Landesverfassungsgericht urteilt im Drei-Städte-Streit Dessau-Roßlau gewinnt Millionen - Halle und Magdeburg zahlen die Zeche
Im Drei-Städte-Streit um mehr Geld hat Dessau gestern vor dem Landesverfassungsgericht einen Sieg errungen. Dessau erhält ab 2013 etwa 6 Millionen Euro mehr vom Land. Bezahlen müssen das wohl Magdeburg und Halle.
Dessau l Beim Finanzausgleich wurden Magdeburg und Halle bislang privilegiert: Sie erhielten aus dem Landestopf mehr Geld je Einwohner als Dessau-Roßlau - obgleich alle drei den Status und die Aufgaben einer kreisfreien Stadt haben.
Das Land hatte diese Ungleichbehandlung so gewollt und in seinem Finanzausgleichsgesetz eine Linie von 150 000 Einwohnern gezogen: Wer darüber liegt, habe angeblich höhere Kosten, da er auch fürs Umland Infrastruktur biete - wie etwa Straßenbahnen, Theater oder Zoo. Dessau-Roßlau liegt mit 86 000 Einwohnern darunter. Die Stadt fand die Regelung verfassungswidrig. Auch Dessau hat Theater und Straßenbahn. Sie klagte. Mit Erfolg.
Die Verfassungsrichter sehen es als mit der Verfassung unvereinbar an, wenn kreisfreie Städte mit über 150 000 Einwohnern mit einem Umrechnungsfaktor je Einwohner mehr Geld bekommen, weil sie höhere Kosten auch auf Grund ihrer Umlandfunktion hätten. Die Überlegungen seien überaltert, stammten aus den 30er Jahren und seien bis heute umstritten, so die Richter. Unter dem Strich meinen sie: Für das Herangehen des Landes fehlt ein plausibler Nachweis dafür, dass Magdeburg und Halle gegenüber Dessau-Roßlau einen überproportional höheren notwendigen Finanzbedarf haben.
Das Gericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens für 2013 eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen. Bis zum 31.12.2012 bleibt die für verfassungswidrig erklärte Vorschrift anwendbar (Aktenzeichen LVG 23/10).
Über den letzten Satz ist Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) erleichtert: Er muss kein Geld an Dessau nachzahlen. Anders sieht die Lage für 2013 aus. Da derzeit ohnehin ein neues Finanzausgleichsgesetz beraten wird, kann der Richterspruch gleich eingearbeitet werden. Das heißt: Dessau erhält künftig aus dem Topf für die kreisfreien Städte etwa 6 Millionen Euro mehr.
Das heißt aber auch: Magdeburg und Halle erhalten je drei Millionen Euro weniger. Es sei denn: Das Land schießt mehr Geld in den Topf. Das fordert in der Endkonsequenz die Linke. Doch danach sieht es nicht aus. Bullerjahn sagte gestern: "Dafür sehe ich keine Notwendigkeit. Aber das muss jetzt der Landtag klären." Der Gesetzentwurf liegt mittlerweile im Parlament. Die SPD-Fraktion winkte schon mal ab: Mehr Geld gibt es nicht, Magdeburg und Halle müssen also im Namen der Gerechtigkeit Einbußen hinnehmen. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) sagte: "Wir müssen das Geld nun irgendwie erwirtschaften."
Mehr Hilfe für schrumpfende Gemeinden
Neben dem Drei-Städte-Streit schwelt auch eine Stadt-Land-Auseinandersetzung. Hintergrund: Das Geld aus dem Finanzausgleichstopf wird großenteils einwohnerbezogen verteilt. Mehr Köpfe, mehr Geld. Da die ländlichen Regionen in den nächsten Jahren deutlich mehr Einwohner verlieren als die drei Großstädte, müssen die Landkommunen erhebliche Einbußen hinnehmen. Jedoch: Wer Einwohner verliert, kann nicht Straßen schmaler bauen oder alle Schulen schließen. Das heißt: Kosten fallen nicht so schnell wie die Einwohnerzahlen.
Das sehen auch die Richter am Landesverfassungsgericht in Dessau so und gaben gestern den klagenden Gemeinden Möckern, Gommern, Genthin, Gröningen, Thale, Schönburg und Klostermansfeld Recht. Es sei verfassungswidrig, den Finanzbedarf proportional zum Bevölkerungsrückgang und einheitlich für sämtliche kommunalen Aufgaben zu verringern. Der Landtag wurde verpflichtet, spätestens für 2014 eine Neuregelung zu schaffen.
Auch diese Unwucht wollen die Fraktionen im neuen Finanzausgleichsgesetz beseitigen. Die CDU-Fraktion, die als erste im Sommer auf das Problem aufmerksam gemacht hatte, fühlt sich bestätigt. "Das Urteil stärkt unsere Position", sagte Fraktionschef André Schröder.
Allerdings: Bekommen die demografisch besonders gebeutelten Gemeinden einen Zuschlag, sollte nach ersten Überlegungen dieser vom Land oder von den drei Großstädten bezahlt werden. Das soll nun nicht passieren. Der FAG-Topf ist 1,6 Milliarden Euro schwer, da sehen die Koalitionsfraktionen eine Grenze erreicht. Auch die drei Großstädte sollen wegen ihrer besonderen Bedeutung nicht beschnitten werden. "Wir wollen eine Lösung innerhalb des Systems, da ist noch Luft drin", sagte Schröder.
In der Koalition gibt es Überlegungen, nach bayrischem Vorbild den betroffenen Gemeinden eine höhere Investitionspauschale zu bezahlen. Eine andere Variante wäre es, Geld aus dem sogenannten Ausgleichstopf umzuschichten. In dieser für Notfälle reservierten Kasse liegen 40 Millionen Euro. Seite 5