtschaft in Osteuropa zu informieren. Die Zeit mit seinen Kindern genießt er heute genauso wie früher, als diese noch klein waren.

„Keines unserer Kinder ist lange in den Kindergarten gegangen, die waren größtenteils zu Hause. Es ist vorwiegend Aufgabe der Familie, Kinder zu erziehen“, sagt Karl Busche. Dafür müssten Familien steuerlich entlastet werden. Er fordert ein zusätzliches Kindersplitting ab dem dritten Kind. Kinderlose sollen stärker zur Kasse gebeten werden.

Wenn seine Kinder früher erzählten, dass sie acht Geschwister hätten, habe das immer eine unangenehme Frage aufgeworfen. „Wie viele Frauen hat dein Vater denn gehabt?“, seien sie von den Klassenkameraden gefragt worden, erzählt Karl Busche. „Eine! Wie Familie heute manchmal gesehen wird, tut mir weh.“