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Corona-KriseVirus hinter Gittern

Das Leben draußen köchelt immer mehr auf Sparflamme. Und auch für diejenigen drinnen, im Knast, setzt die Corona-Krise weitere Grenzen.

Von Bernd Kaufholz 03.04.2020, 07:19

Burg l Die Eingangsschleuse in Burg-Madel sieht aus wie immer. Keine Justizbediensten in Vollschutz oder wenigstens mit Mund-Nase-Maske. Der Glaskasten mit der Ausweisklappe ist schon immer da. Zusätzlicher Virenschutz nicht nötig. Warum auch? Schließlich wurde der Besucherverkehr auf null heruntergefahren.

Hinter dem Eingangsbereich, in den hochgesicherten Zellenblocks, herrscht gespannte Ruhe. „Die Gefangenen haben weniger Angst um sich selbst, viel größer ist die Sorge um ihre Angehörigen draußen“, sagt JVA-Leiterin Ulrike Hagemann. Und sie glaubt, dass diese Sorge noch größer werden können, je länger die Seuche grassiert. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Gefangene größeren Gesprächsbedarf haben.“

Die 600 Männer seien gut informiert, was die Pandemie betrifft, so die Frau, die seit drei Jahren das größte Gefängnis Sachsen-Anhalts leitet. Und sie räumt ein: „Die gegenwärtige Situation ist für mich die größte berufliche Herausforderung. Das Wichtigste ist jetzt ein stabiles Nervenkostüm.“ Manchmal komme ihr die Situation beim ersten großen Elbehochwasser in den Sinn, als sie im Katastrophenstab mitarbeitete. „Das war auch herausfordernd, aber kein Vergleich mit heute.“

Weil die Häftlinge die Möglichkeit haben, sich im Fernsehen über alles, was mit der Pandemie im Zusammenhang steht, zu informieren, glaube sie, dass es zu Gefängnisrevolten wie in Italien nicht kommen wird. Dort könnte es ein Informationsdefizit gegeben haben. Die Stimmung der Insassen – Slogan: Wir bleiben zu Hause – sei ruhig und für eine Krise „erstaunlich gut“. Das liege wohl auch daran, dass die Gefangenen sehen, wie eingeschränkt das Leben auch vor den Gittern ist. „Und dass die Maßnahmen, die wir hier ergriffen haben, keine Schikane sind, sondern lebensnotwendig“, sagt die 48-Jährige.

Nur Anwälte und die Polizei dürfen noch in die Justizvollzugsanstalt, Notare und die Polizei, wenn nötig. Aber auch der Umgang mit den Verteidigern sei streng geregelt: Gespräche nur durch eine Trennscheibe.

Die große Sporthalle, die vor Corona bei den Verurteilten sehr beliebt war, ist verwaist. Die Sportübungsleiter sammeln diejenigen, die auf Sport nicht verzichten wollen, bereichsweise in Kleingruppen bis zu zwölf Mann ein und bieten in den Freihöfen Sport an, zum Beispiel Basketball. Um einem „Lagerkoller“ vorzubeugen, gibt es einen sogenannten erweiterten Aufschluss. Das heißt, dass sich die Gefangenen in ihrem Haftbereich acht Stunden täglich, davon drei auf dem Freistundenhof, frei bewegen dürfen.

Auch die Werkstätten und Schulräume sind verriegelt und verrammelt. Einzige Ausnahme ist die Schneiderei. Dort werden seit Ende vergangener Woche dringend benötigte Schutzmasken gefertigt. Zehn Gefangene arbeiten dort. 600 bis 800 dieser kochfesten Stoffmasken verlassen täglich die Knast-Werkstatt.

Sogenannte Lockerungen sind ausgesetzt. „Zurzeit kommt keiner raus“, sagt Hagemann. „Ausnahmen sind schwer Erkrankte, die ins Krankenhaus müssen, oder Gefangene, die demnächst entlassen werden und nicht wissen, wohin. Wir unterstützen natürlich bei der Wohnungssuche und begleiten den Betreffenden, wenn es um die Unterschrift unter einen Mietvertrag geht.“ In die Obdachlosigkeit werde niemand entlassen.

Und wenn ein naher Angehöriger verstorben ist? „Dann sprechen wir mit dem Gefangenen und erklären ihm noch einmal, dass die Infektionsgefahr bei einer Beisetzung mit mehreren Personen sehr groß ist. Wir versprechen ihm, dass er sich nach Abklingen der Pandemie in Begleitung von Beamten am Grab verabschieden kann.“

„Ersatzfreiheitsstrafen“, also Haft, weil jemand seine Geldstrafe nicht bezahlt hat, entfallen. Sie werden aufgeschoben. Auch Sammeltransporte von Häftlingen innerhalb Sachsen-Anhalts entfallen. Was geschieht, wenn sich trotz aller Vorsichtsmaßregeln das Virus in Burg-Madel einnistet?

„Das wollen wir natürlich nicht hoffen, aber wir sind auch für einen solchen Fall vorbereitet“, sagt Hagemann. „Allerdings würden weitere Maßnahmen, dann nicht mehr in unserer Entscheidungsgewalt liegen. Der Amtsarzt entscheidet dann, wie es weitergeht.“ Aber natürlich habe die Justizvollzugsanstalt auch für diesen schlimmsten aller Fälle vorgesorgt. „Wir haben separate Quarantänebereiche geschaffen und auch das Team der Krankenabteilung ist gut vorbereitet.“ Bisher gab es lediglich einige Verdachtsfälle innerhalb der Familien außerhalb der Haftanstalt. Aber die Tests waren alle negativ.

Solange die Gerichte arbeiten, wird es auch immer wieder Neuzugänge geben. Dafür gibt es während der Pandemie einen Fragebogen und ein festgelegtes Prozedere. Der Gefangene wird gefragt, ob er sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat oder Kontakt zu einem Corona-Erkrankten hatte? In der JVA Burg werden inzwischen aber ausnahmslos alle Neuzugänge auf Corona getestet, um die für eine Gemeinschaftsunterkunft so dringend erforderliche Gewissheit schnellstens zu bekommen. Bis ein verlässliches Ergebnis vorliegt, bleiben diese Gefangenen abgesondert.

„Alle Bediensteten der JVA sind überaus besonnen, gelassen und loyal“, beschreibt die Leiterin den seelischen Zustand der Gefängnismitarbeiter. „Ich bin stolz, mit diesem Team arbeiten zu können.“