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DDR-Mütter Krippe, Werkbank, Abwasch

Spagat zwischen Kind, Job und Hausarbeit. Anna Kaminsky, Chefin der Stiftung Aufarbeitung, erklärt im Interview den Mythos DDR-Frau.

Von Massimo Rogacki 14.05.2017, 02:00

Frau Kaminsky, in der öffentlichen Wahrnehmung existiert bis heute die Vorstellung von der vorbildlich emanzipierten DDR-Frau, die mühelos den Spagat zwischen Berufstätigkeit und Familie schaffte. Ein Mythos?

Anna Kaminsky: In gewisser Weise schon. Nach 1990 waren die Frauenpolitik und die Emanzipation der Frau in der DDR eines der wenigen Dinge, die in West und Ost positiv gesehen wurden. In vielerlei anderer Hinsicht gab niemand mehr einen Pfifferling auf diesen Staat. Man kann sagen: Die DDR hatte eine moderne Frauenpolitik – wenn man sie als Arbeitsmarktpolitik versteht. Es gab zu wenige Arbeitskräfte, deshalb ging es darum, Frauen zum Arbeiten zu bewegen. Alleinstehende, hart arbeitende Frauen mit Kindern waren Normalität. Aber so spielend leicht, wie gemeinhin behauptet, war der Spagat dann doch nicht.

Sie sind in Gera geboren und in Halle und Dessau aufgewachsen. Wie sind Ihre persönlichen Erinnerungen?

Ich habe schon als Kind mitbekommen, wie viel die Frauen gearbeitet haben. Der Tag begann früh. Die Arbeit fing teils um sechs oder halb sieben schon an; auch die Kindergärten öffneten um sechs. Aber Kindergartenplätze gab es oft nicht in der Nähe der Wohnung. Ich erinnere mich an heulende Kinder frühmorgens in der Straßenbahn. Das war entsetzlich, weil ich immer dachte: Mensch, es ist noch so früh, die gehören doch noch ins Bett. Die Mütter hetzten weiter, hatten einen langen Arbeitstag. Danach folgte der Einkauf – das war ja in der DDR ein Vergnügen der besonderen Art. In der Kaufhalle gab es ja nicht alles.

1960 wurde beim ZK der SED eine Frauenkommission geschaffen. Hört sich zunächst ziemlich fortschrittlich an.

In den 1960er Jahren sind zwei Frauenkongresse organisiert worden. Die Frage dabei hieß: Was können wir tun, damit Frauen arbeiten gehen? Damit Frauen arbeiten gehen konnten, mussten vor allem Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden und Erleichterungen bei der Hausarbeit etabliert werden. Ressourcen dafür warenallerdings kaum vorhanden. Zudem sieht man an den Kongressen auch, dass es nicht erwünscht war, die Probleme aufzuzeigen. Beim ersten Kongress wurden vor allem sehr viele politische Phrasen gedroschen.

Gab es gar keine Ansätze?

Beim zweiten Kongress war es dann schon anders, da wurde dann tatsächlich über die real existierenden Probleme gesprochen. Dort hieß es beispielsweise, dass die Krippen früher öffnen sollen, damit die Frauen auch noch de Möglichkeit hatten, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Oder man versprach, dass es mehr Wochenkrippen geben müsse. Man bot Frauen an, ihre Kinder auch in Dauerheimen betreuen zu lassen, damit sie arbeiten gehen könnten. Ich finde, das war eine schreckliche Einrichtung. Für viele Frauen waren sie jedoch die einzige Chance, weil sie arbeiten gehen mussten. Als Ende der 60er Jahre die Pflicht zur Arbeit in die Verfassung aufgenommen wurde, sorgte das für Unruhe – vor allem unter Frauen. In Dokumenten liest man, dass viele Frauen besorgt nachfragten, ob das nun bedeutet, dass sie kriminalisiert werden, wenn sie mit den Kindern zu Hause blieben.

Sie haben für „Frauen in der DDR“ Dokumente, Zeitschriften, Briefe und Literatur aus insgesamt vier Jahrzehnten durchsucht. Worüber klagen die Frauen?

Über vieles. Man spürt viel Wut und die Versuche, sich zu wehren und die Zustände nicht hinzunehmen. Ein hoher Prozentsatz der älteren Frauen beobachtete es zum Beispiel voller Misstrauen, wie die DDR vor allem die jüngeren Frauen förderte. Klar: Die DDR wollte eine Geburtensteigerung und sie wollte, dass die Frauen arbeiten gehen. Wer unter 30 oder unter 25 Jahre war, war interessant. Doch viele ältere Frauen hatten den Eindruck, den jüngeren werde es nun leichtgemacht. Und jene, die das Land aufgebaut haben und die schwersten Entbehrungen hinnehmen mussten, die fallen hinten runter.

Unterschieden sich denn damals die Frauen in Ost und West?

Schaut man sich die Generation in Ost und West in den 50er und 60er Jahren an, man wird keine großen Unterschiede feststellen. „Guten Morgen, du Schöne“ von Maxie Wander erschien 1977 in der DDR, zwei Jahre zuvor hat Alice Schwarzer „Der kleine Unterschied“ im Westen veröffentlicht. Das gleiche Prinzip in beiden Büchern: Interviews mit Frauen aus mehreren Generationen. Legt man diese Berichte gegeneinander, gewinnt man den Eindruck, dass die Probleme sehr ähnlich sind.

Das änderte sich dann.

Ja. Vor allem mit der Generation, die ab 1959/60 erstmalig die zehnklassige polytechnische Oberschule komplett durchlaufen hat. Die bis zum 16., 17. Lebensjahr komplett die DDR-Sozialisation mitgemacht hat. In den 70ern ist diese Generation erwachsen und die Frauen haben ein neues Selbstbewusstsein. Das sieht man etwa daran, dass nun mehrheitlich Frauen die Scheidung einreichen und nicht mehr die Männer. Als Hauptgrund geben Frauen an, dass ihre Männer nicht im Haushalt helfen und Probleme mit der Emanzipation haben. Das ist auch die Zeit, als die Zahl der Abtreibungen in die Höhe geht.

In den frühen 70er Jahren bezog die DDR-Werbung für Haushaltsgeräte plötzlich auch Männer mit ein. Kein Zufall, oder?

Es gab entgegen den Erwartungen der SED keine nennenswerte Entlastung für Frauen durch bessere öffentliche Dienstleistungen. Und die einzige Möglichkeit, Frauen zu entlasten, war, dass die Männer mehr mithelfen sollten. Männer posierten nun in der Werbung mit Schürze. Ich vermute, dass in der DDR schon mehr Männer als im Westen im Haushalt geholfen haben. Ein Großteil der Hausarbeit klebte aber noch an der Frau.

Eine Studie zeigt: Junge ostdeutsche Männer beziehen heute als Väter im Schnitt länger Elterngeld als die üblichen zwei Monate und bringen sich mehr im Haushalt ein.

Man kann sagen: Die DDR-Männer hatten in gewisser Weise einen Verunsicherungsvorsprung. Ihre Frauen haben 20 Jahre früher als im Westen gesagt: So nicht! Das wirkt möglicherweise nach.

Und was ist nun mit der Ost-Frau, war sie emanzipierter als ihr westdeutsches Pendant?

Mein Eindruck ist: Sie war anders selbstbewusst und emanzipiert. Selbstbewusstein zieht man ja aus der Anerkennung, die jede/jeder für das erhält, was sie oder er tut. Wenn ich in einer Gesellschaft lebe, in der die arbeitende Frau und Mutter das anerkannte Rollenbild darstellt, dann ziehe ich eben daraus mein Selbstbewusstsein.

Wie ist die gesamtdeutsche Frau heute – trägt sie mehr Ost oder West in sich?

Das ist schwer zu sagen. Sie müssen natürlich zwischen der Frau in der Stadt und auf dem Land und sicher auch zwischen den Generationen unterscheiden. Jede Frau hat unterschiedliche Vorstellungen.

Das Familienministerium hat interessante Zahlen ermittelt. Frauen im Osten bekommen früher Kinder und kehren schneller an den Arbeitsplatz zurück. Vierzig Prozent der Mütter unter 40 arbeiten im Osten Vollzeit, im Westen nur 17 Prozent. Im Osten gehen mehr Kinder in die Krippe. Das sind spürbare Unterschiede.

Das stimmt. Die älteren Frauen aus den ostdeutschen Bundesländern sagen: Wir haben immer gearbeitet, hatten trotzdem Kinder – das ist zu machen. Und die Töchter sagen: Ich habe es bei meiner Mutti gesehen, die hat immer gearbeitet und sich zudem noch weitergebildet und hatte dabei drei Kinder. Das ist ein vorgelebtes Selbstverständnis, das sich tradiert. Fakt ist: Für ostdeutsche Frauen ist es trotz kleiner Kinder noch immer normaler, Vollzeit zu arbeiten. Westdeutsche Frauen bleiben länger zu Hause und steigen mit Teilzeit ein. Diese traditionellere Familien-Arbeitsteilung hält sich im Westen stärker – obwohl sie sich mehr und mehr angleicht.

Wie verfolgen Sie die aktuellen Debatten? Vor kurzem fand hier in Berlin der „Woman20“-Gipfel mit frauenpolitischen Interessenvertreterinnen der G20 statt.

Bei den aktuellen Diskussionen reibe ich mir verwundert die Augen. Die Debatten sind wieder sehr stark von einer Ökonomisierung der Frau geprägt. Es geht um ihre Arbeitskraft. In einem Interview mit einer Soziologin hieß es, es sei ja okay, wenn Frauen nach der Geburt des Kindes ein Jahr zu Hause blieben. Warum diese Vorgaben? Die Entscheidung sollte den Familien überlassen werden. Eine Frau ist doch nicht weniger emanzipiert, wenn sie länger als ein Jahr zu Hause bleibt. Ich habe mich in der DDR dafür entschieden, mein Kind nicht in eine Kindereinrichtung zu geben und bin insgesamt vier Jahre zuhause geblieben. Mich irritiert zudem: Bei Männern wird die Entscheidung länger zu Hause zu bleiben, als großer emanzipatorischer Akt dargestellt. Bei Frauen, die das tun, wird infrage gestellt, ob sie emanzipiert seien.

Wissen moderne Frauen, wie viel sie sich zumuten können oder versuchen sie, einem Idealbild zu entsprechen?

Nun ja. Bei vielen – nicht nur – Frauen habe ich den Eindruck, dass das Bewusstsein für Grenzen abhandengekommen ist. Kind, Karriere, Hobbys, alles zu hundert Prozent zu machen, das funktioniert meist nicht. Irgendwo muss man Abstriche machen. Manche Arbeitsteilungen ergeben definitiv Sinn. Dafür hatte die frühere Generation vielleicht ein anderes, ein besseres Gespür.