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Die Litfaßsäule Eine wirklich runde Sache

Ernst Theodor Amandus Litfaß ging als Erfinder der Litfaß-Säule in die Geschichte ein. Er wäre heute 200 Jahre alt geworden.

Von Christine Behm 10.02.2016, 23:01

Magdeburg l Sie ist über zwei Meter hoch, wird jedes Jahr dicker und steht mitten im Weg herum – und zieht genau aus diesem Grund alle Blicke auf sich. Die Rede ist von der Litfaßsäule. Seit über 150 Jahren steht sie in den Innenstädten und hat sich in der ganzen Zeit kaum verändert. Ein Dinosaurier in der modernen Werbebranche – und genau das macht sie so sympathisch: Litfaßsäulen blinken nicht, leuchten nicht und geben auch keine Dauerbeschallung von sich. Aus dem Stadtbild sind die runden Säulen nicht wegzudenken.

Doch so selbstverständlich wie heute waren sie nicht immer: Als Ernst Theodor Amandus Litfaß vor genau 200 Jahren am 11. Februar in Berlin geboren wird, gibt es im öffentlichen Raum ein großes Problem: Die Druckerpressen laufen auf Hochdruck. Theater, Lokale, Veranstalter – jedermann druckte Plakate und Zettel. Doch es gab keinen richtigen Platz, um diese aufzuhängen. Stattdessen wurden nach Belieben Wände, Bäume und Zäune mit den Botschaften beklebt. Wildes Plakatieren statt preußischer Ordnung. Ein Zustand, den nicht zuletzt der damalige Berliner Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinckeldey für unerträglich erachtete.

Diesen Missstand beseitigte der Spross eines traditionsreichen Druckereibetriebes: Ernst Litfaß. Dafür würde er als „Säulenheiliger“ und „Reklamekönig“ berühmt werden. Denn am 1. Juli 1855 eröffnet er in Berlin die erste sogenannte Annonciersäule. Und das war von Beginn an eine im wörtlichen Sinn wirklich runde Sache. Deshalb fand Buchdrucker Ernst Litfaß im Herrn von Hinckeldey einen begeisterten Förderer seiner Arbeit.

Ganz neu war das Konzept allerdings nicht. Schon 1824 hatte ein gewisser George Harris in London eine achteckige, auf einem Wagen befestigte Plakatsäule zum Patent angemeldet. In den Straßen von Paris gibt es bereits seit 1842 gemauerte Plakatsäulen. Litfaß entdeckte die Konzepte auf seinen ausgedehnten Auslandsreisen. Auf diesen suchte er eigentlich nach neuen Ideen, um den väterlichen Betrieb verbessern zu können. Doch er wusste auch von den Missständen der Wildplakatierung, mit denen seine Heimatstadt zu kämpfen hatte und er griff die Idee der Säulen auf. So begann die Geschichte der Litfaßsäule.

Ihren Namen gab ihr aber nicht etwa der Erfinder selbst, sondern die Berliner. Diese tauften die Annonciersäulen nach ihrem Schöpfer und diesen Namen tragen die Säulen auch weiterhin. Zumindest im Volksmund, denn die Werbebranche nennt sie nur schnöde „Ganzsäule“ oder „Allgemeinstelle“. Ganzsäulen zeigen nur einen Werbeträger, Allgemeinstellen beherbergen eine Vielzahl von Plakaten.

Als die Litfaßsäule 1855 im Berliner Stadtbild integriert wurde, baute man insgesamt 150 Säulen in der Stadt auf. Das Plakatieren war zunächst kostenlos, Bäume und Hauswände blieben zukünftig weitestgehend verschont. Und die Litfaßsäule integriert sich schnell: Zur Jahrhundertwende gibt es bereits 400 Stück.

Das Besondere an den Säulen ist die Nähe zum Menschen. Räumlich ebenso wie emotional. Sie steht mitten in der Stadt und bildet stets ab, was für die Bevölkerung gerade von Bedeutung ist. In ihren Anfangsjahren etwa ist ihr Erscheinungsbild stark vom Einfluss des Kaiserreichs geprägt. Aufrufe und Kriegsdepeschen sind an der Tagesordnung. In der Weimarer Republik wird die permanent instabile politische Lage in zahlreicher Wahlpropaganda widergespiegelt. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft werden die Säulen vermehrt mit Hetzaufrufen, Befehlen oder anderen politischen Plakaten beklebt.

Der Zweite Weltkrieg reduziert den Bestand der Litfaßsäulen stark, in Berlin auf einige hundert. Doch jetzt liegt die Gestaltung wieder vermehrt in der Hand der Bürger, die Tauschangebote und Vermisstenanzeigen plakatieren. Und endlich, mit der wieder erwachenden Lebenslust erschienen auch die ersten bunten Kinoplakate auf den Säulen. Theater und Konzerte laden zur Zerstreuung ein. Zu DDR-Zeiten fristeten viele Säulen im Osten Deutschlands dann ein trauriges Dasein und zerfielen langsam. Denn Werbung spielte im öffentlichen Raum des Sozialismus zunehmend keine Rolle mehr. Erst nach der Wende wurden viele Säulen wieder saniert.

Konsum und Unterhaltung sind heute wie schon in der Vorkriegszeit die Hauptthemen der Plakate. Und das Geschäft läuft auch in Sachsen-Anhalt: In Magdeburg sind es immerhin 328 Säulen, in Sachsen-Anhalt 1232, die meisten davon sind Allgemeinstellen und mit vielen verschiedenen Plakaten beklebt. Im gesamten Bundesgebiet soll es noch über 50 000 Litfaßsäulen geben.

In öffentlicher Hand sind sie längst nicht mehr. Wie alle Plakatwerbeträger im öffentlichen Raum werden sie von privaten Unternehmen aufgestellt und betrieben.

Mit den Jahren bekam die Litfaßsäule natürlich Konkurrenz: Riesige Poster, be- und hinterleuchtete Plakatwände und Lichtsäulen buhlen um Aufmerksamkeit. Aber immerhin noch 14 Prozent der Plakatflächen befinden sich hierzulande auf den runden Säulen. Das liegt nicht zuletzt auch am Preis: Eine ganze Säule kostet am Tag durchschnittlich 20 Euro. Teilt man sich den Werbeplatz mit vielen anderen Plakaten auf den Allgemeinstellen, werden nur noch ein paar Euro fällig. Das lohnt sich gerade für kleine, lokale Unternehmen. Und genau das sorgt ganz nebenbei auch dafür, dass der ursprüngliche Charakter der Litfaßsäulen erhalten bleibt.

Diese haben im Übrigen in den mittlerweile mehr als 150 Jahren auch nicht viel an ihrem Aussehen geändert. Es gibt sogar immer noch die wunderschönen klassischen Modelle aus der Kaiserzeit, die mit ihrem historischen Gewand perfekt zum Bild der Altstädte passten. In vielen Städten stehen diese mittlerweile unter Denkmalschutz. Doch so manche Litfaßsäule wurde auch weiterentwickelt: Manche beinhalten Verkaufsstände, Fahrkartenautomaten und in Prag (Bild) findet sich sogar eine WC-Säule.

Und natürlich lässt sich die Werbebranche immer wieder etwas Kreatives einfallen, inspiriert von der runden Form: Es gab Säulen, die als Smarties-Rolle, Kölsch-Stange oder Prittstift „verkleidet“ waren oder eine Wollmütze trugen.

Aussterben wird die gute alte Litfaßsäule also nicht. Im Gegenteil: Sie wird immer dicker! Mehr als 150 Schichten Papier werden übereinander geklebt, bevor die Säule abspecken muss. Alle paar Jahre rücken die Plakatkleber ihr mit einer Motorsäge zu Leibe und erleichtern sie von ihrem Hüftgold – der Speckschwarte, wie die Schicht von der Werbebranche auch ganz schnörkellos genannt wird.